Blitz-Besuch bei May

Kanzler Kurz mittendrin in der Brexit-Krise

Politik
09.07.2018 22:18

Brexit-Krise in Großbritannien - und der EU-Ratsvorsitzende Sebastian Kurz mittendrin. Der Kanzler hatte als erste Reise in seiner neuen EU-Funktion einen Besuch in Irland und Großbritannien angesetzt, um sich über die brisante Lage zu informieren. Er wurde von der Überlebenskrise der Regierung von Theresa May eingeholt - zwei Minister-Rücktritte am Montag, der Sturz der Regierungschefin scheint nicht ausgeschlossen.

May sagte zu Beginn der Unterredung mit Kurz, sie freue sich auf das Gespräch mit dem Kanzler und dankte ihm für seine Einladung zu den Salzburger Festspielen, die sie gerne annehme. Es gebe „viel zu besprechen“, so die konservative Regierungschefin - „natürlich auch, wo wir in unseren Brexit-Verhandlungen sind“. Sie nannte aber auch andere Themen wie Migration und „die starken Verbindungen zwischen unseren beiden Ländern“.

Mitten in der Nacht auf Montag war Brexit-Minister David Davis unter Protest zurückgetreten. Er warf Theresa May Verrat am Brexit-Votum des britischen Volkes vor. Am Nachmittag folgte dann der Rücktritt von Außenminister Boris Johnson.

Die Premierministerin hatte am Wochenende in einer elfstündigen Klausur die Regierung auf einen „weichen Brexit“ eingeschworen. Darin wird der EU eine Freihandelszone vorgeschlagen, allerdings mit vielen Nebenklauseln. Die EU reagierte skeptisch. Stichwort: „Rosinenpicken“.

Mit dem neuen Kurs wollte die Premierministerin auch eine Lösung der politisch hochbrisanten Grenzfrage zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland finden. Kanzler Kurz inspizierte am Montag die derzeit gar nicht mehr existierende Grenze. Nach dem Brexit wird sie jedoch EU-Außengrenze.

Grundvoraussetzung für Friedensabkommen
Die offene Grenze war eine Grundvoraussetzung des Friedensabkommens in Nordirland, das einen 30-jährigen Bürgerkrieg zwischen protestantischer Mehrheit und katholischer Minderheit beendete. Die Katholiken pochen auf eine offene Grenze. Die mit der Regierung May verbundenen Protestanten wollen keine Lösung akzeptieren, die die enge Bindung zu Großbritannien lockert, etwa durch einen Sonderstatus beider Teile der geteilten Insel in der EU.

Die zurückgetretenen Minister werfen Theresa May vor, ihr Land durch zu viele Zugeständnisse in eine schwache Verhandlungsposition gebracht zu haben. Für May ist der Rücktritt einer der wichtigsten Figuren des Kabinetts ein harter Schlag. Sie muss mit weiterem Widerstand rechnen.

Johnson: „Misthaufen kann man nicht auf Hochglanz polieren“
Vor seinem Rücktritt hatte Johnson, als ultimativer Rivale von May, deren Kurs scharf kritisiert. Er soll sich zu dem Kompromiss sarkastisch geäußert haben: „Einen Misthaufen kann man nicht auf Hochglanz polieren.“ Die oppositionelle Labour-Parei spricht von einer Mogelpackung.

Massiver Widerstand in Parlamentsfraktion
Massiver Widerstand regt sich auch in der Parlamentsfraktion der Konservativen. 60 Abgeordnete werden zu den Rebellen gezählt. Überhaupt verfügt die Regierung derzeit nur dann über eine knappe Mehrheit im Parlament, wenn auch die Gruppe der nordirischen Konservativen zustimmt.

Somit wird die Irland-Frage zur Schicksalsfrage für May. Ihr Sturz könnte ein weiteres Polit-Chaos in Europa anrichten. Der Friede in Nordirland steht auf dem Spiel, falls Großbritannien im März nächsten Jahres ohne jegliches Verhandlungsergebnis aus der EU ausscheidet.

Der irische Regierungschef Leo Varadkar drückte gegenüber Kurz den dringenden Wunsch nach einer „weichen“ Lösung an der Grenze aus. Gleichzeitig legte er ein glühendes Bekenntnis zur EU ab. Erst der Beitritt zur Union habe aus Irland gemacht, was es heute ist.

Brexit als emotionale Frage
Die Grenze ist nur noch am Wechsel der Fahrbahnmarkierungen von Gelb (Republik Irland) zu Weiß (Britisch-Nordirland) erkennbar. Kanzler Kurz: „Ich bin mir bewusst, dass der Brexit hier eine sehr emotionale Frage ist. Noch vor 20 Jahren sind in Nordirland Menschen getötet worden. Meine Aufgabe sehe ich darin, den EU-Brexit-Verhandler, Kommissar (Michel) Barnier, zu unterstützen, die Interessen des EU-Mitglieds Irland zu wahren und die Einheit der EU-27 in dieser Frage sicherzustellen, was bisher gelungen ist.“

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung/krone.at

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