Randvolle Stadthalle

Harry Styles: Die Zukunft des Pop ist inklusiv

Wien
17.07.2022 06:00

Seit Monaten war der Auftritt von Pop-Superstar Harry Styles in der Wiener Stadthalle restlos ausverkauft. Rund 11.000 Fans hatten Platz, Hunderte mehr versuchten es bis zum letzten Moment, noch irgendwie beim Gig des Jahres dabei zu sein - und fürwahr: Der Brite bewies eindrucksvoll, dass die Zukunft des Pop freundlich und inklusiv ist. Der Superstar am Podest hat ausgedient.

All die Stars von gestern (The Killers), vorgestern (Guns N‘ Roses) oder vorvorgestern (The Rolling Stones), die diese Woche durchaus souverän in Wien reüssierten, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gegenwart und Zukunft der Populärmusik erst am Samstagabend auf die Bühne stieg. Harry Styles wurde zwar nicht über Nacht, aber doch ziemlich rasant zum derzeit wohl größten männlichen Popstar unter 30 und wird vielleicht bald am Thron von Ed Sheeran kratzen. Auf seiner „Love On Tour“, die ja schon lange vor Corona geplant war, spielt er viel zu kleine Hallen. Dazwischen ist schon zu viel passiert. Mit nur 11.000 Fans ist die Wiener Stadthalle seit Monaten restlos ausverkauft. Glückliche Kartenbesitzer übernachteten bei angenehmen Sommertemperaturen vor der Venue, die Hoffenden stellten sich bis kurz vor Beginn zu Dutzenden an der Abendkassa an, um vielleicht doch noch Glück zu haben. Wiederum andere haben auf illegalen Plattformen Tickets zu horrenden Preisen erworben, wurden abgewiesen und erstatten Anzeige bei der Polizei.

Macht, was ihr wollt
Man hat’s nicht so leicht mit Hypes, und Styles hätte womöglich schon in diesem Jahr relativ adäquat das Happel-Stadion füllen können. In Hamburg waren sie beim Hochverlegen schneller und 50.000 aus aller Herren Länder feierten seine Mischung aus Pop, Inklusion, Rock und metapherngeschwängerter Umarmung, die eine ganze Generation zum Ausflippen bringt. Allzu gerne vergleicht man ihn aufgrund seiner Vergangenheit bei der Boyband One Direction mit Ex-Take-That-Mitglied Robbie Williams, doch das umfassende Potenzial ist bei Styles ein gänzlich anderes. Er brilliert nicht nur mit starken Songs, einem sicheren Auftreten und einer beneidenswerten Stimme, sondern als inkludierendes Sprachrohr einer ganzen Generation. „Eure Aufgabe ist es, so viel Spaß wie möglich zu haben“, teilt er nach dem dritten Song „Adore You“ tänzelnd auf dem Bühnensteg mit, „singt, tanzt, lacht, seid, wer immer ihr schon immer sein wolltet.“

Das Gefühl der kollektiven Freiheit geht sofort auf die vornehmlich Minderjährigen bis Jungerwachsenen über. Der Kreischpegel erreicht Justin-Bieber-Dimensionen, das Zusammenspiel zwischen Publikum und Künstler ist enger als üblich. Einem Lukas widmet Harry das akustische „Boyfriends“, nach „Satellite“ betätigt er sich als Paartherapeut und schlägt einem Paul aus der Ferne vor, für seine Liebe zu kämpfen. Leonie bittet auf einem selbst gebastelten Schild darum, dass ihr Harry beim Outing helfen möge. Dieser nimmt die Pride-Flagge, schwingt sie über seinen Kopf und „tauft“ die zu Tränen Gerührte priesterlich als offiziell geoutet. Die losen Parallelen zu einem Nick Cave erkennt man auch in der gestischen Überreizung. Spätestens beim Teil mit „und nun fasst euch alle an den Händen und sagt eurem Gegenüber links und rechts, dass ihr ihn liebt“, kriegt die Chose einen bitteren Sektenanstrich - zum Glück macht die Musik diese temporäre Verirrung schnell wieder wett.

Die Substile zusammenhalten
Sein famoses, fast global auf die eins gegangenes Album „Harry’s House“ macht nicht weniger als die Hälfte des Sets aus. Das kann sich Styles anhand der Hit-Dichte locker erlauben. Das einleitende „Music For A Sushi Restaurant“ etwa lässt ein Gitarrensolo so lässig in den Mainstreampop-Grundsound grätschen, dass es eine einzige Freude ist. „Cinema“ ertönt smooth und mit viel Funk in den Strophen und das akustisch vorgetragene Duo „Matilda“ und „Boyfriends“ erinnert an einen großen Amerika-Sound, der sich aus den Wurzeln des 60er-Jahre-Folk-Pop nährt. Harry, mit Kiwi-Shirt und schwarz-weißer Karohose ausgestattet, hält diese klanglichen Verquerungen mit seiner markanten Stimme und der unnachahmlichen Präsenz zusammen. Seine sechsköpfige Band, zu einem Großteil weiblich, agiert präzise und spielfreudig, aber das tobende Auditorium hat nur Augen für seinen Helden.

Im Direktvergleich zu anderen Teenie-Pop-Helden gelingt Styles der Spagat, gleichermaßen Kids, Adoleszente und Ältere mitzunehmen. Steife Boomer, die sich in ihrer Welt noch immer als progressiv und fortschrittlich wahrnehmen, werden sanft ins Jetzt geholt und durch seine einnehmende Ausstrahlung nicht mit Entwicklung attackiert, sondern dazu eingeladen. Die dreistufige Bühne leuchtet im Ukraine-Blau-Gelb, auf der großen Videowall wird immer wieder mit bunten Farben und psychedelischer Bildsprache gespielt und das gockelhafte Stolzieren und die flatternde Federboa kennen die Älteren noch aus ihrer eigenen Jugend, als Mick Jagger und David Bowie gängige Strukturen aufbrachen. Harry Styles ist eine fleischgewordene Message. Seine Songs, die Inhalte, seine Zwischenansagen und das gesamte Bühnenbild kämpfen aktiv gegen Verkrustung an und laden zum großen Miteinander.

Keine Schramme im Profil
Er gibt Kusshände, bedankt sich mehrmals und überschwänglich in allergrößter Demut und fährt sämtliche Geschütze auf. „Treat People With Kindness“ und der One-Direction-Hit „What Makes You Beautiful“ verbinden sich als Disco-Mash-up, „Watermelon Sugar“ bringt Partystimmung und bei „Medicine“ lässt er einmal ungezügelt den Rocker aus, was ihm ausgesprochen gut zu Gesicht steht. Unschlagbar natürlich die beiden größten Hits. „As It Was“, vielleicht das Lied des Jahres, geht im Fan-Gekreische fast unter, die Mega-Ballade „Sign Of The Times“ ist ein neuzeitlicher Klassiker in derselben Liga wie „November Rain“. Statt Unterwäsche fliegen 2022 Pride-Flaggen auf die Bühne. Kann denn so viel Freundlichkeit wahr sein? Ist Harry Styles die leibhaftige Personifizierung von „Muttis Bester“? Vielleicht nicht ganz. Nach „Cinema“ versucht er in einem kurzen Energieanfall einen herzförmigen Luftballon zu zertreten - und scheitert. Noch nicht einmal das Schicksal gewährt dem 28-Jährigen eine Schramme im makellosen Profil. Wir freuen uns schon auf die große Stadionshow.

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