„Krone“-Interview

Glass Animals: „Wir sind dankbar für das Leben“

Musik
07.08.2020 06:00

Bei den Oxforder Indie-Lieblingen Glass Animals jagte in den letzten Jahren eine Krise die nächste. Dave Bayley und Co. haben diese aber stets als Chance und nicht als Hindernis gesehen - das Ergebnis heißt „Dreamland“ und ist das persönlichste Album der Bandgeschichte. Der Sänger ließ uns im Interview an seiner Gefühlswelt teilhaben.

(Bild: kmm)

Vor zwei Jahren gingen die Glass Animals wortwörtlich durch die Hölle. Nach den beiden erfolgreichen Alben „Zaba“ (2014) und „How To Be A Human Being“ (2016) hat sich das Kollektiv aus Oxford einen Fixplatz in der Indie-Szene gemacht und den psychedelisch angehauchten Pop auch in den USA und Australien zu großem Erfolg gedeihen lassen. Im Juli 2018 hatte Drummer Joe Seaward einen schweren Verkehrsunfall und wurde mit seinem Rad von einem Lorry in Dublin niedergestoßen. Anfangs konnte er weder gehen, noch sprechen, noch essen und sich auch nicht erinnern. Die Heilungschancen waren gering, die Band sagte alle Touren ab. Frontmann Dave Bayley studierte früher Medizin und wusste daher mehr als alle anderen. Er wich nicht von seinem Krankenbett und unterstützte Seaward und seine Familie nach Kräften. Der Schlagzeuger erholte sich vollständig vom Unfall, was nicht nur einem mittleren Wunder gleichkommt, sondern im Endeffekt auch die Band rettete. Die Glass Animals waren wieder da.

Nachdem Bayley für den Mercury-Prize-nominierten Vorgänger in völlig fremden Gefilden recherchierte, überlegte er sich für das neue Album „Dreamland“ einen anderen Zugang - er grub tief in seiner eigenen Kindheit in Texas, die von toxischer Maskulinität und Irrwegen begleitet war. Er arbeitete seine Familiengeschichte auf, verschonte weder sich noch alle anderen und weiß jetzt noch nicht, wie er die persönlichen, emotionalen und zutiefst privaten Songs überhaupt adäquat auf die Bühne bringen soll. „Dreamland“ ist einerseits fragil und zerbrechlich, andererseits Mut machend und vorwärtsbestrebt ausgefallen. Ein Album, das gleichermaßen Nostalgie, Gegenwärtigkeit und Fortschritt vermittelt. Eine Abhandlung über die Höhen und Tiefen eines jungen Lebens, und wie sie das Dasein bei sich selbst und den Leuten im Umkreis prägen und prägten. Alles Weitere hat uns Bayley im Gespräch verraten.

„Krone“: Dave, für das letzte Glass Animals-Album „How To Be A Human Being“ hast du wildfremde Menschen intime Dinge auf der Straße gefragt, warst auf knallharter Recherche. „Dreamland“ hingegen ist extrem persönlich, emotional und nach innen gerichtet. War es schwieriger, dieses Album zu machen?
Dave Bayley:
Definitiv. (lacht) Viele Themen sind so persönlich, dass es mir jetzt noch schwerfällt, daran zu denken. Man versucht oft gewisse Erinnerungen zu begraben, weil sie sehr schmerzhaft sind und dich mit Momenten konfrontieren, die du gerne vergessen würdest, aber so ganz gelingt das ohnehin nie. Man fühlt sich sonderbar, wenn man an schlechte Dinge zurückdenkt. Emotional gesehen war „Dreamland“ viel schwieriger zu schreiben. Ich bin privat eine sehr schüchterne Person und mich so zu öffnen war definitiv eine Herausforderung. Ich habe damit viele Pflaster runtergerissen und alte Wunden geöffnet. Für das letzte Album habe ich mich in andere Menschen versetzt und aus deren Perspektive geschrieben. Jetzt habe ich wirklich alles aus mir selbst hervorgeholt und in Musik gegossen.

Die Glass Animals sind ja nicht nur eine Band, sondern auch untereinander sehr gut befreundet. Ist es umso schwieriger, so offen und ehrlich zu sein, wenn die besten Freunde zuhören?
Das macht es tatsächlich noch schwerer. Wenn wir live auftreten ist es immer am Schlimmsten, wenn meine Mutter oder gute Freunde da sind. Ich habe meiner Mama immer verboten zu uns zu kommen. Sie war tatsächlich erst bei zwei Konzerten der Glass Animals, wenn ich mich recht erinnere. Für mich war das immer irrsinnig schwierig, wenn ich wusste, sie ist da. Viele Dinge in den neuen Texten wusste sie auch nicht von mir, aber sie hat die Texte gemocht und mir ihren Segen gegeben. Im Endeffekt hört man bei den Interludes auf dem Album ihre Stimme. Das war für mich die Bestätigung, dass alles okay ist.

