Elitesoldaten erzählen

Bundesheer unter Feuer: Was 2015 in Kabul geschah

Österreich
27.07.2025 07:00

Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg wurden in Österreich dieser Tage Tapferkeitsmedaillen verliehen. Sie gingen an Bundesheersoldaten des Jagdkommandos, die 2015 in Afghanistan stationiert waren, als die Taliban plötzlich angriffen. In der „Krone“ erzählen sie erstmals ihre Geschichte.  

Er sollte als der „Schwarze Freitag“ in die Geschichte Afghanistans eingehen: der 7. August 2015, an dem eine Serie an Bomben- und Selbstmordanschlägen das kriegsgeplagte Land überzog. Einer der Sprengsätze explodierte damals in einem Lager der US-Armee, in unmittelbarer Nähe von vier österreichischen Elite-Soldaten. Auf die Detonation folgte ein Angriff schwer bewaffneter Taliban-Kämpfer auf das Camp. Was in den Stunden darauf folgte, sollte den Männern aus Österreich zehn Jahre später die Tapferkeitsmedaille des Bundesheeres einbringen.

Wir treffen zwei der vier Soldaten am Stützpunkt des Jagdkommandos in Wiener Neustadt. Sie treten nur vermummt auf, ihre Namen nennen sie nicht. Ihr Alter liegt heute bei etwa Mitte 30 und Anfang 40. Die beiden Soldaten, wir nennen sie C. und T., erzählen erstmals in der „Krone“ ihre Geschichte, von der das Land bislang kaum etwas wusste.

Die vermummten Soldaten im knapp dreistündigen Interview mit „Krone“-Redakteur Tikal
Die vermummten Soldaten im knapp dreistündigen Interview mit „Krone“-Redakteur Tikal(Bild: Jöchl Martin)

DER EINSATZ  
C.: Ich bin damals im Februar 2015 als Sanitäter in das „Camp Integrity“ nach Kabul gekommen, mein Kamerad T. neben mir als Stabsoffizier vier Monate später. Wir waren im Rahmen der „Resolute Support“-Mission Teil einer 15.000 Mann starken internationalen Truppe, die das Land stabilisieren sollte. Es war ein harter Winter, Kabul liegt auf rund 1800 Meter Höhe.

T.: Gearbeitet haben wir zwar täglich mit den Amerikanern im „Camp Integrity“, dem Kommando für alle Spezialeinsatzkräfte in der Region. Untergebracht waren wir aber in einem deutschen Lager direkt daneben. Die beiden Stützpunkte waren mit einer Tür verbunden. Das wird später noch wichtig sein.

C.: Wir haben in den sieben Monaten des Einsatzes das Camp nur zur Auftragserfüllung und entsprechend gesichert verlassen. Seit 2014 war die Lage im Großraum Kabul extrem angespannt. Mehrmals pro Woche ist es zu Anschlägen gekommen, meist auf Konvois. Wir haben viel gearbeitet, Sport gemacht, waren schießen und haben am Abend mit den deutschen Kameraden den Tag ausklingen lassen.

T.: Gesichert wurde das US-Lager durch einen äußeren Ring, der von afghanischen Soldaten besetzt war. Über eine Schleuse mit zwei schweren Eisentüren konnten Lkw ein- und ausfahren. Dort kam es dann auch zu dem verheerenden Anschlag.

ABEND DES ANSCHLAGS
C.: Ich kann mich erinnern, es war ein Freitagabend. Ich wäre am Montag zurück nach Österreich geflogen, mein Einsatz war vorbei. Wir waren nach Dienstschluss im deutschen Camp. Es war kurz nach 22 Uhr und noch warm draußen, und ich bin mit dem Gesicht in Richtung Süden zum US-Camp gestanden.

T.: Wir haben gewusst, dass es an diesem Tag bereits Anschläge in dem Land gegeben hatte. Das hat unsere Grundspannung aber nicht wirklich erhöht. Der Tag war lang. Plötzlich sehe ich diesen Lichtblitz und diese gewaltige Wolke. Es war für uns gleich einmal klar, dass das mehr als eine Handgranate war.

