Ministerin & General

„Werden brutal in die Wirklichkeit zurückgeholt“

Politik
20.03.2022 09:00

Ukraine, Neutralität und der Kalte Krieg: Die „Krone“ hat Ministerin Klaudia Tanner (ÖVP) und Generalstabschef Robert Brieger - also die zivile und die militärische Führung des Bundesheeres - zum großen Doppelinterview getroffen.

Kronen Zeitung: Frau Minister, in den Sicherheitspolitischen Vorschauen der letzten Jahre ging es um Cyber-Abwehr, Terror und Naturkatastrophen. Russland war immer nur eine Randnotiz. Haben wir da etwas übersehen?
Klaudia Tanner: Am 24. Februar ist eine Zeitenwende eingetreten, so etwas galt in Europa als unvorstellbar. Erst ab dem Zeitpunkt, als kurz vor Kriegsbeginn Blutkonserven verlagert worden sind, haben sich die Hinweise verdichtet. Bereits im Risikobild 2030 meines Ressorts haben unsere Experten die Konfrontation zwischen Europa und Russland schon für möglich gehalten bzw. eingestuft, aber ganz sicher nicht auf diese Art und Weise.

Herr General, ein konventioneller Krieg auf europäischem Boden - wie überrascht waren sie davon?
Robert Brieger: In dieser Intensität war auch ich überrascht. Generell war ich aber immer der Auffassung: Wenn militärisches Potenzial verfügbar ist, und die politische Konstellation etwa wie in Russland mit einem repressiven Autokraten gegeben ist, dann kann dieses militärische Potenzial auch früher oder später zum Einsatz kommen.

Sollte sich dieser Konflikt innerhalb Europas ausweiten, wie legen wir unsere Neutralität aus?
Tanner: Die Neutralität ist klar geregelt, daran gibt es nichts zu rütteln. Wir sind allerdings jetzt schon aufgrund unseres Beitrittes zur Europäischen Union in einer gemeinsamen Verteidigungspolitik mit den anderen Staaten und engagieren uns da sehr. Ich denke da etwa an internationale Missionen am Westbalkan. Unsere Neutralität aber müssen wir verfassungsmäßig leben, und da sind wir bei der militärischen Landesverteidigung.

Bis in die späten 80er-Jahre sah unser Raumverteidigungskonzept vor, dass wir uns auch vor NATO-Staaten schützen - also etwa mit Passsprengungen gegen Italien. Wie ist denn das heute zu bewerten?
Brieger: Aus meiner Sicht genauso wie damals: keine Beteiligung an Kriegen, keine fremden, kriegsführenden Streitkräfte in Österreich, aber durchaus Kooperationen auf europäischer Ebene, auch mit der NATO im Rahmen der Friedenspartnerschaft. Was die Ukraine-Krise besonders betont, ist, wie wichtig der militärische Schutz dieser Neutralität ist.

Wie halten Sie es mit NATO-Transporten durch Österreich? Sind wir jetzt schon „strategische Drehscheibe“ des Bündnisses?
Tanner: Wir halten uns an die gesetzlichen Regelungen, da wird jeder Einzelfall, jeder Überflug gemeinsam mit dem Außenministerium geprüft.
Brieger: Und nachdem sich die NATO nicht im Krieg mit einer der beiden Parteien befindet, gibt es hier keinen Neutralitätsbruch.

Stichwort Miliz, die mit rund 25.000 Mann den personell größten Teil des Bundesheeres stellt. Diese übt aktuell selten, und wenn, dann oft mit Schwerpunkt Assistenzeinsatz, also eher unmilitärisch. Wird sich hier durch die Krise etwas ändern?
Tanner: Wir mussten bereits nachschärfen, haben viel bei der Mannesausrüstung getan, etwa bei Sicherheitsholstern.
Brieger: Ich muss ergänzen: Die Miliz hat nicht nur Assistenzeinsätze geübt, sondern auch Schutz kritischer Infrastruktur.

... in enger Kooperation mit dem Innenministerium.
Brieger: Ja. Es geht aber auch darum, die Qualität der Übungen zu erhöhen, durch den Zulauf von mehr Material. Soldaten, die gut ausgerüstet sind, werden sich eher zu freiwilligen Übungen melden. 
Tanner: Ohne unser Programm „Mein Dienst für Österreich“, mit 6+3 Monaten Dienst und hohen finanziellen Anreizen, wären einige Assistenzeinsätze nicht möglich gewesen. Aber auch im Bereich der Miliz ist seit dem 24. Februar vieles neu zu denken und auszubauen, darunter auch die Milizübungstätigkeiten.

Zuletzt war das Bild des jungen Soldaten in Österreich ein sehr „ziviles“: Corona-Kontrollen am Flughafen, Grenzschutz gemeinsam mit der Polizei, Katastropheneinsatz, Pistentreten. Wird sich dieses Bild - auch durch den Ukraine-Konflikt - wieder ändern?
Tanner: Die von Ihnen angesprochenen Tätigkeiten sind unheimlich wichtig für die Bevölkerung. Aber es stimmt, wir müssen daran arbeiten, dass wir ein attraktiver Dienstgeber sind.
Brieger: Ich glaube, beides ist wichtig: Die massiven Assistenzen waren der Corona-Krise geschuldet, sie haben viel positive Reputation in der Zivilbevölkerung gebracht. Wir sind die „strategische Reserve der Republik“, die hier einspringt. Auf der anderen Seite müssen wir wieder die militärische Landesverteidigung glaubhaft vermitteln. Das ist über die Jahre in den Hintergrund geraten, wir werden gerade sehr brutal in die Wirklichkeit zurückgeholt.

