Armut in Österreich

1,5 Millionen Notleidende: Ein Auftrag zu handeln

Österreich
30.07.2021 06:02

17,5 Prozent der Österreicher sind arm oder armutsgefährdet. Die Pandemie hat die Lage weiter verschärft. Zeit, etwas dagegen zu tun.

Auch wenn es die Zahlen in den einzelnen Bereichen wohl erst in ein, zwei Jahren widerspiegeln - Hilfsorganisationen und Co. bemerken es sofort: Die Pandemie wirkt sich nicht nur bei jenen aus, denen es bereits vor Corona schlecht ging, sondern auch auf jene, die sich und ihre Lieben bisher gut versorgt wussten. Und da waren die von der Regierung auf den Weg gebrachten Einmalhilfen - wie etwa die 656 Millionen Euro für Familien - und Unterstützungsprogramme - z.B. die 1,1 Milliarden Euro für Selbstständige und Künstler - zwar der Sache dienlich, aber eben nur kurzfristig.

Von den 1,5 Millionen Österreichern, die als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet gelten, mangelt es 233.000 Personen konkret an dem Notwendigsten. „Ein Auftrag zu handeln“, meint auch Sozialminister Wolfgang Mückstein. Existierende Lücken müssten geschlossen, Härten entschärft werden. Er will etwa betreffend des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes die Forderungen der Soziallandesräte „nach mehr Spielraum bei der Sozialhilfe“ unterstützen.

Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl sieht Sozial- und Notstandshilfe im Land als „einfach zu gering“: Dies müsse behoben werden, sagt sie. Ebenso schon eine lange Forderung der AK: die Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent. Anderl geht es vor allem um die Bekämpfung von Kinderarmut: Familien bräuchten genug Geld zum Leben, Chancengerechtigkeit im Bildungssystem und leicht erreichbare Beratungs- und Unterstützungsangebote. Und damit ist die AK ja nicht allein, Ähnliches fordern Experten und Helfer schon längstens.

Im Regierungsprogramm festgelegtes Ziel ist, die Armut im Land zu halbieren. Dazu braucht es laut Mückstein „Maßnahmen in allen Ressorts“ und „Zusammenarbeit mit Ländern und Sozialpartnern“. Schöne Worte, schöner Gedanke. Man darf gespannt sein, wie viel Gemeinsamkeit es in der Regierung letztlich im Kampf gegen Armut geben wird.

„Kommen, sobald es schwierig wird“
Die Armut hat sich verändert: „Sie trifft mehr und andere Gesellschaftsgruppen“, weiß Diakonie-Sozialexperte Martin Schenk. Er erklärt, warum.

„Krone“: Wie haben sich Armut und davon Betroffene verändert?
Martin Schenk: Vor 20 Jahren waren es noch die gesellschaftlichen Randgruppen. Heute trifft es viel mehr, wir sehen vor allem Probleme bei Wohnen, Gesundheit, Arbeit.

Was stimmt mit der Arbeit nicht?
Wir brauchen Jobs, von denen man leben kann. Das ist nicht immer so. Wer sein Leben lang in prekären Jobs arbeitet, wird keine existenzsichernde Pension zusammenbekommen, Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sind so gering, dass man bei Jobverlust davon keinen Tag überleben kann.

Was ist bei Wohnen und Gesundheit problematisch?
Wohnen wird zunehmend unleistbar, gerade für Familien mit niedrigem Einkommen wie Alleinerzieher, Mehrkindfamilien. Die Mieten im Privatsektor sind gestiegen, im sozialen Wohnbau hat sich zu wenig getan. Bei der Gesundheit fehlt es z.B. an 50.000 bis 70.000 Kinder-Therapieplätzen in verschiedenen Bereichen. Viele dieser Kinder leiden jetzt auch unter der gekürzten Sozialhilfe. Sie brauchen aber eine gute Mindestsicherung, die Chancen gibt.

Wirkt sich die Krise aus?
Wenn die Konjunktur anzieht, werden viele wieder Jobs bekommen, als Erstes aber nicht Ältere, Kranke, Beeinträchtigte. Die Sockelarbeitslosigkeit steigt zeitverzögert, das werden wir in ein, zwei Jahren sehen.

Was kann der Einzelne gegen Armut tun?
Wer sich gerne engagieren möchte: Es gibt bei Hilfsorganisationen so viele Möglichkeiten dafür!

Und was der Betroffene?
Ich weiß, es ist schwer, aber sobald es schwierig wird, so schnell wie möglich in die Beratung kommen bzw. anrufen. Je schneller, desto mehr kann man machen.

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