Hongkong unter Druck
Flammeninferno wegen Profitgier und Nachlässigkeit
Mindestens 55 Tote und 250 Vermisste: Der Hochhausbrand in Hongkong ist eine Katastrophe und zugleich weit mehr als ein tragisches Unglück. Es ist der erste große Lackmustest für die von Peking eingesetzte Regierung, seit diese die Stadt nach den Massenprotesten von 2019 eisern umgestaltet hat.
Die Flammen, die aus dem Wohnkomplex schlagen, legen schonungslos die tiefen sozialen und politischen Spannungen offen, die in der nur scheinbar befriedeten Metropole schwelen. Die entscheidende Frage lautet: Kann eine Regierung, die ihre Legitimation vor allem aus der Herstellung von „nationaler Sicherheit“ zieht, auch für die Sicherheit ihrer Bürger im Alltag sorgen?
Die Reaktion der Behörden auf das Feuer in einem Komplex aus acht Hochhäusern mit 4600 Bewohnern war bemerkenswert schnell. Sie wirkte fast choreografiert. Noch während die Rettungsarbeiten liefen, meldete sich Chinas Präsident Xi Jinping persönlich aus Peking zu Wort. Er forderte einen „rückhaltlosen Einsatz“, um das Feuer zu löschen und die Opferzahlen zu minimieren. Kurz darauf trat Hongkongs Regierungschef John Lee vor die Kameras. Und nur wenige Stunden später, noch bevor der Brand vollständig gelöscht war, präsentierte die Polizei bereits die Schuldigen: Drei Verantwortliche einer Baufirma wurden unter dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit festgenommen.
Diese Geschwindigkeit dient vor allem einem Ziel: die Kontrolle über die Erzählung zu behalten und die aufkeimende Wut der Bevölkerung auf einen privaten Sündenbock zu lenken, bevor sie sich gegen die Regierung selbst richten kann.
Profitgier und staatliche Nachlässigkeit
Denn der Zorn hat einen Nährboden. Seit Jahrzehnten sind die explodierenden Immobilienpreise und die katastrophalen Wohnbedingungen der soziale Brandherd der Stadt. Die Bilder von defekten Feuermeldern, leicht entzündlichen Bambusgerüsten und Berichte über Kosteneinsparungen bei der Sicherheit treffen einen wunden Punkt. In Notunterkünften und Online-Foren macht sich der Verdacht breit, dass Profitgier und staatliche Nachlässigkeit die Katastrophe erst ermöglicht haben. Für viele Bürger ist dies der Beweis, dass die Regierung zwar Kritiker mundtot machen, aber ihre grundlegendsten Schutzpflichten nicht erfüllen kann.
Dieser Vorfall trifft die Führung zu einem heiklen Zeitpunkt. Seit dem Erlass des Nationalen Sicherheitsgesetzes wurde die demokratische Opposition ausgeschaltet. Kritische Medien wie die Zeitung des prominenten Verlegers Jimmy Lai wurden geschlossen und Wahlen auf handverlesene „Patrioten“ beschränkt. Die Regierung hat bewiesen, dass sie politische Kontrolle durchsetzen kann.
Nun aber, kurz vor den nächsten, von der Staatsmacht eingeschränkten Wahlen im Dezember, wird ihre Kompetenz in einer für jeden Bürger sichtbaren Weise infrage gestellt. Der Politologe Sonny Lo fasst es so zusammen: „Zur nationalen Sicherheit gehört auch eine menschliche Dimension.“
Die kommenden Wochen werden zeigen, wie Peking und seine Statthalter in Hongkong mit dieser neuen Herausforderung umgehen. Früher, wie nach dem verheerenden Brand 1996, führten solche Tragödien zu unabhängigen, richterlich geleiteten Untersuchungen. Diese sollten das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherstellen. Ob die heutige Führung, die auf Kontrolle statt auf Konsens setzt, diesen Weg der Transparenz noch gehen kann und will, ist fraglich. Der Brand im Wohnkomplex ist gelöscht. Doch das politische Feuer, das er entfacht hat, könnte noch lange weiterlodern.

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