Live in der Stadthalle

Wanda: Kein Grund, sich das Hirn rauszuschießen

Wien
18.06.2022 01:48

Mehr als zwei Jahre mussten Fans und Band auf diesen Abend voller Liebe und Gemeinsamkeit warten - rund 12.000 sind gekommen, um mit ihren Helden Wanda „Amore“ zu zelebrieren. Am Samstag werden es wohl genauso viele werden, und es gibt noch Restkarten. Ein Besuch sei wärmstens empfohlen, denn Marco Wanda und Co. haben in der erzwungenen Pause ordentlich Kraft getankt, wie sie am Freitagabend bewiesen.

So schön beieinander wie diese Woche war die Staffelübergabe in der Austro-Musik noch nie. Noch vor zwei Tagen begeisterte Wolfgang Ambros hüftsteif, aber herzhaft und gutgelaunt mit einem Best-Of-Set der Austropop-Historie, das sich gewaschen hat. Zwei Tage später sind die Thronfolger Wanda am Start und geben dem musikalischen Treiben noch eine kräftige Packung Rock’n’Roll mit auf den Weg.

„Oida, zwei fucking Jahre“, entfleucht es einem erleichterten und enthusiasmierten Marco Wanda nach dem dritten Song „Lascia mi fare“, und jeder der rund 12.000 Anwesenden weiß, dass man den Satz nicht mehr zu erweitern braucht, um Bescheid zu wissen. Zu dieser Zeit sind gerade einmal zehn Minuten gespielt und das Quintett hat sein Publikum voll im Griff. „Haben die wirklich jetzt schon ,Bussi Baby‘ verschossen?“, kann es meine Sitznachbarin nicht glauben, dass der Top-Hit schon an zweiter Stelle gespielt wird. Doch, wurde er. Das markante Selbstvertrauen steht den Wienern aber gut zu Gesicht.

Nicht alles sitzt
Mutig auch die Entscheidung, das nicht rundum beliebte „Die Sterne von Alterlaa“ an den fulminanten Eröffnungsreigen zu reihen. Tatsächlich gibt es einen ersten, aber nur sehr kurzen Stimmungsknick. Experimentierfreudigkeit, Weiterentwicklung und Co. zum Trotz - irgendwie zündet die Nummer auch auf lange Sicht nicht so richtig. Doch wer in so wenigen Jahren so viele Hits geschrieben hat, der kann auch mit umstrittenem Feedback umgehen.

Wanda anno 2022 sind auf der Bühne stark verändert. Gitarrist Manuel Poppe brach sich unglücklich das Bein und spielt mit Gipsfuß im Sitzen, Keyboarder Christian Hummer fehlt schon seit geraumer Zeit ohne genauere Erklärung und an der Front nimmt Haus-und-Hof-Produzent Paul Gallister das Stromruder an die Hand und weiß gut damit zu umgehen - etwa bei einem üppigen Solo zur neuen Single „Rocking In Wien“, die noch am ehesten die Wanda-Luft der alten Tage atmet.

Die lange Livepause hat Menschenfreund Marco Wanda sichtlich mitgenommen. So schmähstad und schlichtweg baff war er noch nie. Anstatt zu witzeln oder ausführliche Geschichten zu erzählen, füllt die Band ein mehr als zweistündiges Set mit allerlei musikalischen Preziosen, was man ihr hoch anrechnen muss. Schon kurz nach Konzertbeginn stellt der Frontmann die Streicherfraktion und das Saxofon vor, die im Laufe des Sets aber leider untergehen und viel zu leise gemischt sind. Dafür wummert das Schlagzeug von Valentin Wegscheider, als gäbe es kein Morgen mehr.

Ob es an der Stadthallenakustik oder dem eigenen Bandsound liegt - gerade am Anfang und auch im letzten Drittel verwässert der Lärm so manch schönes Detail der melodischen Songs. Angesichts des stimmungsvollen Triumphzugs ist das freilich Kritik auf sehr hohem Niveau, doch gerade in den Momenten der feinen Klinge ist im Wanda-Bandcamp noch Nachholbedarf gegeben.