C.: Die Explosion war relativ eindrucksvoll. Eine sehr hohe Feuer- und Rauchsäule. Wir haben sie aber nicht genau zuordnen können. Gegenüber dem US-Camp war eine Polizeiwache, mein erster Gedanke war, dass die Wache weggesprengt wurde.

Dutzende Tote am „Schwarzen Freitag“ in Kabul vor zehn Jahren
Dutzende Tote am „Schwarzen Freitag“ in Kabul vor zehn Jahren(Bild: AFP/WAKIL KOHSAR)

T.: Tatsächlich ist ein Auto mit militärischem Sprengstoff in die bereits erwähnte Schleuse vom „Camp Integrity“ eingefahren und ist in die Luft geflogen. Acht afghanische Wachen haben dort zu dem Zeitpunkt Fußball gespielt, die waren sofort tot. Die Sprengung hätte für die Angreifer nicht besser verlaufen können, ein nahezu unvorstellbarer Erfolg: Die beiden Eisentore der Schleuse waren zerstört, es gab nur einen minimalen Krater und Trümmer in der Bresche, und der Zutritt ins Camp war für die Angreifer geschaffen.

C.: Noch dazu waren die Generatoren direkt im Nahbereich der Schleuse. Sie sind sofort ausgefallen, damit hatte das Camp keinen Strom mehr. Licht war weg, Kameras waren weg, das hatte unglaubliche Nachteile für die Verteidigung. Das deutsche Camp daneben, in dem wir uns noch aufhielten, war nicht betroffen.

T.: Mit den Deutschen war besprochen, dass wir uns in so einem Fall sammeln und die Vollzähligkeit feststellen. Danach wartet man ab. Doch da waren wir schon lange am Weg Richtung Gefechtslärm. Wir haben uns nicht ganz an ihr Protokoll gehalten (lacht).

C.: Tatsächlich ist es uns gelungen, noch schnell Sturmgewehr, Schutzweste, Nachtsichtgeräte und Helm zu holen. Dann sind wir durch die eiserne Zwischentür rüber in das amerikanische Camp in Richtung des Gefechts gelaufen. Hinter uns wurde die Eisentür verriegelt.

T.: Wir haben das Gewehrfeuer und die Handgranaten etwa 200 Meter vor uns gehört und wussten gleich, dass es da etwas zu tun gibt. Und dass die Explosion nur der Auftakt war.

C.: Auf der US-Seite war unser Arbeitsplatz, dort hatten wir unsere Aufgaben. Für uns war es undenkbar, im deutschen Lager zu bleiben. Insbesondere für mich als Sanitäter. Wir hatten zunächst allerdings Bedenken wegen Eigenbeschuss, weil die Lage so unübersichtlich war und wir von der deutschen Seite schwer bewaffnet in das US-Lager kamen.

T.: Damals wussten wir es noch nicht, aber nach der Autobombe an der Schleuse sind drei von fünf gut ausgerüsteten und ausgebildeten Taliban in das Lager eingedrungen und haben sich verschanzt. Amerikanische Spezialeinheiten aus dem Camp sind quasi in Unterhose und mit Sturmgewehr ins Freie gelaufen und haben sich über mehrere Stunden ein Feuergefecht mit ihnen geliefert.

KAMPF UM JEDES LEBEN 
C.: Ich habe mich zum Sanitätsgebäude durchgeschlagen und dort mit der Versorgung der ersten Verwundeten begonnen. Durch die Druckwelle der Explosion ist die abgehängte Decke kollabiert, überall waren Trümmer. Aus dem Saustall habe ich dann meinen Notfallrucksack bergen können und habe am Gang begonnen, den ersten Schwerverletzten zu behandeln. Es war ein Bekannter von uns, ein erfahrenes Mitglied der „Navy Seals“, einer Spezialeinheit der US-Armee. Ich habe ihm am Rücken die Austrittswunde einer Gewehrkugel mit einem luftdichten Verband abgeklebt, damit er nicht Luft ansaugt, die die Lunge und den Herzbeutel komprimiert.

