GUTEN MORGEN

Virus bleibt | Stoppel in der Flasche

Bundesparteitage geraten schnell in Vergessenheit, selbst wenn es die Partei des regierenden Bundeskanzlers ist und auch wenn dabei ein neuer Chef gewählt wird. Der ÖVP-Sonderparteitag vom vergangenen Samstag aber ist dazu angetan, nicht allzu vergessen zu werden. Dafür sprechen zwei Punkte: Erstmals wurde ein ÖVP-Chef mit unglaublichen 100 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt. Mehr noch hängen bleibt allerdings ein Sager des „Mr. 100 Prozent“, der ihm nun an den Händen klebt. „So viele in einem kleinen Raum, so viele Viren. Aber jetzt kümmert es uns nicht mehr“ - damit hatte Nehammer die Gäste begrüßt. Und diesen Satz wird er, wie es ausschaut, auch nicht mehr los. Wenn man selbst im Parteitags-Saal dabei war, wird man immer wieder gefragt, was den Kanzler denn da geritten habe. Meine Vermutung: Er stand nervös im heißen Saal vor einer unübersehbar großen Menge an Parteifreunden, deren Stimmen es für ihn zu gewinnen galt. Sie saßen vor ihm dicht an dicht wie die Sardinen, so gut wie keiner mit Maske. Der Eröffnungssatz - er dürfte weniger wohlvorbereitet, als spontan entfleucht sein. Im Bestreben, ein bisschen flapsig auf die in der Menge mutmaßlich herrschende Stimmung einzugehen. Tatsächlich kam der Sager in der Halle recht gut an, er hat, wenn schon nicht mitgeholfen, so doch zumindest nicht verhindert, dass Nehammer die Stimmen aller einheimste. Was nicht mitkalkuliert war: Dass beim Parteitag nicht nur Parteifreunde, sondern auch Journalisten sitzen. (Und nebenbei der Parteitag per Streaming auch weltweit live verfolgbar war). Und so mancher dieser neutralen oder auch kritischen Beobachter diesen flapsigen Satz nicht witzig, sondern zumindest für bedenklich, vielmehr sogar gefährlich hält. Aber ist erst der Geist einmal aus der Flasche…  

Stoppel in der Flasche. Nein, einfangen kann Nehammer seinen „Kümmert-uns-nicht-mehr“-Sager nicht mehr. Allein in der heutigen Ausgabe der „Kronen Zeitung“ beschäftigen sich mittlerweile drei Tage nachdem der Satz fiel, zwei Kolumnisten damit. „Postler“ Michael Jeannée geht beinhart mit Nehammer ins Gericht, wenn er unter anderem schreibt, dieser Satz mache „sprachlos“, er rufe Entsetzen hervor. Der Kanzler habe damit Corona „wie eine tote Oktoberfliege zur Seite geschoben.“ Er habe es ohne jedes Gespür gesagt - „jenseits der Sorgen, Nöte und Ängste der Bevölkerung“. Ja, tatsächlich ist noch längst nicht die Zeit angebrochen, wo uns das Virus „nicht mehr kümmert“. Aber letztlich ist das eh auch dem Mr. 100 Prozent klar. Zwar ging er in seiner langen Rede nicht wirklich vertiefend auf die Corona-Bewältigung ein (aber das tat er ohnehin bei kaum einem Thema). Aber immerhin erwähnte er schon, dass wir bei Corona wohl nur eine „Verschnaufpause“ hätten. Aber, wie wir wissen: Ist der Geist erst einmal aus der Flasche… Von einem Bundeskanzler wird eben erwartet, dass er den Stoppel in der Flasche halten kann.

Einen schönen Dienstag!

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