Vor exakt 30 Jahren riefen Spike Slawson und NOFX-Mastermind Fat Mike die bis heute erfolgreiche und beliebte Punkrock-Coverband Me First And The Gimme Gimmes ins Leben. Wir befragten Frontmann Spike am Rande des Nova Rock zum Jubiläum, aber wie erwartet scherte das Gespräch schnell in andere Richtungen aus.
„Country Roads“ und „Leaving On A Jet Plane“ von John Denver waren die beiden ersten Songs, die die Me First And The Gimme Gimmes am 26. August 1995 veröffentlichten und damit ein neues Zeitalter im Punkrock einläuteten. Auf dem Höhepunkt der US-Westküstenwelle der Szene hatte NOFX-Mastermind Fat Mike Lust, mit Joey Cape von Lagwagon, Chris Shiflett (Foo Fighters), Dave Raun (Lagwagon) und Frontmann Sean „Spike“ Slawson eine astreine Coverband an den Start zu bringen. Das Ziel – Songs von ABBA über Pop bis hin zu Country zu rasanten Punk-Krachern zu formen und dabei vor allem live für eine unnachahmliche Party zu sorgen. 30 Jahre später sind Spike und Cape noch immer an Bord, dazwischen erfreuten sich auch Brian Baker und Jay Bentley von Bad Religion oder – aktuell - CJ Ramone daran, ungezwungen und ohne Druck für Stimmung zu sorgen.
An ein Album hat man anfangs gar nicht gedacht, sodass die Band nur auf Samplern veröffentlichte. 1997 kam das Debüt „Have A Ball“ ans Licht der Oberfläche – danach arbeitete man sich im Buch des globalen Songwritings stetig nach vorne. „Are A Drag“ widmete sich dem in Punk-Kreisen verhassten Genre Musical, „Blow In The Wind“ ging auf die 60er zurück und mit „Take A Break“ wagten sich die Kalifornier gar dem R&B. Jedes Album ein neues Abenteuer. Exakt drei Dekaden später sind Me First And The Gimme Gimmes (die Spike übrigens diesen April in „Spike And The Gimme Gimmes“ umbenannte) nicht nur eine der beliebtesten Livebands zwischen West-Texas und dem östlichsten Punkt Europas, sondern auch so dick im Geschäft, dass Spike trotz der unzähligen Besetzungswechsel auch noch ganz adäquat davon leben kann – ohne einen einzigen eigenen Song. Grund genug, um einmal genauer nachzufragen.
„Krone“: Spike, 2025 feiert deine Band ihren 30. Geburtstag. Als Erstes aber eine Frage nach dem Namen: Beim Nova Rock seid ihr traditionell als Me First And The Gimme Gimmes aufgetreten, eine US-Tour fungierte unter dem Namen Spike And The Gimme Gimmes. Wo liegt der Unterschied?
Spike Slawson: Spike And The Gimme Gimmes ist irgendwie akkurater und aktueller und wir versuchen gerade, die Band in diese Richtung hin zu verändern. Wir spielen immer noch die alten Klassiker und wollen ihnen gerecht werden, sie vielleicht manchmal ein bisschen adaptieren. Kein Fan von Me First And The Gimme Gimmes wird enttäuscht sein, aber die Band hat sich so stark verändert, dass ich ihr gerecht werden wollte und dadurch den Namen adaptierte. Es ist irgendwie dasselbe und dann doch nicht. Schaut es euch einfach an. (lacht)
Aktuell existieren beide Bezeichnungen?
Me First And The Gimme Gimmes galt noch für die früh gebuchten Festivalshows dieses Sommers. Eigentlich sieht die Lage ab jetzt anders aus.
Gut, aber 30 Jahre sind nicht nichts. Vor allem dann, wenn man als reine Coverband fungiert. Das muss man erst einmal schaffen, auch wenn du die einzige Konstante bist. Du hast dabei die gesamte Palette des Punkrock und noch vieles mehr abgedeckt.
Die großen Klassiker hätte ich selbst gerne geschrieben. 30 Jahre sind eine ordentliche Zahl. Das klingt nach einer langen und zähen Ehe, aber es fühlt sich zum Glück nicht so an. Wir sind alle immer noch gute Freunde, aber wenn du die aktuelle Zahl dazu nennst und dann so auf die Bühne gehst, wirkt das fast ein bisschen peinlich. (lacht) Ich habe aber eine bessere Zeit als je zuvor und bin mit tollen Menschen unterwegs, die auf der Bühne harmonieren und mit denen das Reisen einfach ist. Viele von ihnen kennen das Business schon 30 Jahre oder länger und wenn man das immer noch mit Freude macht, sagt das schon was aus.