Nicht nur deine Mutter hat einen integralen Platz auf diesem Album. Du gehst auch weit zurück in deine Kindheit nach Texas, wo du geboren und aufgewachsen bist und mit sehr viel toxischer Maskulinität konfrontiert warst. Hast du bewusst so offen und ehrlich deine frühen Jahre reflektiert?
Sehr oft bin ich beim Texten gedanklich weit zurückgegangen und habe mir vor Augen geführt, wie manche Momente mein Leben verändert und mich zu einer anderen Person gemacht haben. Manchmal zu einer besseren, manchmal aber auch nicht. Ich habe alles in einem neuen Kontext gesehen. Wenn du ein Kind bist, dann hinterfragst du die Dinge nicht. Du tust, was dir gesagt wirst und bist traurig und niedergeschlagen, wenn du beim Football nicht gut bist oder du keine Emotionen zeigen darfst. Wenn du älter wirst, dann bemerkst du, dass diese stereotypischen Verhaltensweisen einfach falsch sind. Sie sind Bullshit. Ich habe auch nie viel darüber nachgedacht, sondern einfach damit gelebt. Aber für „Dreamland“ musste ich durch diese Mauer hindurch. Ich musste einfach hinterfragen, was in meiner Kindheit falsch lief. Das war stellenweise wirklich beschissen. (lacht)

Gab es eine ganz besonders spezielle Erkenntnis, die dir beim Reflektieren gekommen ist?
Am Wichtigsten war es einzusehen, dass es okay ist, in gewissen Bereichen des Lebens unterlegen zu sein. Als Junge in Texas wurde von mir erwartet, dass ich diese heroische Figur sein müsste, die jedes Problem löst und die Emotionen möglichst weit von sich wegschiebt. Es ist aber verdammt wichtig, verletzlich zu sein, denn sonst wirst du im Leben sehr viel vermissen. Verletzlichkeit macht dich menschlich. Man muss auch nicht immer eine Antwort auf alles haben. Als ich aufwuchs wurde das immer von mir erwartet. Es kam auch keinem in den Sinn zu hinterfragen, wie ich mich dabei fühle und ob es mir dabei gut geht. Alles war schwarz und weiß, aber das Leben ist bunt und komplex. Es ist okay, verwirrt zu sein und mal keine Ahnung zu haben. In der Verwirrtheit können gute Dinge im Leben passieren. „Dreamland“ entstand daraus - als bestes Beispiel dafür. Dinge einfach in ein Eck zu kehren und verstecken zu wollen ist auf jeden Fall immer die falsche Lösung.

Spielt der Albumtitel auf eine Welt an, in die du dich flüchten wolltest, wenn du überfordert oder missverstanden warst?
Ich hatte früher eine Lehrerin mit dem Namen Mrs. Brooks, die ich sehr schätzte und die total wichtig für mich war. Wenn ich in der Schule Tagträume hatte, hat sie immer mit den Fingern geschnippt und gesagt: „Dave, komm zurück. Du bist schon wieder im Traumland, genug jetzt.“ (lacht) Jeden Tag in der Klasse habe ich vor mich dahingeträumt und dieses Album ist für mich der Beweis, dass es okay ist. Ich habe überhaupt keine Aufmerksamkeitsspanne, mein Kopf arbeitet immer in alle Richtungen, aber ich habe es akzeptiert und als Stärke eingesetzt. Das kann auch was Gutes sein und das habe ich gelernt.

Würdest du eigentlich jemals wieder ein so persönliches Album machen? Jetzt, wo du weißt, wie hart das für dich war?
Es war viel zu verarbeiten und ich glaube nicht, dass ich sowas in absehbarer Zukunft wieder so machen kann. Es war definitiv das härteste Album für mich. Unser Drummer Joe Seaward hatte in Dublin diesen unglaublich schweren Verkehrsunfall, den wir alle verkraften mussten. Dann habe ich mich, meine Kindheit und mein Aufwachsen auf „Dreamland“ für die ganze Welt offengelegt. Ich habe das Album fast im Alleingang geschrieben, aber das hatte auch den Grund, dass es eben so persönlich war. Wir hatten noch nicht einmal einen Produzenten, der grob drübergesehen hat. Da es so persönlich ist, musste es auch perfekt sein. Ich bin immer wieder neu über die Sache gegangen, habe nachgebessert und Details verändert. Zur gleichen Zeit war ich gefangen in sehr furchtbaren Erinnerungen. Ich glaube nicht, dass ich mir das noch einmal antun werde.

