Viele Interessen

Von der Leyen startet „Casting“ für ihr „Kabinett“

Ausland
27.08.2019 12:18

Die Liste der Nominierten ist beinahe komplett, nun beginnt für die designierte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen das schwierige Kandidaten-Casting für ihr „Kabinett“. Denn von der Leyen muss ihre eigenen Vorstellungen mit denen der Mitgliedsstaaten und des Europaparlaments unter einen Hut bekommen. Nach derzeitigem Stand wird Großbritannien am 31. Oktober aus der EU austreten, daher gibt es aus London keine Nominierung. Frankreich und Italien haben noch keine Kandidaten bekannt gegeben. Am 1. November soll alles unter Dach und Fach sein und die neue Kommission ihre Arbeit aufnehmen.

Von der Leyen hat sich zum Ziel gesetzt, die Kommission zu jeweils fünfzig Prozent mit Frauen und Männern zu besetzen. Ob Ausgewogenheit erreicht werden kann, bleibt offen. Der Forderung von der Leyens, die EU-Staaten sollen zwei Nominierungen - eine Frau, ein Mann - vorlegen, sind nur Portugal und Rumänien nachgekommen. Derzeit zeichnet sich ein leichter Männerüberschuss ab.

Einige bekannte Gesichter, die bereits unter dem scheidenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker gedient haben, werden wohl auch von der Leyens Team angehören. Wie berichtet, könnte der österreichische Kommissar erneut Johannes Hahn werden. Der ÖVP-Politiker wurde im Hauptausschuss des Nationalrats einstimmig für eine dritte Amtszeit nominiert. In der Juncker-Kommission ist er für Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen zuständig. Auch in Zukunft hätte er gern ein außenpolitisches Dossier. Ebenfalls auf Altbewährtes setzen Bulgarien, Irland, Lettland, die Slowakei, Spanien, und Tschechien.

Hier die komplette Liste der bisher Nominierten:

Belgien: In letzter Minute kam auch der Vorschlag von der geschäftsführenden Regierung in Brüssel. Der liberale Außenminister Didier Reynders interessiert sich schon länger für einen EU-Top-Job.

Bulgarien: Mariya Gabriel ist bereits seit Juli 2017 in der Juncker-Kommission für digitale Wirtschaft und Gesellschaft zuständig. Die konservativ-nationalistische bulgarische Regierung will die 40-Jährige auch in der neuen EU-Kommission sehen, das Digital-Portfolio gehört wieder zu den Favoriten.

Dänemark: Der EU-Spitzenkandidatin der Liberalen und bisherigen Wettbewerbskommissarin, Margrethe Vestager, sagte von der Leyen bereits einen Posten als Vizepräsidentin der EU-Kommission zu.

Estland: Mit Kadri Simson schickt Tallinn die frühere Wirtschaftsministerin von der regierenden Zentrumspartei (Mitte-links) ins Rennen. Die Regierung wünscht sich das Portfolio Infrastruktur oder Handel.

Finnland: Die Ex-Finanzministerin Jutta Urpilainen setzte sich im parteiinternen Konkurrenzkampf der Sozialdemokraten durch und soll künftig in Brüssel arbeiten. Ein Ressort im Finanzbereich liegt auf der Hand.

Frankreich: Noch keine Nominierung

Griechenland: Die neue konservative Regierung setzt auf Margaritis Schinas. Der griechische Christdemokrat war in den vergangenen fünf Jahren Chefsprecher der EU-Kommission und zuvor im EU-Parlament aktiv.

Großbritannien: London nominierte angesichts des geplanten Brexits am 31. Oktober keinen Kandidaten mehr.

Irland: Phil Hogan ist in Brüssel ebenfalls schon ein Name. In der vergangenen Periode war der Christdemokrat als Landwirtschaftskommissar tätig. Das Dossier könnte er beibehalten, auch Handel ist eine mögliche Variante.

Italien: Noch keine Nominierung

Kroatien: Die konservative Europaabgeordnete Dubravka Suica will dem bisherigen Kommissar Neven Mimica folgen. Ob sie auch sein Portfolio Entwicklung übernimmt, ist noch unklar.

Lettland: Bisher war Valdis Dombrovskis als einer der Vizepräsidenten in der Kommission für den Euro und den sozialen Dialog zuständig. Die liberal-konservative Regierung war zufrieden und fordert ein ähnliches Ressort.

Litauen: Die große Hoffnung des regierenden Bundes der Bauern und Grünen ist der 28-jährige Wirtschaftsminister Virginijus Sinkevicius.

Luxemburg: Nicolas Schmit hat schon angekündigt, er möchte sich in der EU-Kommission um den Bereich Beschäftigung kümmern. Der Sozialdemokrat war in seiner Heimat bereits als Arbeitsminister tätig.

Malta: Die Sozialdemokratin Helena Dalli war bereits als Europaministerin in ihrer Heimat tätig, nun soll sie in Brüssel ihre Arbeit fortsetzen.

Niederlande: Fast wäre Frans Timmermans Chef der EU-Kommission geworden, ein Vize-Posten dürfte ihm allerdings sicher sein. Ob er wieder Erster Vizepräsident wird, ist unklar.

Polen: Polen tauschte kurzfristig seinen Kandidaten aus und nominierte nun Janusz Wojciechowski, den ehemaligen Chef des polnischen Rechnungshofs, der zuletzt am EU-Rechnungshof tätig war. Auch Wojciechowski, der der polnischen Regierungspartei PiS angehört, war lange Mitglied des Europaparlaments. Der ursprüngliche Kandidat Krzysztof Szczerski hatte seine Bewerbung mit der Begründung zurückgezogen, ihm sei die Zuständigkeit für Landwirtschaft in der EU-Kommission angeboten worden und dafür fehle ihm die Erfahrung.