Kein Grund für das Loch
Dass es auch anders geht, beweist ein die Halle durchflutendes Lichtermeer beim intensiven „0043“, eines der vielen Highlights, die man an einer Hand gar nicht abzählen kann. Da wäre die herzliche Interaktion des Frontmanns mit dem Publikum, die am Ende zu einem veritablen Stagedive führt. Oder da wäre ein von der brandneuen Single „Va Bene“ eingeleitetes Psychedelic-Rock-Manifest, das sich weder vor klanglicher Wucht und einem Saxofon-Solo, noch vor dichtem Bühnennebel und ungewohnter Härte fürchtet.

„Ohne euch hätten wir uns das Hirn rausgeschossen“, bedankt sich Marco auf seine eigenwillige Art beim Jubel des Publikums, doch wahrscheinlich ist das gar nicht so falsch. „Ich falle in ein tiefes Loch“, heißt es im intensiven „Wenn ich zwanzig bin“ und man merkt und spürt, die Masse holt ihren Star mit jedem Schrei, jedem Jubel und jedem Applaus aus ebenjenem wieder raus zurück ins Leben.

Bei „Rocking In Wien“, es ist ein bisschen nach Halbzeit im feurigen Set, fragt der Sänger interessiert ins Auditorium, wer denn schon bei den Bandanfängen in den Gürtellokalen dabei gewesen sei, und viel zu viele Hände gehen in die Höhe, denn sie alle hätten dort niemals Platz gehabt. Er spricht über die „Mainstream-Mitläufer“ und die „billigen Plätze“, aber freilich immer mit seinem bübisch-charmanten Humor und dem unverkennbar süffisanten Lächeln, das stets inkludierend und nicht spaltend gemeint ist.

Auch Tagespolitisches findet seinen Platz. Das Bob-Dylan-Cover „Blowin‘ In The Wind“ lässt er schon zu Beginn zum feministischen Statement ausarten, am Ende fordert Wanda auch einen solidarischen Applaus für die sterbenden Menschen in der Ukraine ein. Echte Pop- und Rockmusik funktioniert eben nicht ohne eine gesellschaftspolitische Note, und wer „Amore“ erreichen und verbreiten will, muss eben auch erst einmal dafür sorgen, dass sie möglich ist.

Große Geste beherrscht
„Gib mir alles“ ist das Motto des Abends, und beide Parteien auf und abseits der Bühne erfüllen diese Aufforderung mit Bravour. Als die Extended-Version von „Ich will Schnaps“ nach einer Improvisationsexplosion in die Zielgerade gerät, sind gut 100 Minuten Konzertvergnügen um und es fehlen noch immer die ganz großen Singles. „Bologna“, ein ausuferndes „Columbo“ und der Stimmungsmacher „1, 2, 3, 4“ beweisen, dass Wanda auch die große Geste aus dem Effeff beherrschen und der Sprung von der Wiener Arena in die Stadthalle keine Sekunde zu früh passierte.

Vor allem aber versucht Marco Wanda trotz allem Bewusstsein für moderne Strömungen und Trends das Gefühl der alten Tage am Leben zu erhalten. Ob er sich dafür in der Halle eine Zigarette anraucht, beim Sprung ins Auditorium mit der Masse eins wird oder seine Gitarre und den Mikroständer zertrümmert - diesen Einsatz im Dienst des Rock’n‘Roll kann man ihm nicht hoch genug anrechnen.

Wer noch nicht genug hat und sich von den Fertigkeiten der Hit-Lieferanten selbst überzeugen will, der hat am Samstagabend eine weitere Chance in der Wiener Stadthalle. Tickets an der Abendkassa sind noch erhältlich. Am 9. Juli spielen Wanda auf der Linzer Donaulände, am 16. Juli in der Grazer Freiluftarena B und am 20. August am Freigelände des Wörthersee Stadions. Alle Infos und Karten für die Wanda-Shows gibt es unter www.oeticket.com.

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