Lange Verfahren

Höchstgericht stöhnt unter Asyl-Aktenberg

Österreich
15.10.2010 13:10
Vier Jahre (!) hat es im Fall der von Abschiebung bedrohten Armenierin und ihrer 14-jährigen Tochter gedauert, bis das Höchstgericht erkannt hat, dass nicht Österreich sondern Ungarn (Stichwort: Dublin-Bestimmungen) für die Familie zuständig ist. In dieser Zeit haben sich die beiden Frauen an ein Leben in der Alpenrepublik gewöhnt, die Abschiebung gerät jetzt zum Drama. VfGH-Präsident Gerhard Holzinger nimmt den aktuellen Fall zum Anlass für Kritik: 65 Prozent der VfGH-Verfahren betreffen mittlerweile Asylsachen, manche ziehen sich schon seit fast zehn Jahren hin.

"Das hat damals schon ein paar Jahre dauern können. Wir waren ja völlig überladen", bekam krone.at bei einer Recherche-Anfrage über den Fall der 58-jährigen Armenierin und ihrer Tochter diese Woche von einem Mitarbeiter des Verwaltungsgerichtshofes zu hören.

Die Beschwerde der Familie beim VfGH - seit der Einrichtung des Asylgerichtshofes 2008 ist nur mehr der VfGH letzte Instanz für Fremdenrechtsbeschwerden - war die mit Abstand längste Station im Behördenweg. Erstantrag, Berufung und Abweisung der Berufung bei den vorgeordneten Behörden Asylamt und Bundesasylsenat hatten davor nur rund drei Monate in Anspruch genommen. Dabei prüften die Behörden und Gerichte aber nicht einmal, ob ein Flüchtlingsstatus (aufgrund von Krieg, Bedrohung im Heimatland, etc.) zuerkannt werden kann, sondern bloß, welcher Staat nach den sogenannten Dublin-Bestimmungen für die Klärung dieser Fragen zuständig ist.

Holzinger: Noch immer Verfahren von Anfang 2000
Einigermaßen frustriert zeigte sich Holzinger am Freitag in Sachen Überlastung des VfGH durch Asylfälle. Alle seine Appelle an die Politik seien fruchtlos geblieben - obwohl mittlerweile 65 Prozent der VfGH-Fälle Asylsachen betreffen. Von 5.500 Fällen des Jahres 2009 seien 3.500 Beschwerden gegen Entscheidungen des AsylGH gewesen.

Mit dem Asylgerichtshof werde zwar der Missstand der langen Verfahrensdauer langsam abgebaut. Aber immer noch kämen dem VfGH "unerträglich lange" Verfahren unter. Immer noch gebe es Fälle, wo das Verfahren Anfang der 2000er-Jahre eingeleitet wurde. Der VfGH bemühe sich - im Sinne der Betroffenen - in diesen Causen um eine sehr rasche Entscheidung, betonte Holzinger.

Prammer fordert Evaluierung des Fremdenrechtes
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer forderte am Freitag von der Regierung eine Evaluierung des Fremdenrechts. "Ich muss sagen, ich bin schon sehr, sehr ungeduldig, um nicht zu sagen zornig", sagte Prammer. "Ich bin es wirklich leid, die Debatte so führen zu müssen." Bereits in der vergangenen Gesetzgebungsperiode sei eine derartige Evaluierung vorgesehen gewesen. Diese müsse nun rasch kommen und durch eine unabhängige Expertenkommission geschehen.

Der Meinung von Bundespräsident Heinz Fischer, der erklärt hatte, es dürfe nicht mehr passieren, dass Kinder in Gefängnisse und Schubhaftanstalten kämen, schloss sich Prammer vollinhaltlich an. Außerdem unterstütze sie wie auch der Präsident die am Donnerstag aufgestellte Forderung von Caritas, Diakonie, Amnesty, Volkshilfe und SOS Kinderdörfer, die UN-Kinderrechtskonvention in die Verfassung aufzunehmen. Kritik übte Prammer auch an der langen Verfahrensdauer, diese seien "das Abträglichste überhaupt". Es sei "unverständlich, dass Letztentscheidungen vier Jahre brauchen".

