Vor rund 14.000 Fans luden Wanda am Freitagabend zum dritten Mal in Folge zu ihrer alljährlichen Weihnachtsshow. Der Rock‘n‘Roll des Pionierjahres ist der Routine einer eingespielten, etablierten Band gewichen, deren Ausbrüche oft sehr kalkuliert wirken. Bei aller verdienten Liebe für Musiker und Musik – wohin führt der Weg ab jetzt?
In der Musik geht es oft um den richtigen Moment. Wenn man erfolgreich ist, hat man ihn unweigerlich getroffen. Kann ihn, adaptiert, in die Länge ziehen und wiederaufleben lassen, ist aber nicht davor gefeit, dass er sich irgendwann von einem absondert und neue Ufer ansteuert. Wanda hatten diesen Moment 2014 und 2015. Sie brachten Zigaretten, Schnaps und den grindigen Schweiß von Gürtellokalkonzerten in die Szene. Sie revolutionierten den österreichischen Rocksound wie keine zweite Band. Reanimierten ihn, nur um ihm einen neuen Anstrich zu geben und so klingen zu lassen, wie er in England oder Amerika klingt, nicht aber im katholischen Österreich: roh, dreckig, energetisch, kompromisslos. Von diesem Moment, den man auch Revolution nennen kann, zehrt man seither. Man wiederholte sich, schwang das Pendel aus, versuchte sich neu zu erfinden, erzählte die Geschichte aus anderen Perspektiven und konnte damit etwaige Schwächephasen oder Redundanzen überdecken.
Eine magische Nacht
2023 kommen Wanda auf die goldene Idee, eine Weihnachtsshow zu veranstalten. Ein Triumphzug. Alle großen Hits werden in die Menge gefeuert, die genauso enthusiasmiert empfängt, wie die Boten auf der Bühne entsenden. Die große Christina Stürmer betritt die Bretter und wird umjubelt begrüßt. Marco Wanda singt in einer Amore-Weihnachtsmütze. Austropop-Doyen Boris Bukowski beweist, dass das Alter wirklich nur eine Zahl ist. Marco Wanda spielt den berührend-persönlichen Song „Bei niemand anders“ erstmals live. Am Klavier, live übertragen beim Ö3-Weihnachtswunder. Tränen in der ganzen Halle. Kraftklub kommen auf die Bühne, nehmen sie ein bisschen für sich ein, übernehmen sie aber nicht von Wanda. Männlichkeit einmal anders. Man lässt sich Raum, feiert gemeinsam, nützt seinen Status, erhebt sich dabei aber nicht über den jeweils anderen. Eine magische Nacht, oder „una notte magica“, wie Marco Wanda, der italienischste aller Wiener wahrscheinlich resümiert hätte.
Sprung in die Gegenwart. Wanda laden zum bereits dritten Mal zur wenig besinnlichen Besinnlichkeit. Das musikalische Programm ist bekannt, die Band steht seit geraumer Zeit fest, der Bühnenaufbau könnte eins zu eins vom Vorjahr übriggeblieben sein. Mit dem unverwüstlichen Smash-Hit „Bologna“ zum Auftakt sollte nichts danebengehen, doch die gegenseitige Magie zwischen Sender und Empfänger ist noch nicht auszumachen. Plötzlich ertönen ein unbekanntes Riff und noch nicht gehörte Textzeilen. Ein offenbar noch unbekannter Song, der auf den Band-Setlisten mit „Da kommt das Licht her“ beschrieben ist. Klingt ein bisschen wie Nirvana light, die Anwesenden nehmen das Dargebotene mit stoischer Ruhe an und staunen. „Wir sind verloren“ und das wundervoll aggressive Nirvana-Cover „Territorial Pissings“ locken die Halle auch noch nicht aus der Reserve. Erst mit „Auseinandergehen ist schwer“ hat man nach bereits gut 20 Minuten erstmals das Gefühl, man wäre auf einem Wanda-Konzert, wie man es von früher kennt.
