Istanbul-Terror

Polizei fahndet nach Verdächtigem

Ausland
30.07.2008 08:12
Nach dem schweren Anschlag in Istanbul haben die türkischen Sicherheitskräfte laut Presseberichten die Suche nach mindestens einem Verdächtigen aufgenommen. Die türkischen Zeitungen "Vatan" und "Taraf" veröffentlichten am Dienstag unter Berufung auf Polizeikreise übereinstimmende Beschreibungen eines mutmaßlichen Bombenlegers. In anderen Zeitungen war von zwei Verdächtigen die Rede. Der britische Sender BBC berichtete, die kurdische Untergrundorganisation PKK habe im Vorfeld der Bombenexplosionen in Istanbul vor Anschlägen in der Türkei gewarnt. Das türkische Verfassungsgericht setzte unterdessen seine Abschlussberatungen über ein Verbot der Regierungspartei AKP fort.

Die Ermittler in Istanbul wurden laut "Vatan" und "Taraf" durch die Bilder von Überwachungskameras und die Aussagen von Augenzeugen auf einen mutmaßlichen Bombenleger im Alter zwischen 20 und 25 Jahren aufmerksam. Der Verdächtige war demnach etwa 1,70 Meter groß, schlecht rasiert und trug ein grünes T-Shirt. In anderen Zeitungen war ohne Angabe von Einzelheiten von zwei Verdächtigen die Rede.

Laut "Vatan" verfolgt die Polizei insbesondere die Spur, dass die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hinter der Tat von Sonntagabend steckt. Demnach sei der Bombenleger "aus den Kandil-Bergen gekommen, um seine Tat zu verüben", schrieb das Blatt in Anspielung auf ein Rückzugsgebiet der Kurdenrebellen im Norden des Irak. Der zweite in Istanbul gezündete Sprengsatz war dem Bericht zufolge mit einem Verzögerungszünder versehen, der nicht von den Bombensuchgeräten der Polizei aufgespürt werden konnte.

Folgenschwerster Anschlag seit fünf Jahren
Beim folgenschwersten Terroranschlag in Istanbul seit fünf Jahren waren am Sonntagabend mindestens 17 Menschen getötet und über 150 verletzt worden. Der Anschlag mit zwei Bomben, die innerhalb weniger Minuten detonierten, ereignete sich im Stadtteil Güngören auf der europäischen Seite der Metropole.

Bomben in Mülleimern
Die erste Bombe, von geringer Sprengkraft, explodierte in einem Mistkübel an einer Geschäftsstraße, wo zu dem Zeitpunkt viele Familien zum Abendessen oder zum Teetrinken waren, wie Istanbuls Gouverneur Muammer Güler laut dem Fernsehsender NTV vor Journalisten am Anschlagsort sagte. Wenige Minuten später habe sich in einigen Metern Entfernung eine weitere, diesmal heftige, Explosion ereignet. Die zweite Bombe sei ebenfalls in einem Mülleimer versteckt gewesen und in dem Moment hochgegangen, als sich gerade zahlreiche Menschen zum ersten Explosionsort bewegten.

Erste Explosion lockte Menschenmassen an
Zeugenberichten zufolge war die erste Explosion nicht sehr stark. "Viele Menschen kamen, um zu sehen, was los war", sagte Huseyin Sentürk, der ein Schuhgeschäft in dem Viertel betreibt. "Dann kam es zur zweiten Explosion, die viele Schaulustige verletzte." Demnach wurden auch Menschen verletzt, die sich in nahe gelegenen Geschäften aufhielten. Der belebte Platz war nach den Detonationen voll mit Glasscherben, Kleidungsstücken, Schaufensterpuppen und Trümmerteilen.

Erste Anschläge seit 2003
Die türkische Wirtschaftsmetropole war zuletzt 2003 von einer Serie schwerer Anschläge erschüttert worden. Bei Selbstmordattentaten auf zwei Synagogen, das britische Konsulat und auf eine britische Bank in Istanbul wurden insgesamt 57 Menschen getötet. 2006 kam bei einer gegen Polizisten gerichteten Bombenexplosion in einem Internetcafé ein Mensch ums Leben, 16 weitere wurden verletzt. Anfang Juli schließlich eröffnete eine Gruppe Bewaffneter, die Verbindungen zur Terrororganisation Al Kaida gehabt haben sollen, das Feuer auf Wachleute des US-Konsulats. Drei Beamte und drei der Angreifer wurden getötet.

PKK-Chef kündigte vor zwei Wochen Anschläge an
Der britische Sender BBC strahlte am Montag ein Interview mit PKK-Chef Murat Karayilan aus, das vor etwa zwei Wochen in den Kandil-Bergen aufgenommen wurde. Darin sagte Karayilan: "Es ist möglich, dass wir eine Reihe von Anschlägen auf wirtschaftliche und militärische Ziele in türkischen Städten verüben." Die PKK versicherte nach dem Anschlag im Istanbuler Viertel Güngören jedoch, nichts damit zu tun zu haben.

Die für mehr Autonomie kämpfende PKK ist von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft worden. Die Türkei beschuldigt die PKK, sich nach Angriffen auf türkischem Gebiet hinter die Grenze im Nordirak zurückzuziehen. Ende Februar hatte die Türkei eine massive Militäroffensive auf irakischem Gebiet gegen kurdische Rebellen gestartet. Seither wurden immer wieder Luftangriffe der Türkei auf irakischem Boden gemeldet. Am Dienstag flog die türkische Armee einer Kurdenpartei zufolge neuerlich Luftangriffe gegen angebliche PKK-Stellungen in den Kandil-Bergen. Sechs Militärflugzeuge hätten die Gegend bombardiert, teilte die irakische Kurdenpartei PUK (Patriotische Union Kurdistans) mit.

Erdogan: "Gebt dem Terrorismus keinen Namen"
Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hatte die PKK am Montag indirekt für die Bluttat verantwortlich gemacht. Die Anschläge seien der Preis für die intensivierte Kampagne gegen die PKK in der Türkei und im Irak, sagte er. Am Dienstag warnte der Ministerpräsident jedoch vor voreiligen Schlüssen. "Bitte gebt dem Terrorismus keinen Namen. Lasst die Sicherheitskräfte ihre Informationen prüfen und sie ihm einen Namen geben lassen", sagte er vor Abgeordneten seiner Parlamentsfraktion. Die Türkei stelle sich "mit einer einzigen Stimme, einem einzigen Herz gegen den Terrorismus". Oppositionsführer Deniz Baykal rief am Dienstag zu einem Massenprotest gegen den jüngsten Anschlag auf.

Das türkische Verfassungsgericht setzte unterdessen seine abschließenden Beratungen über ein Verbot von Erdogans AKP fort. Das elfköpfige Gremium hatte am Montag zwölf Stunden lang getagt und sollte so lange weiter beraten, bis die notwendige Mehrheit von sieben Richterstimmen für ein Urteil erreicht wird. Türkische Medien erwarteten eine Entscheidung bis Freitagabend. Der AKP droht wegen angeblicher islamistischer Tendenzen die Auflösung. Zudem fordert die Generalstaatsanwaltschaft ein fünfjähriges politisches Betätigungsverbot für Erdogan, Präsident Abdullah Gül sowie 69 andere führende AKP-Politiker. Es ist jedoch auch denkbar, dass die AKP fortbesteht, aber keine staatlichen Gelder mehr bekommt.

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