Streitfrage Prävention

Der Fall Leonie und das Protokoll des Versagens

Österreich
05.07.2021 06:00

Nach der Tötung einer 13-Jährigen sind afghanische Flüchtlinge unter Verdacht. Wie konnte es so weit kommen? Wer ist verantwortlich, und wie soll man mit dem Problem umgehen?

Die großen Worte der letzten Tage sind „Wut“ und „Trauer“. Gesprochen von Innenminister Karl Nehammer bzw. Justizministerin Alma Zadić. Debatten um Verantwortung sind längst im Gange. Fest steht: Es handelte sich um ein Versagen auf mehreren Ebenen. Warum sind solche Leute hier?

Der mehrfach verurteilte Hauptverdächtige, ein Afghane, lebte in einer betreuten Wohneinrichtung. Kontrollen durch die zuständige MA 11 fanden telefonisch oder vorangekündigt statt, wie die „Krone“ berichtete. Also eher sinnbefreit. Eine Ebene darüber hüllt man sich in Schweigen. Das Bundesverwaltungsgericht hätte laut Experten innerhalb von sechs Monaten nach der Verurteilung 2019 entscheiden müssen.

Warum das nicht geschehen ist? Eine Antwort war am Sonntag auf Anfrage nicht zu bekommen.

Unerträglich und nur schwer erklärlich
Die Polizei schnappte drei Verdächtige. Einer 16, einer 18, und ein 23-jähriger, der 2020 u. a. wegen geschlechtlicher Nötigung und Körperverletzung verurteilt worden war. Ein vierter verdächtiger Afghane ist auf der Flucht. Auch er verurteilt. Eine unerträgliche Situation.

Sarajuddin Rasuly ist seit Jahrzehnten in Österreich. Er stammt aus Afghanistan. Ist promovierter Politologe und Gerichtsdolmetscher. Er findet klare Worte. „Das getötete Mädchen hat wohl Anschluss gesucht. Das haben diese Kriminellen ausgenutzt.“ Und weiter: „Wenn junge Afghanen kommen und mehrere Straftaten begehen, sollte man sie abschieben. Die sind nicht zu integrieren. Wenn die rauskommen, werden sie wieder kriminell.“

Zitat Icon

Bis zur Flüchtlingswelle 2015 waren die Afghanen unauffällig. Dann kamen auch Kriminelle. Diese Leute sind abzuschieben.

Sarajuddin Rasuly, Afghanistanexperte

Das Problem, das Menschenrechtsexperte Manfred Nowak benennt: Abschieben ist nicht immer so einfach. Nämlich dann, wenn im Herkunftsland Folter und Verfolgung drohen. Wie in Afghanistan, wo die Taliban wieder auf dem Vormarsch sind. Rasuly: „Der Westen wird denen dennoch nicht das ganze Land überlassen. Daher könnte etwa Kabul weiter für Abschiebungen von Kriminellen infrage kommen.“

Große Versprechen für eine bessere Zukunft
Es sei traurig, sagt Politologe Sarajuddin Rasuly, denn es gebe so viele gut integrierte Afghanen, die in verschiedenen Berufen vieles leisten. Warum seine Landsleute so auffällig sind? „In Afghanistan werden Frauen permanent begrapscht. Junge Männer lernen keinen Umgang mit dem anderen Geschlecht. Überdies versprechen ihnen die Schlepper, dass sie in Europa schöne Frauen haben und gut leben können.“

Viele kämen schon kriminell, meist geübt im Drogenhandel. Dies werde dann zum Dauerzustand. Zudem seien viele - im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen, etwa aus Syrien - Analphabeten. „Damit irgendeine Art von Integration klappen kann, muss man zuerst die Sprache lernen.“ Da wird wohl keiner widersprechen.

Daten & Fakten

  • Wird der Asylantrag angenommen, ist der Antragssteller anerkannter Flüchtling. Wird festgestellt, dass keine klassischen Asylgründe vorliegen, Leben, Sicherheit oder Freiheit dennoch bedroht sind, wird laut EU subsidiärer Schutz gewährt. Der Status kann wegfallen, wenn sich die Situation im Herkunftsland bessert. Es entscheidet wie beim Asylverfahren das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, angesiedelt im Innenministerium.
  • Straffälligkeit ist seit 2017 zwingender Grund für ein Asyl-Aberkennungsverfahren. Dies gilt auch, wenn die Staatsanwaltschaft eine Anklage einbringt oder U-Haft verhängt. Subsidiärer Schutz wird nach schweren Verbrechen aberkannt, ein Aberkennungsverfahren gibt es ebenso nach einer rechtskräftigen Verurteilung durch ein Landesgericht sowie bei wiederholter Straffälligkeit.
  • In Österreich leben rund 44.000 Afghanen. 2020 wurden 4877 davon straffällig, pro Kopf gerechnet ein sehr hoher Wert.

„EU scheitert bei großen Krisen“
Differenzierung. Dies wünscht sich Menschenrechtsexperte Nowak. Zurzeit werde vieles vermischt. „Wer ein Verbrechen in Österreich begeht, muss hier auch die Strafe verbüßen. Wenn ich in Afghanistan ein Verbrechen begehe, werde ich auch dort belangt.“ Abschieben sei wieder eine andere Sache. „Das kann parallel laufen. Aber wo Folter, Verfolgung oder Tod drohen, ist das nicht erlaubt. Das besagt Artikel 3 der Menschenrechtskonvention.“ Die internationale Gemeinschaft ziehe sich in Afghanistan zurück, mit den Taliban könne man nicht verhandeln.

Präventiv agieren sei schwierig. Afghanen oder Tschetschenen sind in gewissen Bereichen der Strafstatistik auffällig. Die Behörden könnten sie durchaus intensiver beobachten. „Was wir erleben, ist der multikulturellen Situation geschuldet. Menschen aus verschiedenen Kulturen und Religionen kommen zusammen.“

Aktuell Schuldige zu finden, sei der falsche Zugang. „Das Bundesverwaltungsgericht arbeitet meiner Einschätzung nach korrekt und konsequent.“ Ein Problem sei das Dublin-Verfahren. Es besagt, dass derjenige dort bleiben soll, wo er zuerst gelandet ist. „Das ist meist Griechenland, wo Bedingungen für die Flüchtlinge nicht tragbar sind. Oder Italien. Diese Länder tragen die größte Last.“

Rechtsprofessor Nowak wünscht eine europäische Lösung. „Doch wie man in großen Krisen, sei es Migration oder Corona, sieht, scheitert die EU. An nationalen Interessen.“

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