Cap: Fall "der Republik Österreich anzulasten"
Auch SPÖ-Klubchef Josef Cap äußerte sich am Freitag zur Problematik der langen Verfahrensdauer. Konkret plädiert er im Fall der armenischen Familie darauf, "behördliches Ermessen zugunsten des 14-jährigen Mädchens und seiner Mutter auszuüben". Wenn der österreichische Rechtsstaat bis zur letztinstanzlichen Lösung dieser Frage fast fünf Jahre benötige, "dann ist dies der Republik Österreich anzulasten, nicht aber den beiden Betroffenen".

Es sei "nicht unbedingt immer notwendig, gesetzliche Änderungen einzufordern, sondern man muss auch als Gesetzgeber einfordern, dass der Vollzug dieser Gesetze unter Achtung aller Grundrechte human stattzufinden hat", so Cap.

So wie Cap sprach sich auch ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf am Freitag für eine Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung aus, wie sie die NGOs fordern. Die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit werde aber von der Opposition blockiert, meinte er. Ähnliches hatte auch Cap gesagt. Hintergrund des Vorwurfes: Der Entwurf zur Verankerung der Kinderrechte, den die Regierung vergangenes Jahr vorgelegt hatte, war der Opposition unzureichend. Ein Artikel darin hätte nämlich sämtliche Kinderrechte wieder einschränken können.

Eine diese Woche gestartete Unterschriftenaktion der NGOs im Internet verzeichnet indes bereits über 13.000 Unterstützer.

Volkshilfe richtet Appell an Innenministerin
Die Volkshilfe richtete am Freitag im Asyl-Fall des 14-jährigen Mädchens aus Armenien und ihrer Mutter einen "eindringlichen Appell" an Innenministerin Maria Fekter. Diese solle vom "Selbsteintrittsrecht" im Rahmen des Dublin-Abkommens Gebrauch machen, meinte Stephan Amann von der Volkshilfe Wien. Damit wäre nicht mehr Ungarn, sondern Österreich für den Fall zuständig.

Österreich habe durch Artikel 3 Absatz 2 im Dublin-Abkommen die Möglichkeit, die inhaltliche Prüfung der Asylgründe an sich zu ziehen, erklärte Amann. Das EU-Recht würde damit nicht unterwandert – wie die Innenministerin vorgibt -, Großbritannien zum Beispiel wende diese Bestimmung generell bei Fällen, wo eine Abschiebung nach Griechenland bevorstehen könnte, an. Im Fall der Armenierin und ihrer 14-jährigen Tochter habe allein das Verfahren über die Prüfung der Zuständigkeit vier Jahre gedauert, niemand habe sich bisher die wahren Fluchtgründe angeschaut. In der Volkshilfe geht man von "massiven" Fluchtgründen aus, sei die Mutter doch seit 2006 in psychiatrischer Behandlung.

Allgemein kritisierte Amann am Freitag, das Dublin-Abkommen führe dazu, dass das Asylrecht "ausgehöhlt" und die Genfer Flüchtlingskonvention "untergraben" werde, da lange nur geprüft werde, welches Land überhaupt zuständig ist. Weiters gehe das Abkommen davon aus, dass alle EU-Staaten mit gleichen Standards die Asylverfahren durchführen, was aber nicht den Tatsachen entspreche. Eine Überarbeitung sei "dringend" notwendig.

Stichwort: Dublin-Bestimmungen
Das Dubliner Abkommen – mit dem Schengen-Vertrag Teil einer gemeinsamen europäischen Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik – regelt die Zuständigkeit eines Unterzeichnerstaates für die Behandlung eines Asylantrages. Für das Verfahren kann gemäß dem Abkommen nur ein einziger Staat zuständig sein und zwar nach dem "Erstland-Prinzip" jener, der einem Flüchtling Zutritt zu seinem Staatsgebiet gewährt hat.

Unbenommen ist es dem jeweiligen Staat jedoch, einem Flüchtling bereits an seiner Außengrenze die Einreise zu verweigern. Gleichzeitig ist das jeweilige Erstland verpflichtet, Flüchtlinge, die über ihre Grenze in die EU eingereist sind, auch wieder zurückzunehmen. Bezüglich des "Selbsteintrittsrechts" geht in europäischen Ländern die Rechtsmeinung in die Richtung, dass ein Staat verpflichtet ist, sich zuständig zu erklären, wenn sonst das Familienleben zerstört wird.

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