Von 1948 bis 1998 regierten in den Sommermonaten am Wiener Heumarkt die Gladiatoren der Handgreiflichkeiten. Das heutige „Wrestling“ oder „Catchen“ als müder TV-Abklatsch feierte original hier „fröhliche Urständ“.
Der „Größte“ seiner Zunft hieß Georg „Schurl“ Blemenschütz. Er dominierte ab den 50ern des vorigen Jahrhunderts bis weit in die 80er hinein die besten Zeiten des Ring-Geschehens auf dem Gelände des Wiener Eislaufvereins. Wo heute wegen eines Hochhausprojektes um die Erhaltung des Weltkulturerbes gerungen wird, war schon nach dem Krieg ein Kampfplatz, bei dem es jedoch handgreiflich zuging.
Schurlis Vorgänger war ein Adi Berber. Sein Nachfolger war Weltmeister im Telefonbuch-Zerreißen: „Big Otto“ Wanz. Der scheiterte 1998 mit dem letzten Heumarkt-Ringen und verschied 2017 in Graz.
Lokalmatador stieg mit 70 Jahren noch in den Ring
Aber die Blemenschütz-Zeiten blieben legendär. Noch mit über 70 Jahren musste der Lokalmatador seinen Schwitzkasten gegen Bösewichte im Ring ansetzen. Obwohl er schwer in den Ring kam, durfte er nicht gehen, besuchten doch jährlich bis zu 350.000 Zuschauer die Sommer-Turniere. Und so wurde der Blemenschütz jede Saison entweder Welt- oder Europameister des Heumarkt.
Für Kontinuität sorgte der „Berufsringerverband“. Der richtete meist eine eigene WM aus und der tüchtige „Schurli“ war auch hier die glückliche Nummer Eins. Einmal scherte ein Ringer aus und besiegte entgegen den Planungen einen Kontrahenten. Da kam es im nahen „Café Münzamt“ zur kollegialen Aussprache mit Blemenschütz und Freunden. Marmortische gingen zu Bruch. Und der ungeplante Sieger lief mit dem Schädel immer wieder gegen einen schweren Aschenbecher.
Kampf landete vor Gericht
Bei der folgenden Gerichtsverhandlung bestätigten alle den freundschaftlichen Verlauf. Nur der naive Richter wollte unter Wahrheitspflicht wissen, ob Kampfergebnisse vereinbart würden. Das interessierte in Wien nun wirklich niemanden. So endete alles im Vergleich und der emsige Jurist verschied später als hochdekorierter Richter des Europäischen Gerichtshofes ohne diese letzte Wahrheit ans Licht gebracht zu haben.
„Bösewicht“ auf der Bühne war privat ganz sanftmütig
Die Dramaturgie der Turniere war einfach: Es gab die „Guten“. Also den „Schurl“ und Ringer aus ehemaligen Kronländern oder „Verbündete“: Österreicher, Ungarn, Tschechen, Deutsche. Woher alle wirklich stammten, interessierte ebenso wenig, wie die Herkunft der „Bösen“ – angeblich Russen oder Franzosen. Ein „Bösewicht“ war der Franzose Martinson. Er war in Wahrheit Bulgare und privat eine Seele von Mensch – ein sanftmütiger Glatzkopf, ein überparfümierter Homosexueller mit Goldketterl. Am liebsten saß er mit Freund im „Gmoa-Keller“ und wollte dort seine Ruhe. Im selben Lokal verstaute und verkaufte übrigens auch der „Schurl“ manche Bilder, denn er war privat ein feinsinniger Kunstliebhaber.
Das „Ohrenreiberl“
Den täglichen Heumarkt-Höhepunkt bildete das Teammatch, in dem Duos aufeinandertrafen. Schurls Partner war oft der Ungar Michael Nador oder der Prager Franz Orlik. Dieser gilt als Erfinder des „Ohrenreiberl“ – eine Demütigung des Gegners, welche das Publikum lautstark zur Lusterfüllung einforderte. Orlik nahm den Kopf des auf dem Boden liegenden Gegners zwischen seine „Wadeln“ und massierte durch rotierende Bewegungen dessen Ohren, bis dieser laut schrie.
Dienstag war „Damentag“. Da hatten Frauen freien Eintritt, aber viele Sprüche waren wenig „ladylike“: „Schurli, reiß eahm die Brust auf und scheiß eahm aufs Herz!“ Oder: „Sauf eahm a Aug aus, des andere lass eahm zum Weinen!“ Viele Wiener gebrauchen bis heute die Redewendung: „Mir san ja net am Heumarkt.“ Die geflügelten Worte dienen als radikale Ermahnung, wenn schlechtes Benehmen im Spiel ist.
Schurl Blemenschütz (geb. 1914) verschied hochbetagt im Jahr 1990. Er ist in Wien in einem Ehrengrab bestattet.
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