Wandern, nur um den Kopf freizubekommen oder um einen Ausgleich zur Hektik unseres Arbeitsalltags zu schaffen und das alles noch freiwillig? Unsere Vorfahren hätten sich wohl ungläubig an den Kopf gegriffen, denn sie wanderten nicht aus freien Stücken. Wer in grauer Vorzeit von einem Ort zum anderen gelangen musste und privilegiert war, griff auf Pferd, Sänfte oder später auf die Kutsche zurück. Wer sich dies nicht leisten konnte, sah sich gezwungen, den Weg auf Schusters Rappen“ zurückzulegen - will heißen: zu Fuß.
Fortbewegung "aus Not"
Auch wenn das Wandern des Müllers Lust sein soll, so romantisch wie es im Text des bekannten Volksliedes von Carl Friedrich Zöllner und Wilhelm Müller beschrieben wird, waren die Wurzeln des heutigen Freizeittrends keineswegs. Das Wandern - so wie wir es kennen - entstand schlicht aus zweckgebundenen Formen des Reisens: Arbeitssuchende zogen etwa von Ort zu Ort, um Beschäftigung und Lohn zu finden, einige waren auf der Flucht vor den Gräueln des Krieges, andere wiederum - wie etwa die „Säumer“ – rückten das Wandern ins Zentrum ihres Geschäftsmodells, indem sie waren von A nach B brachten und mit diesen Handel betrieben. Ihren Namen erhielt die Berufsgruppe vom „Saum“, was in alten Tagen nichts anderes war, als ein gängiger Ausdruck für das Wort Last, die man mit viel Mühsal über die Berge brachte. Das verlangte den Säumern zwar einiges ab, sicherte ihnen aber wiederum das Einkommen.
Auf dem Weg zur Zivilisation
Auch die Walser, die im Mittelalter zahlreiche Täler der Alpen besiedelten, nutzten die Verbindungen über die Bergsättel und erschufen - nicht wissend - ein knapp tausend Kilometer langes Netz an Fußpfaden, die heute noch den Namen ihrer Erschaffer tragen: die Walserwege. Doch damit nicht genug: Wohin die Walser auch immer kamen, entwickelten sie Techniken, die erst das Bewirtschaften hoch gelegener Bergregionen ermöglichte. Zudem errichteten sie Siedlungen mit einer unverwechselbaren Bauweise, die noch heute das Aussehen ganzer Dörfer im Alpenraum prägt.
Stark am Ausbau unseres Wandernetzes beteiligt waren auch die alten Römer. Ihr Tun folgte jedoch nur einem militärischen Zweck: Um ihre Feinde besser im Blick zu behalten und ihre Truppen schneller verlegen zu können, schufen sie Verbindungswege zwischen den Grenzposten mit Erhöhungen und Aussichtspunkten.


Wandern als Selbstzweck
Bis zum frühen Mittelalter war unser Wandern von heute den Menschen unbekannt. Erst Francesco Petrarca brach eine Lanze für das Spazieren als Selbstzweck: Gemeinsam mit seinem Bruder bestieg er 1336 den 1909 Meter hohen Berg Mont Ventoux in der Provence. Erst der Geist der Romantik verhalf mit seiner Verherrlichung der Natur unserem Freizeittrend von heute zum Durchbruch: Wandern, um die Landschaft zu genießen oder sich selbst ein Stück weit wiederzufinden, war fortan en vogue.
Der technische Fortschritt
War das Fortbewegen in der Natur im Biedermeier noch eine individuelle Erscheinung, ebnete der Segen der Technik dem Wandern den Weg zum Massenphänomen. So etwa auch die Semmeringbahn, die ab 1854 die vermögende Wiener Bevölkerung in die Berge brachte, wo sich diese mit Aktivitäten wie Freibaden am See, Bergsteigen oder Wandern die Zeit vertrieb. Heute klingt ein Faktum von damals fast kurios: Auf 896 Metern Seehöhe war der Semmering damals der höchste auf Schienen erreichbare Punkt der Erde.
von Christian Seirer