Neues Album „III“

Paul McCartney: Den persönlichen Kreis geschlossen

Musik
17.12.2020 06:00

2020 war ein in allen Belangen mediokres Jahr - auch in musikalischer Hinsicht. Da ist es umso tröstlicher, dass Beatles-Legende Paul McCartney mit seinem allein eingespielten Solowerk „McCartney III“ für einen sanften und vor allem optimistischen Abschluss sorgt.

(Bild: kmm)

Beatles-Historiker und McCartney-Fans wissen es ohnehin - wenn der gute Sir Paul mit der Welt und sich gerade nicht im Reinen war, dann suchte er die Abgeschiedenheit, um in aller Ruhe und kreativer Freiheit an neuen Songs zu basteln. Immer wenn McCartney ein „McCartney“-Album rausbringt, ist das eine Zäsur in der bunten und kaum noch fassbaren Karriere eines der größten lebenden Genies der Pop-Historie. Das erste Solowerk entstand im April 1970, vor mehr als 50 Jahren, und markierte das endgültige Ende der größten Popband der Welt. Die einzelnen Bandmitglieder hatten die Nase voneinander voll und McCartney, damals noch keine 30, wollte nichts als seine Ruhe. Als unausgegoren und schwachbrüstig wurde das Werk einst zu Unrecht bezeichnet, doch wie so oft in der Geschichte der Unterhaltungsindustrie heilte die Zeit alle Wunden. Heute gilt das völlig allein eingespielte Solodebüt als verkanntes Meisterwerk, das McCartney erst den Weg zu seinem neuen musikalischen Dasein ebnete.

Erfahrungsreichtum
Knapp zehn Jahre später folgte der zweite Streich. Diesmal lagen die famosen Wings in den Trümmern und Onkel Paul begab sich wieder in die Einsamkeit. Dieses Mal jedoch nicht in seiner Londoner Wohnung, sondern auf seiner mondänen Farm im schottischen Mull Of Kentyre. Anfang der 80er-Jahre musste natürlich auch mit Synthesizern experimentiert werden, wodurch das zweite Solowerk McCartneys der Zeitlosigkeit beraubt wurde. Das glückliche Familienleben mit herumtobenden Kindern und der gemütlichen Teatime-Atmosphäre wurde von Linda McCartney nachhaltig mit Fotos dokumentiert und zeigte einmal mehr, dass Paul wahrlich wenig braucht, um viel zu besitzen. Bevor der Corona-Lockdown ab Anfang März dieses Jahres die ganze Welt in die Knie zwang, hatte McCartney also schon in der Vergangenheit ausreichend Erfahrungen mit Home Office gemacht. Für den Beatle waren die Arbeiten am dritten Solowerk somit nichts bahnbrechend Neues, was man „McCartney III“ auch zu jeder Zeit anhört. Ein Mann und sein innerer Seelenfrieden im musikalischen Einklang mit der Natur.

50 Jahre nach dem ersten und 40 Jahre nach dem zweiten Solowerk schließt McCartney nun ein persönliches Kapitel ab. Dieses Mal in seinem Anwesen im britischen Sussex, von wo er, umgeben von wuchtigen antiken Schränken, schon im Frühling ein Ständchen für die fleißigen Krankenschwestern und Pfleger in Großbritannien und der ganzen Welt feilbot - „Lady Madonna“ wurde damals zurecht bejubelt und wer den modernen Paul auf den unterschiedlichen Social-Media-Kanälen folgte, wusste bereits im Sommer, dass hier noch mehr im Entstehen ist. Ausgangspunkt für die Gegenwart war ausgerechnet eine Komposition aus der Vergangenheit. Das das Album beschließende „When Winter Comes“ war ursprünglich vor knapp 30 Jahren für den Trickfilm „Rupert The Bear“ gedacht und blieb liegen. Gemeinsam mit dem früh geschriebenen Opener „Long Tailed Winter Bird“ bildet der Track die Klammer für dieses Album, das sich gar nicht erst um Zeitgeistigkeit bemüht, sondern klanglich dem heurigen Weihnachtsfest ähnelt: entrückt, gemächlich und vor allem auf die wahren Werte des Lebens konzentriert.