Portugal: Die sozialistische Regierung in Lissabon kommt der Forderung von der Leyens, eine Frau und einen Mann zu nominieren nach: EU-Abgeordnete Elisa Ferreira und Infrastrukturminister Pedro Marques.

Rumänien: Die beiden EU-Abgeordneten Dan Nica und Rovana Plumb von den regierenden Postsozialisten sind äußerst umstritten. Beiden warf die Antikorruptionsbehörde DNA bereits Amtsmissbrauch vor.

Slowakei: Der sozialdemokratische Energiekommissar Maros Sefcovic soll seine Arbeit in Brüssel fortsetzen. Seine Chancen, erneut Kommissionsvize zu werden, stehen gut.

Slowenien: Der parteilose Janez Lenarcic gilt als erfahrener EU-Diplomat. Der aktuelle slowenische EU-Botschafter soll nach Wunsch der Regierung in Ljubljana künftig in der Kommission für Umwelt- oder Energieagenden sitzen.

Spanien: Nach Federica Mogherini wird auch diesmal mit Josep Borrell ein Sozialdemokrat die EU-Außenagenden leiten. Es ist nicht sein erstes Mal in Brüssel: 2004 bis 2007 war der derzeitige Außenminister EU-Parlamentspräsident.

Schweden: Knapp zehn Jahre wurde Schweden in Brüssel von Cecilia Malmström vertreten. Nun soll die sozialdemokratische Arbeitsmarktministerin Ylva Johansson übernehmen.

Tschechien: Vera Jourova ist in Brüssel nicht unbekannt. In der Juncker-Kommission war die liberale Politikerin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung zuständig. Prag wünscht sich nun ein Wirtschaftsressort.

Ungarn: Der national-konservative Regierungschef Viktor Orban will seinen Parteikollegen Laszlo Trocsanyi in die Kommission schicken. Erheblichen Widerstand gegen die Bestellung des ehemaligen Justizministers gibt es jedoch im EU-Parlament. Interesse zeigte er bereits an Portfolios Nachbarschaft und Erweiterung oder internationale Entwicklung.

Zypern: Brüssel ist Neuland für Stella Kyriakides. Die Abgeordnete sitzt für die konservative Partei Dimokratikos Synagermos (DISY) im zypriotischen Parlament und ist zudem Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Ihre Ressort-Ambitionen sind noch unklar, im Bereich Gesundheit und Soziales weist sie jedoch bereits Erfahrung auf.

Ressortverteilung: Oft eine Frage des Prestiges und der Macht
Hand in Hand mit der Auswahl der Kandidaten gehen Überlegungen, aus welchen Ressorts die künftige Kommission bestehen soll. Die CDU-Politikerin und ehemalige deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen werde sich dazu die Eignung und Wunschressorts der Kandidaten ansehen. Die Frage der Themen-Verteilung birgt traditionell hohes Konfliktpotential. Denn wie in nationalen Regierungen gibt es Portfolios mit mehr oder weniger Prestige und Macht. Den Zuschnitt der Ressorts kann von der Leyen in gewissem Rahmen verändern.

Neue Ressorts könnte es auch geben: Es gibt bereits seit Längerem eine Diskussion darüber, einen eigenen Verteidigungskommissar zu schaffen, nachdem die EU hier in den kommenden fünf Jahren einen Schwerpunkt setzen will. Angedacht wurden in der Vergangenheit bereits ein Afrika-Ressort oder die Zusammenlegung der Zuständigkeiten für Nachbarschafts- und Regionalpolitik. Des Weiteren macht sich der französische Staatspräsident Emmanuel Macron derzeit für ein Klimawandel-Ressort stark.

„Wichtige Portfolios“ an Osteuropa?
Laut polnischem Präsidialamt hat von der Leyen ihre Wahl im EU-Parlament im Juli der Unterstützung der 26 EU-Abgeordneten der Regierungspartei PiS zu verdanken. Warschau könnte daran Forderungen bei der Ressortvergabe knüpfen. Von der Leyen betont, wichtige Aufgabe sei es, eine Lösung für „die Spaltung zwischen Ost und West“ in der EU zu finden. Sie kündigte an, Kommissaren aus Osteuropa „wichtige Portfolios“ zu geben.

Kommissarsposten für die Grünen im Gespräch
Die Grünen haben im EU-Parlament zwar nicht für von der Leyen gestimmt, aber in mehreren Ländern bei der Europawahl sehr gut abgeschnitten. Deshalb war schon länger im Gespräch, ob sie mindestens einen Kommissarsposten erhalten sollten. Litauen hat nun mit dem nur 28 Jahre alten Virginijus Sinkevicius einen Kandidaten nominiert, dessen Bauern-Partei LVZS auf europäischer Ebene den Grünen angehört. Aus deren Reihen kamen aber in den vergangenen Wochen Forderungen nach mehr Kommissaren.

Brexit-Verschiebung: Bekommen Briten doch einen Kommissarsposten?
Großbritannien tritt nach aktuellem Stand am 31. Oktober aus der EU aus und nominierte deshalb keinen Vertreter für die neue Kommission mehr. Diese würde also am 1. November mit 27 Mitgliedern ihre Arbeit aufnehmen. Angesichts der chaotischen innenpolitischen Lage ist aber eine weitere Verschiebung des Brexit nicht ausgeschlossen. Die Briten blieben dann mit allen Rechten und Pflichten vorerst EU-Mitglied und müssten doch wieder einen Kommissar benennen.

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