Die Tschick bringt Veränderung
Auch der Frontmann braucht eine gewisse Zeit, um in die Gänge zu kommen. Die ständigen „Amore“-Rufe in unterschiedlichen Tonlagen locken niemanden mehr aus der Reserve, es muss schon mehr passieren, damit diese Party hier noch eskaliert. Die Aufwärmphase dauert jedenfalls ungewöhnlich lange, was daran liegt, dass Wanda zuweilen nicht aus der praktischen, aber vergleichsweise spannungsarmen Routineschleife kommen. „Luzia“ wird nach Programm exerziert, das jazzige Intro bei „Schickt mir die Post“ klingt gut, aber auch bemüht artifiziell und „Wachgeküsst“ kriegt in seiner Ausuferung einen langen Bart. Der Knackpunkt kommt spät. Das Quasi-Prog-Rock-Meisterstück „Va Bene“ wird in einer noch vertrackteren, intuitiv auf die einzelnen Musiker zugeschnittenen Langversion zu einer alpenländischen Pink Floyd-Verbeugung, „Meine beiden Schwestern“ und „Ich will Schnaps“ reißen auch die oberen Ränge von ihren Sitzern und Marco Wanda zündet sich endlich eine Tschick an.
Die Band wirkt physisch gesund und gut in Form. Auf der Gästeliste fischt man mit Juli tief in der Nostalgiekiste. Sängerin Eva Briegel sorgt mit „Geile Zeit“, „Dieses Leben“ und „Perfekte Welle“ für eine Reise in alte Zeiten, denn die fetten Jahre der sympathischen Gießener liegt rund zwei Dekaden zurück. Von der Zeitlosigkeit der Songs und wohl auch der eigenen Jugenderinnerungen mitgerissen, zeigt sich Marco frei tanzend und uneingeschränkt glücklich. Als sich die kreuzbrave deutsche Band kreuzbrav bedankt und noch kreuzbraver verabschiedet, wirkt das ganz und gar nicht gefährliche Gebaren Wandas plötzlich kantig und messerscharf. Das berührende „Bei niemand anders“ und die Top-Hits „Bussi Baby“, „Columbo“ und „1, 2, 3, 4“ reißen endlich richtig mit. Da deutet es sich wieder an, das Gefühl, das Wanda vermittelt haben, als der Moment ganz bei ihnen war und nichts und niemand durch den Panzer der künstlerischen und performativen Teflonschicht drang. Plötzlich sind die Zigaretten wieder ohne Filter, ist der Schnaps nicht mehr verwässert, riecht der Schweiß nach Arbeit.
Das Feuer muss brennen, nicht lodern
Besagter Moment mag heute andernorts residieren, als entzündbarer Funken liegt er aber immer noch dort begraben, von wo er 2014 einen Flächenbrand auslöste. Wanda sind heute aber nicht mehr die hungrigen und gegen die Welt kämpfenden Vollblutmusiker mit dem Hang zum Suff. Sie sind Vollprofis, die in Co-Union mit der Welt agieren und zuweilen eingepasst wirken. Sie beherrschen eine Rockshow fast zur Perfektion, sind damit aber dort, wo sie früher niemals hätten hinwollen. In seinem heuer erschienenen Buch „Dass es uns überhaupt gegeben hat“ skizziert Marco Wanda, dass lässige Sneakers für Wanda immer ein absolutes Bühnen-No-Go waren, aber Gitarrist Manuel Poppe schlurft mit ebenjenen durch das zweistündige Set. Vielleicht ist Wandas eigener Song „Va Bene“ mit der Textzeile „Mir ist alles ein bisschen wuascht“ eine selbsterfüllende Prophezeiung. Es wäre schade, würde diese so großartige Band hinkünftig Revuen statt Rock’n’Roll-Messen exerzieren. 2026 gibt’s bis zur nächsten Weihnachts-Sause eine Live-Pause. Genug Zeit für eine Rekalibrierung, auf dass das lodernde Feuer des heute letzten Konzertdrittels hinkünftig wieder einen ganz Abend lang brennen möge.
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