Pop-Delikatesse

Tina Dico: “Count To Ten”

Musik
06.03.2008 08:28
Melodien, die man in der U-Bahn am liebsten laut mit dem MP3-Player mitsingen möchte, tränenschwere Texte, die trotzdem euphorisch stimmen und nach etwas ganz Großem klingen, auf das man schon lange gewartet hat und das man sich jetzt von niemanden schlecht reden lassen wird. Die Songs der Dänin Tina Dico halten das und geben Liebhabern großer Pop-Songwriterinnen wieder neue Hoffnung, mit ihren ganz spezifischen Erwartungen an ein gutes Album doch nicht zu unverbesserlichen Utopisten zu gehören. Ein Kick für die Seele.
(Bild: kmm)

Bei "Count To Ten" denkt man gleich an Alanis Morissettes "Hand In My Pocket" und Sheryl Crows "Strong Enough", an simple, wirkungsvolle Songs, bei deren Entstehen die Interpreten noch "Frischg'fangte" waren. Tina Dico erweckt in ihren Songs selbst nach drei Studioalben noch immer den Eindruck der Unvoreingenommenheit dem Zuhörer gegenüber, die bei anderen mit den Jahren einfach verloren ging.

Außerhalb von Dänemark ist "Count To Ten" genau genommen erst ihre zweite Platte nach dem 2006er-Release "Into The Red", bei dem ihr der The-Verve-Produzent Chris Potter zu internationaler Beachtung verhalf. Die beiden Longplayer "Fuel" und "Notes" brachte sie davor nur in ihrer Heimat auf ihrem eigenen Label heraus.

Bevor sie ihre Solokarriere startete, versuchte sich Tina Dico - in Dänemark benutzt sie nur ihren Reisepassnamen Dickow - als Schauspielerin in einer Soap. Mit 20 erkennt sie bald, dass man im TV-Geschäft nur den "Blond und blauäugig"-Charme von ihr wollen würde. Also gründet sie ihr eigenes Label, bringt 2001 ihr erstes Album heraus - und als es so richtig losgehen hätte können, zieht sie nach London und taucht für zwei Jahre unter. Dort entdeckt sie das Elektropopduo Zero 7 und dank der damaligen Kollaborationen erfreut sie sich bis heute einer großen UK-Fangemeinde.

Mit 30 legt Tina Dico nun ihr bisher persönlichstes und kompromisslosestes Album vor. Erneut nahm sie die Zügel selbst in die Hand, trug all ihre Songtexte, die auf ausgedehnten Touren entstanden sind, zusammen und produzierte "Count To Ten" mit ihrem langjährigen Musikgefährten Dennis Ahlgren. Dico schrieb nicht nur alle Songs sondern spielte zusammen mit Ahlgren auch einen Großteil der Instrumente ein. Vocals, Gitarren, Piano & Synths, Saxofon, Tamburin ist in den Credits allein neben ihrem Namen zu lesen.

Die Spannweite der Sounds beginnt beim Gitarrenpop mit Blueseinschlag auf der Single "On The Run" (Video siehe oben), die zu Beginn etwas nach Amy Winehouses "Rehab" klingt und dann in einen dermaßen eingängigen Refrain mündet, für den andere morden würden. "Don't say 'No' to anyone, but keep your heart safe inside" - "Open Wide", eine mitreißende Midtempo-Ballade, aufschaukelnd und große Emotionen weckend. Tina Dico ist keine große Stimmakrobatin, "Count To Ten" enthält kein einziges Gitarrensolo, keine Riesensammlung an Hooks und "catchy tunes", wie man sie heute so gern in Popproduktionen sucht, und noch weniger ist die Platte etwas, das man hypen könnte. Tina Dico gönnt sich mit der einen oder anderen nachdenklichen Ballade auch mal Ruhe, lässt den Zuhörer das perfekte Zusammenspiel zwischen Melodie und Lyrics genießen, meidet den Pathos, der anderswo so oft mit Melancholie verwechselt wird. Sie spielt für den Zuhörer, weniger des Zuhörers wegen.

"Night Cab" erstreckt sich gleich über zwei Songs: Der eigentliche Albumtrack ist eine trabende Country-Nummer, in der sie den fiktiven Taxifahrer mit "Keep driving! Keep driving!" voller Entdeckungsdrang antreibt, während der Hidden Track am Ende fast denselben Text enthält, aber es ist nunmehr ein Flehen bloß nicht stehenzubleiben.

Gehen, stehen, laufen, davonrennen - Bewegung im Sinne von sich bewegen, etwas bewegen oder auch gar nichts zu bewegen spielt auf "Count To Ten" eine große Rolle. Ist es bei "On The Run" noch die Freiheit, die Tina Dico besingt, plagt sie in "Sacre Coeur" das Heimweh und der Gedanke an ein scheinbar einfacheres Leben, in dem man sein Herz nicht selbst trösten muss. Voll der inneren Widersprüche singt sie drei Tracks später "Love is cruel to the sensitive kind", nur um sich dann in "Craftmanship And Poetry" die unerträglich laute Stille vorzustellen, die sich in ihr Ausbreiten würde, würde sie immer nur darüber schreiben und singen, statt die Dinge zwischendurch am eigenen Körper zu erfahren.

Ihre Leidenschaft für wilde Gedankenspiele und Philosophie - das studierte sie einmal vor ihrer Musikkarriere - lässt die Songwriterin beim Titelsong "Count To Ten" durchblicken. Er steht an erster Stelle der Tracklist, man rafft ihn aber erst, sobald der Zähler am CD-Player von der 11 wieder auf die 1 gesprungen ist. Eine treibende Melodie peitscht durch den Wortsalat aus Verneinung und Zustimmung, Möglich- und Unwahrscheinlichkeit, bis Tina Dico dem Zuhörer selbst die Gelegenheit gibt, sich wieder einen klaren Kopf zu holen. "Schließ die Augen, zähl bis zehn - du wirst alles verstehen."

1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9,...

10 von 10 dänischen Delikatessen


Von Christoph Andert

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