Viele schimpfen uns als Typen, die keine wirklichen Jobs hätten. Jene, die sagen, das wäre kein Job, sind auch jene, die in so einer Band keine fünf Minuten überleben würden. So eine Band zu haben, ist sogar ein verdammt harter Job. Wenn du aber einen normalen Job hast, dann ist dieser hier im Vergleich dazu großartig. CJ Ramone hat immer gesagt, er kann es nicht fassen, dass er als Bassist Geld verdienen würde. Der schlimmste Tag ist jener, wo wir irgendwo im Flugzeug auf Reisen sind. Was für ein toller Job! Und man lernt dabei Dinge kennen, die man nie vergeht – etwa deutsches oder italienisches Tankstellenessen. Warst du jemals bei einem Autogrill?
Natürlich. Ich bin auch Fan.
Prosciutto, ein köstliches Sandwich oder einfach nur Speck – dort kriegst du alles. Die ganze Welt sollte sich an diesen Ländern und auch an Österreich ein Beispiel nehmen. Vor allem die USA. Dort kriege ich maximal Hörbücher von Johnny Moran.
Was ist bei 30 Jahren mit dieser Band eigentlich am wichtigsten? Als Dompteur immer wieder die richtigen Mitstreiter zu finden, die deinen Weg mitgehen? Ein Gespür für das Personal zu haben?
Die richtigen Leute zu wählen, geht in erster Linie immer über die menschliche Ebene. Wenn das nicht passt, dann können die Fähigkeiten an den Instrumenten noch so gut sein, du wirst nie glücklich werden. Bleiben wir bei CJ Ramone – so einem Typen brauchst du nichts erklären, man muss ihn einfach nur frei spielen lassen. Für John Reis gilt dasselbe. Oder Andrew „Pinch“ Pinching, ein Gründungsmitglied der English Dogs, der auch an die 20 Jahre bei The Damned spielte. Solchen Musikern muss man keine Anweisungen geben, das wäre fast widerwärtig. Wir leben in einem Showbusiness, das voller Egos und ekelhafter Selbstdarsteller ist. Ich bin das auch, aber mit viel Ironie und ich hatte mit allen Mitgliedern dabei immer eine tolle Arbeitsatmosphäre.
Weil das Wort „Job“ vorher so oft fiel – hast du jemals daran gedacht, dass diese Band dein Leben sein würde? Dass es reichen würde, der Leader einer Coverband zu sein?
Nicht so wirklich. Wir begannen auf dem Label von Fat Mike von NOFX. Er spielte hier Bass und gab dem Projekt das Künstlerische. Natürlich war mir klar, dass mit ihm die Popularität dieser Band enorme Ausnahme hatte und es war spürbar, dass etwas weitergeht. Unser Debütalbum hatte damals einen sehr geordneten, braven Sound und klang mehr wie eine TV-Werbung, denn wie ein Punkrock-Album. Das war 1997 „Have A Ball“ und zu der Zeit war Punkrock noch immer extrem populär und ich dachte, mit unserer Musik wären wir zu schlampig für Erfolg. Meine Musik ist oft schlampig, aber damals war das nicht beabsichtigt. Es ist ein großer Unterschied, ob man etwas nicht will oder nicht kann. Viele meiner Idole wie The Clash, die Sex Pistols, die Buzzcocks oder The Damned hatten auch Humor, einen verwaschenen, irren Sound und ein theatralisches Element – das war sexy. Das war die Musik, die mich ansprach. Aus den 90ern gefiel mir vor allem das Skate-Punk-Zeug, das kommerziell gar nicht so erfolgreich war. Die San-Francisco-Szene, wo es bei Konzerten auch mal wilder zuging und Moshpits explodierten.
Mitte der 90er, als du deine Band ins Leben gerufen hast, war die amerikanische Westküste voller großartiger Punkrock-Bands. Ihr habt die Gimme Gimmes also in eine perfekte Zeit hineingeboren.
