"Demütigung"

Schweizer Entschuldigung schlägt hohe Wellen

Ausland
21.08.2009 15:24
Die folgenschwere Krise in den Beziehungen zwischen Libyen und der Schweiz scheint nach dem Blitzbesuch von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz (im Bild links mit Libyens Premier Al-Baghdadi Ali al-Mahmoudi) in Tripolis vorerst beigelegt. In der Schweiz schlägt das Abkommen, mit dem die Affäre um die vorübergehende Verhaftung eines Sohnes des Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi nun geregelt worden ist, aber hohe Wellen. Von "Kapitulation" und "Demütigung" war bei den Eidgenossen nach der Entschuldigung Merz' die Rede.

Der Kanton Genf, wo Gadaffi im Jahr 2008 verhaftet wurde, fühlt sich von der Regierung in Bern hintergangen. Merz rechtfertigte sich am Freitag auf einer Pressekonferenz in Bern: "Wir hatten keine andere Wahl." Eine "Art Entschuldigung" der Schweiz für die Verhaftung des Gaddafi-Sohnes sei für Libyen unverzichtbar gewesen. Die beiden in dem nordafrikanischen Land festgehaltenen Schweizer könnten "nächste Woche" in ihre Heimat zurückkehren, gab Merz bekannt.

"Kapitulation, Demütigung"
Die Schweiz habe kapitulieren müssen und sei gedemütigt worden, sagte der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Ständerates (zweite Parlamentskammer), Dick Marty. "Die Schweiz musste sich für etwas entschuldigen, für das es keinen Grund gab", kritisierte der Tessiner Politiker der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), der auch Merz angehört. Damit seien Grundsätze verletzt worden - etwa den der Gleichbehandlung. "Hannibal Gaddafi hatte keinen Diplomatenstatus bei der Verhaftung", hielt Marty fest. Die Schweiz habe jedoch in dem von Merz in Tripolis unterschriebenen Abkommen das Gegenteil akzeptiert. Ein Teil der Schweizer Presse reagierte mit Empörung auf den, wie es hieß, "Kniefall vor dem Despoten" Gaddafi.

Genfer Regierung steht hinter Polizei
Der Genfer Staatsrat (Kantonsregierung) stellte sich am Freitag vehement hinter die Genfer Justizbehörden und die Genfer Polizei und warf dem Bund vor, die Entscheidung über Schuld oder Unschuld einem ausländischen Schiedsgericht zu überlassen. Der Kanton werde sich gegen jedes Handeln zur Wehr setzen, das nicht streng die durch die Genfer Staatsverfassung garantierten individuellen Freiheiten respektiere. Merz sagte im Fernsehen, mit der Entschuldigung bei Libyen habe sich die Schweiz nicht für ihr eigenes Rechtswesen entschuldigt, sondern nur für die Umstände der Verhaftung des Gaddafi-Sohnes. Diese seien "im Nachhinein gesehen in der Tat sehr hart" gewesen.

Wegen Misshandlung festgenommen
Die Genfer Polizei hatte im Juli vorigen Jahres im Luxushotel "President Wilson" den Sohn Gaddafis, Hannibal, und dessen Ehefrau Aline aufgrund einer Anzeige wegen Misshandlung vorübergehend festgenommen. Zwei Bedienstete, eine Tunesierin und ein Marokkaner, hatten das Paar angezeigt. Sie warfen ihm vor, sie geschlagen, beleidigt und härtesten Arbeitsbedingungen unterworfen zu haben. 

Trotz der Rücknahme der Anzeige im September verbesserten sich die Beziehungen nicht. Schweizer Unternehmen in dem nordafrikanischen Land wurden in ihren Geschäften behindert, der Fluggesellschaft Swiss wurde die Landeerlaubnis in Tripolis entzogen. Revolutionsführer Gaddafi hatte die Schweiz wiederholt scharf angegriffen: Sie sei kein Staat, sondern müsse als "Weltmafia" und "Verbrecherkartell" behandelt werden. Auch sollte man ihr Territorium unter den Nachbarstaaten aufteilen, hatte der libysche Machthaber erklärt.

"Abkommen hochproblematisch"
Der Freiburger Staats- und Völkerrechtler Thomas Fleiner kritisierte das in Tripolis unterzeichnete Abkommen als hochproblematisch. Mit dem Gang zu einem Schiedsgericht werde das Schweizer Recht, aber auch der Föderalismus ausgehebelt. Die Schweiz habe einen "Eingriff in ihre Souveränität" zugelassen, sagte Fleiner. "Nebst dem Schweizer Recht wurde auch die Schweizer Gerichtskompetenz mehr oder weniger ausgehebelt."

Die Fluggesellschaft Swiss will Libyen auch künftig nicht anfliegen. Auch aus wirtschaftlichen Gründen sei die Destination Tripolis im Februar 2009 aus dem Flugplan gekippt worden. Im Moment ist die Wiederaufnahme laut Swiss-Sprecherin Andrea Kreuzer kein Thema. Nach den diplomatischen Wirren wegen der Verhaftung von Hannibal Gaddafi hatte Libyen dekretiert, dass die Fluglinie noch einmal wöchentlich anfliegen dürfe. Im Dezember untersagte Libyen auch diesen Flug.

Erdöllieferung eingestellt
Nach der Verhaftung Gadaffi Juniors hatte Libyen seine Erdöllieferungen an die Schweiz gestoppt und geschätzte fünf Milliarden Euro von Schweizer Bankkonten abgezogen. Darüber hinaus wurde zwei schweizerischen Geschäftsleuten die Ausreise aus Libyen verweigert.

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