Steinzeit-Ehegesetz

Karzai verteidigt afghanisches Ehegesetz

Ausland
05.04.2009 09:19
Nach internationalen Protesten hat Afghanistans Präsident Hamid Karzai das umstrittene neue Ehegesetz für die schiitische Minderheit vorerst auf Eis gelegt. Karzei verteidigte das Gesetz gegen "Missverständnisse", ordnete aber zugleich eine Überprüfung an. Medienberichte, wonach schiitische Frauen nunmehr ihren Männern sexuell ausgeliefert seien, könnten falschen Übersetzungen geschuldet sein, so Karzai, der das Gesetz vor wenigen Tagen unterzeichnet hatte. Washington, Berlin und Paris kritisierten das neue Ehegesetz scharf.

Die Kritik an dem Gesetz war eines der Themen auf dem NATO-Gipfel am Freitag und Samstag. US-Präsident Barack Obama nannte das Gesetz "abscheulich". Zwar müsse man lokale Kulturen achten, aber es gebe weltweit gültige Grundsätze. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel forderte, das Gesetz müsse zurückgezogen werden. Und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der zusammen mit Merkel Gastgeber des Jubiläumsgipfels in Baden-Baden und Straßburg war, fügte hinzu: "Wir sind nicht bereit, da nachzugeben." Auch Großbritannien, Kanada, die NATO und die Vereinten Nationen kritisierten das Vorhaben.

Justizminister werde den ganzen Text studieren
Karzai sagte am Samstag in Kabul, die westlichen Bedenken seien womöglich auf "unangemessene oder nicht so gute Übersetzungen" zurückzuführen. Er kündigte allerdings an, der Justizminister werde den ganzen Text studieren, ihn gegebenenfalls in Absprache mit islamischen Würdenträgern ändern und dem Parlament erneut vorlegen. Karzai hat das Gesetz schon unterzeichnet. Es ist aber noch nicht in Kraft, weil es bisher in keinem offiziellen Amtsblatt veröffentlicht worden ist.

Alle vier Nächte Geschlechtsverkehr
Nach einer dpa-Übersetzung der Fassung, die Karzai unterzeichnete, heißt es in Artikel 132 unter anderem: "Der Ehemann ist, wenn er nicht reist oder krank ist, dazu verpflichtet, alle vier Nächte Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau zu haben. Die Frau ist verpflichtet, positiv darauf zu reagieren." Artikel 177 besagt, dass die Ehefrau Geschlechtsverkehr "im Einklang mit den Prinzipien dieses Gesetzes oder anderer gesetzlicher oder logischer Gründe oder mit Erlaubnis ihres Ehemannes" ablehnen darf. Befürworter des Gesetzes interpretieren Artikel 132 als Verpflichtung für den Ehemann - der nach islamischem Recht vier Ehefrauen haben darf -, alle Ehefrauen sexuell zu befriedigen.

Frauen dürfen ohne Erlaubnis des Mannes nicht arbeiten
Nach UNO-Angaben schreibt das Gesetz ferner fest, dass schiitische Frauen in Afghanistan ohne die Erlaubnis ihrer Ehemänner weder arbeiten noch eine Ausbildung machen dürfen. Das Haus dürften sie nur aus "legitimen Gründen" verlassen. Rund 15 Prozent der afghanischen Bevölkerung gehören der schiitischen Hazara-Minderheit an, deren Vertreter ein eigens auf sie zugeschnittenes Familienrecht gefordert hatten.

Forderung schiitischer Kleriker akzeptiert?
Karzai habe ganz offensichtlich versucht, sich vor der August-Wahl die Stimmen der schiitischen Minderheit zu sichern, erklärte die afghanische Abgeordnete Shinkai Karochail. Er habe einfach die Forderungen der schiitischen Kleriker akzeptiert. Der schiitische Geistliche und Parlamentsabgeordnete Mohammad Akbari nannte die Kritik an dem neuen Gesetz dagegen ein "politisches Spiel" westlicher Politiker. "Sie reden von Menschenrechten, und wir sagen, dass es das erste Recht der Menschen ist, Religion zu haben."

Afghanische Frauenministerin verspricht gleiche Rechte
Die afghanische Frauenministerin Husen Bano Kazanfar sicherte im Gespräch mit der dpa zu, dass Frauen auch künftig die gleichen Rechte wie Männer haben werden. "In unserem Land kann kein Gesetz gegen die Freiheit der Frau verabschiedet werden", sagte Kazanfar am Sonntag in Kabul. Sollten Teile des Gesetzes gegen den in der Verfassung verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoßen, würden diese "mit Sicherheit überprüft und geändert".

Deutsche Regierung übt Druck aus
Die deutsche Regierung übt unterdessen offenbar Druck auf die Regierung in Kabul aus, um das Gesetz zu verhindern. Außenminister Frank-Walter Steinmeier intervenierte telefonisch bei seinem afghanischen Kollegen Rangin Dadfar Spanta. Der Menschenrechtsbeauftragte Günther Nooke verlangte gegenüber "Spiegel Online" eine Kürzung der Entwicklungshilfe und warf der Regierung in Kabul vor, Versprechen zur Einhaltung von Menschenrechten zu brechen. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sagte am Samstag bei einem Besuch in Pakistan: "Wir werden alles dafür tun, dass dieses Gesetz nicht Wirklichkeit wird. Es verletzt die Frauen- und Menschenrechte."

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