Damals arbeitete ich anfangs für einen Vertrieb einer Plattenfirma, der ziemlich vielen Menschen Geld aus der Tasche zog und veruntreute. Bands wie die Avengers oder D.O.A. waren dabei Leidtragende, auch die Subhumans befanden sich darunter. Wir haben die Scheiben von Epitaph und Fat Wreck Chords von Fat Mike vertrieben und alles lief extrem amateurhaft ab. Damals ging Merchandise an den falschen Kontinent, absolutes Chaos und ich war aktiv daran beteiligt. Er hat dann die Firma umgestellt und mich mitgenommen und mit Joey Cape von Lagwagon gemeinsam gefragt, ob ich nicht in einer gemeinsamen Coverband singen möchte. Mike, der damals mit NOFX schon Riesenerfolge feierte, sagte selbst, am populärsten kämen bei den Leuten immer Coversongs an.
Und schon ging es mit der Band los?
Mike hat mich mal dabei gesehen, als ich Songs der Underground-Band Psychotic Pineapple coverte – ein paar dieser Jungs waren in meiner damaligen Truppe mit dabei. Wir waren eine Power-Pop-Band und er wollte mich nicht mehr im Vertrieb haben, weil ich so viel Schaden verursachte, was ihm richtig viel Geld gekostet hat. Er wollte mich dafür als Musiker haben und spielte mir Songs von Propagandhi vor. Er meinte, sie würden Musik völlig ohne Effekte machen und ich sagte ihm, ohne Effekte singen auch die Carpenters. Auf Epitaph haben sie viel probiert und umgestellt und auch schräge Sachen wie die New Bomb Turks ausprobiert. Dann kamen auch noch Gas Huffer dazu. Auch so eine schräge Combo, die den Ruf des Labels erweiterte. Mich hat damals schon imponiert, dass ein Label, das so starke Zugpferde wie The Offspring hatte, auch in die Richtung ging und Budget in etwas warf, das man einfach mochte – ohne kommerziellen Hintergrund. Noch heute sind Epitaph sehr divers aufgestellt und das war bei uns neu. Ein bisschen wie die Festivals hier bei euch in Europa – die sind buntgemischt und laufen deshalb so gut. In Amerika war das lange undenkbar.
Und auch wenn Me First And The Gimme Gimmes auf Fat Wreck waren, ihr habt als Coverband mit Spaßfaktor natürlich sofort gut reingepasst.
Für mich war das Entdecken solcher Bands hier immer besonders. Ein ganz spezielles Gefühl. So wie wenn die Sonne aufgeht und du dich als Mensch plötzlich ganz klein fühlst, weil du von der Sonne überwältigt bist. Die Ramones waren für mich Pop-Punk, auch die Buzzcocks haben im Endeffekt Popmusik neu definiert. Ich habe mit der eigenen Band schnell bemerkt, dass das Publikum eine gute Show und Energie haben will. Darum geht es und das liefern wir bis heute. Mach ein Konzert interessant und kurzweilig. Kleide dich schräg, habe selbst Spaß und alle anderen werden auch Spaß haben. Meine Ehefrau Audra Angeli-Morse ist übrigens nicht nur unsere Tourmanagerin, sondern auch die Herrin über die Garderobe und der Style-Guru in der Band.
Was machen denn die Gimme Gimmes eigentlich aus deiner persönlichen Sicht für Musik? Dieser Punkrock mit den humoristischen Elementen ist doch wieder ein Subgenre für sich.
Am ehesten würde ich „American Schlager“ dazu sagen. Niemand beherrscht es so gut wie Amerikaner, Trash zu erzeugen. Und zwar in alle Richtungen. Trash geht bei uns von John Waters über Kim Kardashian bis hin zu Donald Trump. Das einzige Schöne an der Trump-Ära für mich ist, dass ich die schmutzige Wäsche dieses Landes durch die Welt tragen und allen zeigen kann – auf humoristische Art und Weise. Alles andere ist leider wirklich tragisch und herzzerreißend. Deutsche und Italiener sind dafür die Könige des Schlagers. Diese Typen mit den sanften Liedern und dem großartigen Äußeren – das beherrschte sonst niemand so gut. Es ist eine Verkleidung.
Es gibt Typen, die mit goldenen Mikrofonen auf der Bühne stehen und was von Liebe säuseln und sich nach dem Gig die Converse und das Black-Lips-Shirt überstreifen und damit in den Feierabend gehen. In den deutschsprachigen Ländern schätzt ihr den Schlager aber auch unironisch. Es ist doch schön, wenn sich Menschen selbst nicht zu ernst nehmen, aber die Ironie ihrer heimatlichen Kunst schon. Es gab mal so eine Underground-Band namens The Real Scorpions – großartig! Wenn Deutsche lustig sind, dann sind sie richtig lustig.
