Wenn ein politisches System beginnt, Akten wie Pokerkarten zu behandeln, die je nach Stimmung, Vorteil oder Notlage ausgespielt werden, dann geht es nicht mehr um Gerechtigkeit, sondern um Machterhalt. Der Fall Epstein ist längst mehr als ein Skandal um einen Sexualstraftäter – er ist ein moralischer Seismograf, der anzeigt, wie erschütternd gleichgültig große Teile der politischen Elite gegenüber Wahrheit, Transparenz und Verantwortung geworden sind. Donald Trumps plötzlicher Sinneswandel bei der Freigabe der Epstein-Akten ist exemplarisch dafür. Noch vor wenigen Monaten war die Veröffentlichung unerwünscht, nun soll sie plötzlich der Beweis dafür sein, dass „wir nichts zu verbergen haben“. Dieser Satz klingt wie die moderne Version eines politischen Zaubertricks: laut genug gesprochen, damit man nicht bemerkt, was die andere Hand tut. Wer heute Transparenz fordert, weil es politisch opportun ist, hat sie gestern aus denselben Gründen verhindert. In dieser Logik wird Wahrheit nicht gesucht, sondern verwaltet. Die Metapher liegt auf der Hand: Die USA stehen vor einem Haus, dessen Fenster schon lange beschlagen sind. Statt sie klarzuwischen, wird darüber gestritten, wer den besseren Blick nach innen behauptet. Und währenddessen bleibt der eigentliche Skandal – der systematische Missbrauch junger Menschen, gedeckt und begünstigt durch Netzwerke aus Macht, Geld und Einfluss – im Nebel. Dennoch gibt es eine Chance. Wenn die Veröffentlichung der Akten mehr ist als ein weiterer Schauplatz parteipolitischer Ablenkung, wenn sie wirklich Aufklärung bringt, könnte daraus ein notwendiges Signal entstehen: Dass selbst die Mächtigsten nicht über den moralischen Grundregeln stehen, die jede demokratische Gesellschaft tragen sollten.
John Patrick Platzer, Viktring
Erschienen am Do, 20.11.2025
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