Das Beste gemacht
Freilich darf man sich nicht dem Irrglauben hingeben, McCartney hätte nach mittlerweile 18 Jahren noch wirklich Bahnbrechendes zu sagen, doch der 78-Jährige ist kreativ noch immer so im Saft, dass man sich nicht vor Beliebigkeit und Redundanz in den Kompositionen fürchten muss. Im Gegensatz zu den ewigen Nörglern und Verschwörungstheoretikern hat sich Sir Paul von Anbeginn der Pandemie darauf konzentriert, das beste aus der prekären Lage zu machen. Der rigorose Masken-Befürworter hat sich ans Piano gesetzt, die Gitarre umgeschnallt oder das Schlagzeug malträtiert und die elf neuen Songs in gediegener Lagefeueratmosphäre im Alleingang eingespielt. Auch wenn gerade der Anfang des Albums sehr pathetisch und in gewisser Weise obsolet wirkt, nimmt das Werk mit dem an Johnny Cash erinnernden „Women And Wives“ an Fahrt auf. Das fast neunminütige „Deep Deep Feeling“ kann sich nicht zwischen Gegenwartsanbiederung und zeitlose Experimentierfreude entscheiden, entführt mit seiner ruhigen Gelassenheit aber in den so dringend benötigen Eskapismus der Gegenwart.

Die einzelnen Songs pendeln zwischen wärmendem Vintage-Feeling und dem steten Versuch, gegenwärtige Strömungen - trotz aller Ehrlichkeit - nicht ganz außer Acht zu lassen. So überrascht er etwa inmitten schöner und sanfter Kompositionen plötzlich mit einem Blues-Riffmonster der Marke „Slidin‘“, das im Prinzip auch auf einem Stoner-Rock-Outtake von den Queens Of The Stone Age stehen könnte. Der Künstler selbst sieht „McCartney III“ als sein „Rockdown“-Album und macht erst gar keinen Hehl daraus, dass ihm das ungezwungene Improvisieren und Jammen ohne Kompromissbereitschaft mehr Freude bereitet als in ein enges Mannschaftskorsett gefügt zu werden. Die Spontanität und Ungezwungenheit, die Songs wie „Pretty Boys“ oder „Seize The Day“ vermitteln, erinnern nicht nur zufällig daran, dass es vor vielen Dekaden Usus war, als Studio-Alleinunterhalter allerlei Instrumente selbst zu bedienen und sich zu keiner Sekunde kreativ einschränken zu lassen.

Jahresabschluss
So nahe wie bei „The Kiss Of Venus“ kommt McCartney seiner Beatles-Vergangenheit heute nicht mehr und in „Find My Way“ kann man dem routinierten Musiker dabei lauschen, wie er jovial mit Beats und Bläsersätzen herumspielt und sich einfach von der Freude der Rhythmik tragen lässt. Wie schon bei seinem letzten Wien-Konzert vor ziemlich genau zwei Jahren merkt man auch „McCartney III“ die in die Jahre gekommene Singstimme an, die gerade in den zarten Momenten (etwa bei „Long Tailed Winter Bird“) oft zu brechen scheint, sich im rechten Moment aber noch einmal in lichte Höhen aufschwingt. Das gerade der vielleicht größte noch lebende Popstar der Welt ein musikalisch mehr als bescheidenes Jahr mit einem persönlichen und bewusst einsam eingespielten Album abschließt, kann ebenso als Quadratur des Kreises gesehen werden, wie die nun vollendete „McCartney“-Trilogie für den Künstler selbst. Der Brite gibt uns den passenden Soundtrack für den hoffentlich baldigen Aufbruch in eine neue Ära der Freiheit.

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