Diese Einschätzung wird in Österreich wahrscheinlich angezweifelt …
Aber es ist so. Du kennst doch sicher das „Titanic“-Magazin? Die hatten Roberto Blanco am Cover mit dem Spruch „Warum nicht mal ein Neger?“ Natürlich hart, aber unglaublich witzig. In Amerika gab es früher als Gegenpol das „National Lampoon Magazine“. Die hatten mal ein Hündchen am Cover und stellten ein Ultimatum: „Kaufen Sie dieses Heft oder wir erschießen diesen kleinen Hund“ - genial. In Amerika ist das aber eine Seltenheit, weil die Sittenwächter und Moralisten überall in der Mehrzahl sind. Bei euch in Europa gibt es Humor, der Menschen wie Erwachsene behandelt und nicht wie Kinder. Das ist der größte Unterschied zu den faden und schlaffen USA.
Humor ist ein Element, dass bei den Gimme Gimmes immer besonders stark hervorstach. Heute wird alles auf die Goldwaage gelegt, Cancel Culture und politische Korrektheit machen es vielen Künstlern nicht leicht. Musstet ihr euren Humor dahingehend auch schon adaptieren?
Wir haben uns im Tourbus unlängst einen amerikanischen Comedian namens Anthony Jeselnik reingezogen. Er ist ein bisschen ein Vorreiter gegen diese Strömungen. So wie auch Dave Chappelle, den ich sehr schätze, auch wenn er seine Kritik gegenüber Transpersonen doch deutlich übertrieben hat. Das wirkt so, als wolle er zwanghaft noch einen draufsetzen und noch angriffiger sein, als es Sinn macht – nur um der Schlagzeilen willen. Das ist mir zu plump. Jeselnik zeigt jedenfalls gut auf, warum Comedians die Cancel Culture hassen und warum er Comedians hasst, die Cancel Culture hassen. Er versteht es perfekt, um die heißen und tabuisierten Themen zu tänzeln. Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund, schießt oft über das Ziel hinaus, macht das aber auf einer solchen Humorebene, dass es die Leute witzig finden. Über ihn lachen auch die Menschen in meiner Heimat San Francisco und dort ist das gar nicht so leicht, weil alle so sensibel sind.
Das Humorempfinden unter den Menschen hat sich schon immer stark unterschieden, aber die Moralkeule wird heute wesentlich öfter geschwungen, als es früher der Fall war.
Witzig zu sein ist heute viel herausfordernder als früher. Zu einem sehr großen Teil lachen die Leute doch gerne über die Dinge, die sie in erster Linie empören oder empörend finden. Die Leute wollen verarscht werden, aber es kommt immer darauf an, wie geschickt man dabei vonstattengeht. Viele Konzerte, wo es die meisten Buh-Rufe gibt, sind dann jene, bei denen die meisten T-Shirts verkauft werden. Heute ist so viel verboten oder gefühlt verboten, dass das Überschreiten von Grenzen wieder mehr Reiz hat als früher. Es gibt aber natürlich auch dort Grenzen, die man nicht überschreiten sollte. Bei euch eine Nazi-Flagge aufzuhängen, fällt unter dieser Rubrik. Da sind zu viele wirklich brutale Schicksale damit verknüpft, dass man auch unter krampfhaftem Suchen keinen Humor darin findet. Vor allem dann nicht, wenn sich Amerikaner erdreisten, mit so etwas um die Ecke zu kommen. Wenn sich jemand dazu aufschwingen kann, dann ein Einheimischer, aber auch das ist eigentlich nicht zu argumentieren.
Wie geht es denn mit der Band weiter? Kommt nach mehr als zehn Jahren noch einmal ein echtes Studioalbum, oder sind diese Zeiten vorbei?
Zuerst spielen wir an der Westküste unsere bereits zur Tradition gewordene Weihnachtstour, ohne die es eigentlich gar nicht mehr geht. Mittlerweile überlegen wir auch schon, diese Daten auf Großbritannien auszuweiten, weil ich mir sicher bin, dass der Humor in diesem Bereich dort genauso gut ankommt. Über ein neues Album reden und diskutieren wir schon ziemlich lange, aber es bleibt meistens bei den Diskussionen, ohne dass wir dann in medias res gehen. Möglicherweise fangen wir mal klein an und veröffentlichen einen neuen Weihnachtssong, damit wir das alljährliche Programm einmal ein bisschen aufpeppen und die Party feuriger gestalten als üblicherweise. Wie immer gilt bei den Gimme Gimmes: lasst euch überraschen.
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