Wikipedia-Lügen

“Wikiscanner” rittert gegen Wikipedia-Lügen

Web
27.08.2007 14:56
Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist für Millionen Internetnutzer ein unverzichtbares Nachschlagewerk geworden. Doch da jeder daran mitarbeiten kann, gibt es auch Probleme mit der Verlässlichkeit. Denn nicht alle Wikipedia-Zuarbeiter fühlen sich der Wahrheit verpflichtet: Ein neues Werkzeug namens Wikiscanner enthüllte, dass zahlreiche Unternehmen und Regierungsbehörden Einträge der englischsprachigen Version in ihrem Sinne verändert haben. Kritische Kommentare sind ebenso verschwunden wie ganze Einträge, die offenbar nicht in die Firmenpolitik passten. Jetzt ist das Scanner-Tool auch für die deutsche Wikipedia erschienen – und auch hier sind Enthüllungen zu erwarten.

Der amerikanische Informatikstudent Virgil Griffith hat das Recherche-Werkzeug entwickelt. Die Idee kam ihm, als publik wurde, dass Abgeordnete des US-Kongresses ihre eigenen Seiten geschönt hatten. „Bei nicht-kontroversen Themen funktioniert Wikipedia schon. Bei kontroversen Themen kann Wikipedia durch Instrumente wie dieses zuverlässiger werden“, erklärt er auf seiner Website - also indem politisch, religiös oder kommerziell motivierte Veränderungen offenkundig werden.

Die technische Umsetzung ist nicht besonders kompliziert. In der Online-Enzyklopädie können Nutzer alle Änderungen zurückverfolgen - inklusive der IP-Adresse des Bearbeiters, die jedem Computer eindeutig zugeordnet ist. Diese Dokumentation macht sich Griffith zu Nutze: Er besorgte sich eine Datenbank mit den Adressen bekannter Institutionen und Firmen, die meisten aus den USA - für die deutsche Version, die erst vor kurzem erschienen ist, klarerweise mit einer Liste aus hiesigen Ländern. Der Wikiscanner gleicht die Daten mit den Lexikon-Einträgen ab - und spuckt aus, wer welche Artikel bearbeitet hat.

US-Magazin: Microsoft löschte kritischen Xbox-Eintrag
Das US-Magazin „Wired“ hat mit der Software eine lange Liste verdächtiger Veränderungen in der englischsprachigen Wikipedia erstellt. Einige Resultate sind banal oder lustig, andere offenbaren gezielte Manipulationen. So versuchte jemand von einem Rechner der israelischen Regierung aus, den Text über die Mauer in den palästinensischen Gebieten zu löschen. Übrig blieben wenige Sätze. Die Entscheidung der Vereinten Nationen, das umstrittene Bauwerk als illegal zu bezeichnen, sei „abscheulich, undemokratisch, illegal, rassistisch“, heißt es nur noch.

Der US-Ölkonzern Chevron-Texaco löschte gleich den ganzen Text über Biodiesel, während Microsoft eine kritische Passage über seine fehleranfällige Spielkonsole Xbox 360 verschwinden ließ. Doch nicht nur für Unternehmen und Regierungsbehörden enthält die Liste peinliche Enthüllungen. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat den eigenen Eintrag verändert. Verweise auf kritische Texte verschwanden zwischenzeitlich im digitalen Orkus.

Eher kindisch sind dagegen Einträge, die ein Mitarbeiter der britischen BBC vornahm. Der anonyme Autor behauptete, der ehemalige britische Ministerpräsident Tony Blair habe bei einem EU-Gipfel zu viel Wodka getrunken und sich anschließend „lebhaft“ im Schlafzimmer ausgetobt. Ursprünglich war von Blairs ungesund hohem Kaffeekonsum vor einem Besuch im Fitness-Studio die Rede.

Andrang auf deutschen Wiki-Scanner enorm
Die Betreiber von Wikipedia sehen die Veröffentlichungen betont gelassen. „Das ist nichts weltbewegend Neues“, sagt Arne Klempert, Geschäftsführer der Wikimedia Deutschland. Alle Beiträge würden von den zahlreichen Autoren permanent überprüft. Nun sei nur „übersichtlich zusammengefasst“, welche Unternehmen und Institutionen Wikipedia bearbeiteten. „Eine Großzahl der anonymen Einträge ist produktiv und im Sinne des Projekts“, zeigt sich Klempert überzeugt. Mal sehen wie seine Reaktionen lauten, wenn sich die User mit dem neuen Tool erst einmal über die Deutsche Wikipedia hermachen. Der Ansturm ist bereits so enorm, dass Teile der Suchmaske zwischenzeitlich (Stand: Montag, 27.8. 15 Uhr) abgeschaltet werden mussten.

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