Von links nach rechts: Dekret der US Armee, die österreichische Tapferkeitsmedaille, Granatbügel ...
Von links nach rechts: Dekret der US Armee, die österreichische Tapferkeitsmedaille, Granatbügel und Patronenhülsen der Angreifer, der „Bronze Star mit V“ der US-Armee(Bild: Jöchl Martin)

T.: In dem Sanitätszentrum war es stockfinster, wir haben mit Stirnlampen gearbeitet. Im Hintergrund der Gefechtslärm, und während C. an dem verwundeten „Seal“ gearbeitet hat, ist ein weiterer Schwerverletzter gebracht worden. Ein „Green Beret“, ebenfalls von einer Spezialeinheit, der dann in weiterer Folge gestorben ist. Er hatte eine Schussverletzung am Kopf und Verletzungen, die er zunächst noch selbst versorgt hat – er kämpfte dann noch weiter.

C.: Man funktioniert in solchen Situationen eigentlich nur mehr. Das Adrenalin macht einen nicht zu einem Superhelden, man „blüht nicht auf“ dadurch. Eher im Gegenteil, man fällt durch das Chaos und den Stress eher auf ein Level hinunter, auf dem man noch arbeiten kann. Weil der Drill greift.

T.: Es hat dann ein Pendelverkehr mit Evakuierungshubschraubern begonnen, die die Verwundeten ausflogen, obwohl das Gefecht noch im Gange war. Am Landeplatz stand in einem Scheinwerfer der Militärseelsorger über den schwer verletzten „Green Beret“ gebeugt. Er hatte zu dem Zeitpunkt keine Vitalzeichen mehr, schon bei seiner Erstversorgung haben wir an seiner Schnappatmung erkannt, dass er fast tot war. 
Ich habe dann einen anderen Schwerstverletzten, ebenfalls einen „Green Beret“, zum Hubschrauber getragen. Der hat auch mehrere Probleme gehabt, aber sein größtes war eine klaffende Schusswunde am Rücken, die stark geblutet hat. Auf die hat immer jemand Druck ausüben müssen, auch beim Tragen, und das war ich. Als wir ihn in den Black-Hawk-Rettungshubschrauber verladen haben, habe ich meine Hand auf seine Rückenwunde gehalten und bin mit ihm eingestiegen. Plötzlich ging die Tür zu, und der Hubschrauber hob ab. Mit mir. Ich bin mit ihm dann in die Notaufnahme geflogen und erst Stunden später zurück zum „Camp Integrity“ gekommen. Der „Green Beret“ hat überlebt, sitzt aber heute im Rollstuhl.

Verleihung der Tapferkeitsmedaille im Juli 2025 durch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner
Verleihung der Tapferkeitsmedaille im Juli 2025 durch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner(Bild: HBF/Paul Kulec)
(Bild: HBF/Paul Kulec)
(Bild: HBF/Paul Kulec)
(Bild: HBF/Paul Kulec)

AUSZEICHNUNG 
C.: Im Camp selber war gegen drei Uhr Früh das Gefecht beendet, die Angreifer tot. Aber noch bis weit in den Tag hinein haben wir Verwundete versorgt und das Camp nach weiteren Verletzten abgesucht. Unsere Uniformen waren voller Blut. Einen Tag später ist uns vor Ort von der US-Armee der „Bronze Star“ mit V für „Valor“, also „Tapferkeit“, verliehen worden.

T.: Begründet wurde das damit, dass wir uns aus der Sicherheit des deutschen Camps direkt zum Gefecht begeben und uns dort nützlich gemacht haben. Am Ende waren acht Afghanen und ein Amerikaner tot, mit 17 Schwerverletzten von insgesamt 39 Verwundeten. Es war einer der schwersten Angriffe auf ein Lager in Afghanistan überhaupt.

C.: Für mich ging es wenige Tage später wie geplant nach Hause, T. ist noch ein paar Monate geblieben. Wir waren damals beide ledig und kinderlos, das hat die Sache einfacher gemacht. Noch bevor der Angriff in den Medien war, haben wir mit unseren Eltern telefonieren können. Posttraumatische Belastungsstörungen haben wir keine. Wir haben oft darüber geredet und die Nacht aufgearbeitet.

T.: Es hat eine Phase nach meiner Ankunft daheim gegeben, da haben mich laute Geräusche beunruhigt. Aber das ist schon wieder weg. Für uns ging es dann relativ rasch wieder in den nächsten Auslandseinsatz.

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