Es gibt unheimlich viele intensive, bewegende Momente auf dem Album. Etwa in „Domestic Bliss“, wo du über eine Missbrauchsgeschichte im familiären Bereich erzählst.
Es geht da um eine gute Freundin meiner Mutter. Sie hat mich von der Schule abgeholt mit ihrem Sohn. Wir haben uns alle vorne in die erste Reihe des Pickup-Trucks gequält und fuhren zu diesem Haus, das schon immer sehr furchterregend war. Während sie reinging, haben wir draußen gespielt. Wir hörten nur Schreie und als sie wieder rauskam, sah sie furchtbar aus. Zerbeult und blutig im Gesicht, ich hatte keine Ahnung, was passiert war. Meine Mutter wusste, dass dort Gewalt in der Familie herrschte. Meine Mutter sagte mir immer: „Sorry, dass du mitansehen musst, aber so ist das Leben manchmal.“ Sehr hart.

Würdest du sagen, dass dieses Album dafür verantwortlich ist, dass die Beziehung zu deiner Mutter jetzt dichter und fester ist?
Zu meiner Mutter hatte ich immer ein gutes Verhältnis. Sie hat das Album aber erst gehört, als es komplett fertig und auch ihre Stimme bereits darauf zu hören war. Sie wollte nicht, dass ich ihre Stimme verwende. Sie fand ihre Stimme zu lustig, aber das war mir egal. Vielleicht stehen wir uns jetzt noch ein bisschen näher, denn immerhin hat sie mir ihre Stimme dann doch erlaubt, auch wenn das für Diskussionen sorgte.

Du hast auch den tragischen Unfall von Joe angesprochen. Anfangs konnte er nicht schreiben, nicht gehen, nicht reden und nicht essen. War das - abseits des menschlichen Schocks - ein Moment, wo du gedacht hast, dass es das mit den Glass Animals war?
Am Anfang habe ich nicht an die Band gedacht, diese Überlegung kam erst später. Ich glaube nicht, dass die Band ohne Joe gehen würde. Ich wollte nur, dass es ihm besser geht und er gesund werden würde. Wir haben sofort alle Shows abgesagt und uns dann voll auf Joe konzentriert. Anfangs mussten wir akzeptieren, dass er womöglich nie mehr der Alte sein würde und vor allem nicht mehr hinter dem Schlagzeug sitzen könnte. Das war eine harte Erkenntnis, weil es realistisch war. Wir waren total verunsichert und es war einfach nur furchtbar.

Du hast sehr viel Zeit bei ihm Krankenhaus verbracht, weil ihr eben sehr gut befreundet seid. Vor deiner Karriere als Musiker hast du ja Medizin und Neurowissenschaften studiert. War das ein Nachteil, weil du viel eher Bescheid wusstest, wie die Lage um ihn wirklich steht?
Ich habe nach außen hin immer versucht, sehr optimistisch zu sein. Seine Eltern waren immer da und hatten aufgrund des fehlenden Fachwissens keine Ahnung, wie ernst es wirklich um ihn stand. Ich weiß noch genau, als es passierte und ich zur Intensivstation kam. Ich hatte im Vorfeld große Sorgen, aber als ich ihn liegen sah, hatte ich anfangs wenig Hoffnung. Seine Eltern haben immer darauf gebaut, dass alles gut wird. Natürlich habe ich ihnen das auch gesagt, aber tief in meinem Inneren wusste ich auch, dass es ganz anders kommen könne. Es war absolut nicht unrealistisch. Nicht viele Menschen hätten aus seiner Situation heraus so einen Heilungsprozess hingelegt. Er ist vollkommen der Alte, das ist eigentlich unmöglich, aber umso schöner. Ich bin heute noch überrascht, dass er alles so machen kann wie früher. Er kann trommeln, reden, laufen - einfach alles.

Hat euch dieses tragische Ereignis innerhalb der Band noch enger zueinander gebracht? Ist die Freundschaft bei euch noch dichter?
Ich denke schon. Man nimmt im Leben viele Dinge für selbstverständlich, aber nach einem solchen Ereignis merkst du wirklich, wie viel Glück du eigentlich hast. Allein schon aufzuwachen und normal reden und gehen zu können, ist eigentlich ein Geschenk. Das wurde uns ganz klar vor Augen gehalten. Dann haben wir auch noch das Glück, als Freunde zusammenzuarbeiten, Alben aufzunehmen, auf Tour zu gehen und damit Geld zu verdienen. Wir haben dann bewusst diese Minitour gemacht, wo wir all die Venues bespielt hatten, in denen unsere Karriere begann. Es ist schließlich schon Glück genug, überhaupt all das erreicht zu haben. Wir wollten unbedingt dorthin zurück, um uns das nochmal zu vergegenwärtigen.