Für die Landesverteidigung soll es jetzt auch deutlich mehr Geld geben - fast doppelt so viel wie bisher. Kommt das Prinzip „Gießkanne“, weil es an allen Ecken und Enden fehlt? Oder gibt es schon eine Prioritätenliste?
Tanner: Wir beginnen ja nicht bei Null. Wir haben Pakete gebildet, fußend auf dem „Risikobild 2030“. Die Schwerpunkte liegen im Bereich Cyber, ABC, Katastrophenschutz - diese Dinge sind längst vorbereitet. Um alle dringend notwendigen Investitionen weiter umsetzen zu können, brauchen wir beginnend ab diesem Jahr ein Prozent des BIP, und dieser Wert muss weiter steigen.
Brieger: Wir haben schon 2019 umrissen, was wir brauchen. Schutz der Infanterie durch Radpanzer und Mannesausrüstung zum Beispiel, oder Flieger- und Drohnenabwehr. Aber auch der große Bereich der Autarkie und Resilienz, Stichwort „Blackout“, oder der schon angesprochene Cyber-Bereich. Ich sage aber dazu: Das heißt nicht, dass das Bundesheer kaputt ist, wenn wir das Paket nicht bekommen.
Tanner: Wir haben es immer so gesehen: Wir investieren beginnend beim Schutz des Soldaten, bei seiner Ausrüstung und bei der Infrastruktur in den Kasernen. Selten hat es so viele Spatenstiche zu Umbauten gegeben wie in den letzten zwei Jahren. Darauf ist aufzubauen.

Wir haben uns im Vorfeld zu diesem Gespräch mit hochmotivierten Unteroffizieren unterhalten. Die lieben ihren Job, die wollen nichts anderes machen. Der größte Leidensdruck, der bei ihnen entsteht, sind Lebensqualitäts-Themen: Wochenlang unter Acryldecken in alten Kasernen schlafen, während daheim die Familie sitzt, geht aufs Gemüt. Wie hält man so Leute, die man schon hat?
Tanner: Genau das ist es, was wir tun. Die Kaserne Ried zum Beispiel. Das sind Zustände, die gehen so nicht, da investieren wir jetzt 40 Millionen Euro. In Langenlebarn sind wir fertig, das sind Gebäude, die sich die Soldaten auch verdienen. Wir haben 273 militärische Liegenschaften, wir können nicht alles gleichzeitig machen. Aber wir haben damit begonnen, das ist eine absolute Priorität.

Die Eurofighter stoßen aktuell an ihre Grenzen, die Ukraine-Krise legt hier gerade ein paar Schwächen - Stichwort Einsatzbereitschaft - offen. Wie gehen Sie damit um?
Tanner: Der Absturz der Drohne in Zagreb hat hier Ängste geweckt. Unsere passive und unsere aktive Luftraumüberwachung funktioniert aber. Nicht auf die kostengünstigste Art, das muss man offen sagen. Hier ist vieles der Vergangenheit geschuldet. Wer kann sich nicht an den Spruch erinnern „Sozialfighter statt Eurofighter - hier fliegt Ihre Pension“? Wir haben aber investiert in dem Bereich, besonders bei der passiven Luftraumüberwachung, also bei Radargeräten.
Brieger: Wenn es eine markante Budgeterhöhung gibt, kann man auch wieder in die Richtung Zwei-Flotten-Lösung denken, also so, wie es bis vor Kurzem mit dem Saab 105 in Linz zusätzlich zum Eurofighter war. Wenn das nicht möglich ist, müssen wir die aktuelle Lösung weiterentwickeln. Leider ist die Einführung komplexer neuer Systeme eine sehr zeitintensive Angelegenheit.

Bilder: Jugoslawien-Krieg rückte 1991 bis an unsere Grenze

Frau Bundesminister, im Kalten Krieg waren Sie gerade im Bundesrealgymnasium Scheibbs. Wie haben Sie die Zeit damals erlebt?
Tanner: Die Erinnerung ist jetzt wieder aufgekommen, als ich mit einem meiner Vorgänger gesprochen habe. Wir haben uns die Frage gestellt, was damals anders war, ob man die Miliz hätte aufbieten müssen - dabei sind diese Bilder wieder hochgekommen. Es gibt sehr viele, bei denen diese Eindrücke aus dem Kalten Krieg jetzt wieder hochkommen.
Brieger: Wir waren 1991 überrascht, wie rasch und klar sich die österreichische Bundesregierung zu einem militärischen Einsatz aufgrund der Jugoslawien-Krise bekannt hat. Ein klares Signal: Österreich wird nicht zulassen, dass Kampfhandlungen auf österreichisches Gebiet übergreifen.

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