Schlagfertig

Alle Stückln spielen zu können

Salzburg
21.02.2021 07:09

In der für uns Künstler tristen Corona-Zeit, verbunden mit monatelangen Phasen des Berufsverbots, bleibt mir derzeit eine Facette in meinem Berufsleben, die wie ein Leuchtturm in dunklen Künstlertagen strahlt. Die Arbeit an der Universität Mozarteum Salzburg mit unseren Studierenden im Fach Schlagwerk.

Zu sehen, wie junge Künstlerinnen und Künstler mit „Warp-Geschwindigkeit“ ihre Fähigkeiten als Schlagzeuger, aber auch ihre Entwicklung als Künstlerpersönlichkeiten erweitern, ist atemberaubend und wunderschön zugleich. Die Zuversicht, der unbedingte Wille, etwas aus seinem Talent machen zu wollen und die außergewöhnliche Umgebung einer Musikstadt als Inspiration zu nutzen, zeichnet unsere Studierenden aus.

Was aber macht eine schillernde Künstlerpersönlichkeit im Studium aus? Gemeinhin würde man meinen, zu allererst würden handwerkliche Dinge im Zentrum stehen. Das Beherrschen des Instruments. Die Zutaten: Töne, Rhythmus, Phrasierungen und Dynamiken. Vom säuselnden Pianissimo bis zum alles zerschmetternden dreifachen Fortissimo. Man nennt das Texttreue - also zwingend dem Willen des Komponisten folgend. Doch kann das die Richtschnur künstlerischen Denkens sein?

Oder ist es letztlich Ausdruck einer Verschulung universitären Handelns weg von einer komplexen Entwicklung und Entfaltung künstlerischer Intelligenz hin zu einem schnöden Abarbeiten universitärer Vorgaben? Warum sind wir von manchen Persönlichkeiten schon nach drei gehörten Tönen fasziniert, angestachelt, berührt und reagieren impulsiv bis leidenschaftlich darauf und können anderswo auch bei perfekt Dargebotenem in uns keine Emotion empfinden?

Der Weg zur vielschichtigen, individuell entwickelten Persönlichkeit ist vermutlich ein Dreiklang. Da ist die Basis, die handwerklichen Fähigkeiten, alle „Stückln“ spielen zu können. Diese ist nicht zu unterschätzen. Sie erfordert Disziplin, motorische und mentale Fähigkeiten, gute Lehrer und die Bereitschaft, die eine oder andere zusätzliche Stunde im Überaum zu verbringen.

Die Terz in diesem Akkord ist die intensive Auseinandersetzung mit musikhistorischen, theoretischen und didaktischen Parametern seines Tuns. Das Wissen, in welchem Kontext das zu erarbeitende Werk steht - das so genannte „Ausleuchten“ bis in die hintersten Winkel der Komposition.

Die Quinte in besagtem Dreiklang ist die Königsdisziplin. Das Entwickeln und innerliche Erforschen seines künstlerischen Ichs.

Das ist eine individuelle Erfahrung, die man von Studierenden nicht einfordern und sicher nicht mittels Konzepts unterrichten kann, sondern nur individuell sanft lenken kann. Oftmals diskutiere ich Inhalte dieser Kolumne mit meinen Studierenden. Denn wichtig ist mir Reflexion, Diskurs und Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen und Prozessen zu ermöglichen. Dabei entstehen lebhafte, aufregende Diskussionen, die uns in unserer künstlerischen Arbeit wiederum anstacheln und inspirieren.

Zusammenhänge, historisches Wissen und das Einstehen für Ideen sind wichtig - sie sind der Treibstoff unseres Handelns als Interpreten. Das Bild des angeschwemmten Körpers des kleinen, unschuldigen Aylan Kurdi - 2015 in der Flüchtlingskrise - hat mich damals tief bewegt. Die abendliche Interpretation meines Konzerts in Frankfurt war niederschmetternd und dunkel zugleich. Als Künstler vergisst man diese Momente nicht.

Ebenso ein Konzert im Wiener Konzerthaus am 2. November, der Terrornacht von Wien, im Bewusstsein der Ereignisse, die sich zeitgleich unweit der Bühne zutrugen, zu spielen. Das Heulen der Sirenen traf in diesem Moment auf die Musik von Johann Sebastian Bach und einen Saal, in dem man die sprichwörtliche Nadel hätte fallen hören können. Wenn in einem Moment Zeitgeschichte, Gesellschaft und Kunst zusammenkommen, atmen Künstler weiter. Momente intensiven Erlebens können in einem jungen Künstlerleben innere Revolutionen ermöglichen. Sie lauern in Büchern, Museen, Theatern, Filmen, in der sonntäglichen Zeitung oder auch im täglichen Leben.

Spürt man diese, führen sie letztlich zur Veredelung des Künstlers.

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