Trotz der ernsten und harten Texte klingt die Musik auf „Dreamland“ meist sehr positiv und lebensbejahend. Ist das ein bewusst gewählter Widerspruch, damit das Gesamtprodukt nicht zu schwer wird?
Ich bin prinzipiell eine sehr optimistische Person. (lacht) Wenn die Dinge nicht gut laufen, versuche ich immer das Gute darin zu finden. Du machst dich im Leben sonst komplett fertig, wenn du nicht versuchst, das Licht im Dunklen zu erkennen. Auch wenn man sich manchmal dazu zwingen muss.

Hast du eigentlich Angst davor, diese persönlichen Songs in Zukunft, wenn es wieder möglich ist, live aufzuführen? Mit all den vielen Menschen zu teilen?
Das ist sicher schwierig, aber ich bin froh, dass wir so viele tolle Fans haben. Manche sind wie Freunde, sie sind seit den ganz frühen Tagen da und haben uns und unsere Entwicklung immer begleitet. Wir sind früher in kleinen Autos herumgefahren und haben vor fünf Leuten gespielt. Die sind aber immer noch da und das ist sehr schön und hilfreich. Auf dem letzten Album hatten wir einen Song namens „Agnes“, den ich nicht spielen wollte. Wir haben ihn nach einem Jahr in die Setlist aufgenommen und die Leute sind total darauf abgefahren. Der Song ist sehr negativ und traurig, aber die Fans verändern ihn. Die Performance verändert ihn. Manchmal musste ich den Song abbrechen, weil er für mich zu emotional war, aber ich habe mich immer wieder dazu gezwungen, um Optimismus auszustrahlen. Zu zeigen, dass auch das möglich ist.

Was war der für dich bewegendste und schwierigste Moment auf „Dreamland“?
Da gab es viele Momente. Ich fühle mich seither sehr oft schuldig. Ich habe das Gefühl, ich hätte oft hilfreicher sein und Dinge besser machen können. Ich habe realisiert, dass ich oft das Beste aus mir herausgeholt habe und dennoch beschissene Dinge passiert sind. Das muss man einfach akzeptieren. Ich war in meinem Leben auch oft ein verdammtes Arschloch und es ist verdammt schwer, das einzusehen. Ich glaube, das war das Allerschwierigste für mich.

Was kommt nach so einem Album? Welchen Ansatz kann man verfolgen, wenn man so ein Projekt einmal verdaut hat?
Vielleicht Funk. (lacht) Aber es wird wohl ein Partyalbum. So etwas wie Nile Rodgers. Nein, keine Ahnung. Ich weiß es wirklich nicht, aber es wird wohl etwas leichtfüßiger werden - muss es werden. Es gibt aber auch noch Songs in der Schublade, die sehr persönlich und schwermütig sind. Sehr viel trauriges Zeug. Ich weiß nur nicht, ob ich noch so ein Album machen will. (lacht) Vielleicht gibt es irgendwann wieder mal so eines, aber jetzt brauche ich eher eine Pause von derart schweren Sachen.

Vielleicht passt ja auch ein Coveralbum. Von euch gibt es ja viele interessante Versionen von Nirvana, Lana Del Rey oder Bill Withers. Wie wird eigentlich entschieden, was gecovert wird?
Wir waren damals auf Tour und als wir heimgekommen sind, kam ich nicht so schnell runter. Dann kam auch noch das Virus und ich habe mir gedacht, ich nehme ein paar Coversongs auf, damit ich einen Grund habe, ins Studio zu gehen und etwas zu tun. Es war lustig, damit herumzuspielen und kostet nicht viel Zeit. Ich suche mir immer Songs aus, die ich wirklich liebe. Die Leute haben gerade zu Beginn des Lockdowns Songs gewählt, die etwas Positives vermitteln, die Stimmung und Spaß machen. Dinge, die man mit Nostalgie verbindet - so bin ich das auch angegangen. Wir durften damals nicht raus, die Zukunft schaut auch beschissen aus, warum also nicht Freude mit tollen Songs vermitteln? Ich freue mich jedenfalls schon wieder auf Österreich. Meine Nachbarin stammt aus eurem Land. Manu Luksch, die Filmemacherin. Eine tolle Frau.

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