Erstmals Zahlen

Asylbescheide lösen kleine „Völkerwanderung“ aus

Wien
24.11.2025 10:00

Der „Krone“ liegen jetzt erstmals Auswertungen zum Übersiedlungsverhalten von Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten innerhalb Österreichs vor. Sie zeichnen ein Bild, das viele erahnten, aber niemand belegen konnte. Erst jetzt wird klar, wie sich Geflüchtete nach der Anerkennung in Österreich verteilen. Und warum am Ende ein Bundesland besonders im Fokus steht.

Nach einem positiven Asyl- oder Schutzbescheid verändert sich für Betroffene vieles – Wohnort, Perspektive, Unterstützungsleistungen. Bisher ließ sich nur vermuten, wie stark diese Phase das demografische Bild Österreichs tatsächlich verändert. Die vorliegenden neuen Datensätze, die der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) erstmals auf Anfrage der „Krone“ aufbereitet hat, schließen nun eine Lücke: Sie zeigen, wie viele Menschen nach der Anerkennung ihren Wohnsitz wechseln und wohin sie gehen.

Innerösterreichische Völkerwanderung
Für das Jahr 2024 ergibt sich ein bemerkenswertes Muster. Von den 3930 Personen, die im Vorjahr erstmals einen positiven Bescheid erhielten und nicht in Wien lebten, wechselte fast die Hälfte den Wohnort – 46 Prozent, und das überwiegend sehr schnell. 82 Prozent dieser Umziehenden verlagerten ihren Lebensmittelpunkt innerhalb der ersten drei Monate. Damit wird sichtbar: Die Phase nach der Anerkennung ist nicht nur eine administrative, sondern eine Phase der massiven innerösterreichischen Mobilität.

Auffällige Verschiebungen zwischen den Bundesländern
Besonders stark fällt die Bewegung bei den subsidiär Schutzberechtigten aus. Während 2023 noch 60,1 Prozent nach der Anerkennung nach Wien zogen, lag der Anteil 2024 zwar niedriger, doch mit 56,2 Prozent weiter deutlich über dem, was bisher nur vermutet wurde. Die regionalen Unterschiede sind gewaltig.

In manchen Bundesländern verlässt mehr als die Hälfte der subsidiär Schutzberechtigten kurz nach der Anerkennung die Region. In Oberösterreich sind es 69 Prozent, in Kärnten 68 Prozent, im Burgenland 67 Prozent, in der Steiermark und in Niederösterreich jeweils 65 Prozent. Interessant: Jene Bundesländer, die bei subsidiär Schutzberechtigten auf die Mindestsicherung aufstocken, werden selten verlassen. Tirol verlässt knapp jeder Zehnte (9 Prozent), aus Wien zieht es gar nur zwei Prozent weg.

(Bild: Krone KREATIV/stock.adobe.com)

Viele kennen nur ein Ziel
Noch spektakulärer ist die Frage nach dem Ziel. Denn die ÖIF-Daten zeigen, dass diese Bewegungen nicht bunt gestreut sind, sondern in den allermeisten Fällen in dieselbe Richtung führen – nämlich Wien. Für Oberösterreich und die Steiermark liegt der Anteil jener, die nach der Anerkennung übersiedeln und dann in Wien landen, bei jeweils 94 Prozent. Für Niederösterreich sind es 92 Prozent, für das Burgenland 90 Prozent. Damit ist erstmals eindeutig dokumentiert: Die innerösterreichische Wanderung nach der Anerkennung führt in überwältigender Mehrheit nach Wien.

(Bild: Krone KREATIV/stock.adobe.com)

Sozialausgaben ungleich verteilt
Diese jahrelange Entwicklung spiegelt sich auch in den aktuellen Zahlen der Sozialhilfe und Mindestsicherung wider. Während die zuständige Wiener Magistratsabeteilung (MA40) mit Stand jetzt noch immer nicht den Jahresbericht 2024 veröffentlicht hat, kommt dem zumindest die Statistik Austria nach. Im Vorjahr bezogen in Österreich im Durchschnitt 206.000 Personen Mindestsicherung oder Sozialhilfe. Ein Großteil davon – 149.000 Menschen – lebte in Wien. Also rund Dreiviertel der auf Unterstützung angewiesenen Personen haben sich in Wien niedergelassen.

Und wie sieht es bei den Zuwanderern aus? Unter den 149.000 Beziehern sind 60.000 Asylberechtigte und 12.600 subsidiär Schutzberechtigte. Noch deutlicher: Von den 77.648 Asylberechtigen in der Mindestsicherung oder Sozialhilfe in Österreich leben 60.135 in Wien. Von 13.652 subsidiär Schutzberechtigten in der Mindestsicherung oder Sozialhilfe leben 12.647 in Wien – also die überwältigende Mehrheit. 

Erklärungen aus erster Hand – und sie klingen eindeutig
Warum das so ist, wurde lange diskutiert. Doch die Antworten der Betroffenen selbst fallen überraschend offen aus. Eine unlängst veröffentlichte AMS-Studie enthält Interviews mit syrischen Geflüchteten, die ihre Wahl des Wohnorts klar begründen. Ein Mann drückt es so aus: „Services und finanzielle Unterstützungsleistungen sind in Wien besser als in anderen Bundesländern. Aber andere Bundesländer finde ich schöner als Wien.“ Ein weiterer Befragter erklärte schlicht, er sei wegen seines subsidiären Status nach Wien gezogen, „weil die finanzielle Unterstützung dort besser ist“. Die Kombination aus Dichte an Kursen, infrastrukturellen Angeboten und einer größeren Community kommt hinzu. Doch erst die neuen ÖIF-Zahlen machen deutlich, wie stark sich diese Motive im tatsächlichen Verhalten widerspiegeln.

Auch am Arbeitsmarkt zeigt sich Besonderheit
Die AMS-Daten ergänzen das Bild um einen weiteren Aspekt: Die Integration am Arbeitsmarkt verläuft in Wien schleppender als in anderen Bundesländern. Syrische Geflüchtete finden in Oberösterreich oder der Steiermark schneller Beschäftigung, während sie in Wien häufiger länger in Arbeitslosigkeit oder Kursmaßnahmen bleiben. Mehrere Faktoren spielen hinein: niedrigere Deutschkenntnisse im Wiener Sample, geringere formale Bildung, weniger berufliche Vorbindung. Damit ergibt sich ein Paradoxon: Wien zieht die meisten Menschen nach der Anerkennung an – ist aber gleichzeitig jenes Bundesland, in dem der Einstieg in den Arbeitsmarkt besonders langsam gelingt.

Wien zieht die Konsequenzen
Auf diese Entwicklung reagierte die Stadt nun mit einer Sozialhilfereform, die ab 2026 schlagend wird. Ab Anfang des Jahres verlieren subsidiär Schutzberechtigte den Anspruch auf die Mindestsicherung und fallen vollständig in die Grundversorgung zurück — auch jene, die bereits in Wien leben. Die Stadt bricht damit bewusst ihren bisherigen Sonderweg. Zudem kürzt Wien die Wohnanteile für Familien, was laut Rathaus etwa eine fünfköpfige Familie um rund 400 Euro pro Monat weniger bringt. WGs werden künftig wie Bedarfsgemeinschaften behandelt, was die Leistungen pro Person reduziert. Gleichzeitig bleiben die Kindersätze unverändert hoch: 326 Euro pro Kind, unabhängig von der Anzahl.

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