Alle Jubeljahre wieder kehrt Andi Lechner zurück, um seiner Schwermut in Form von The Ghost And The Machine Ausdruck zu verleihen. Auf dem neuen Studioalbum „Sorrows“ (Albumpräsentation heute Abend im Wiener Chelsea) gibt es vom Analogfanatiker auch Lebensbejahendes zu vernehmen. Mit der „Krone“ sprach er über Resonatorgitarren, Veränderungswünsche und Pfirsichspritzer in der Diaspora.
Wenn es um stilistische Zuschreibungen geht, wird der Bogen oft schnell überspannt. Im bloßen Versuch, dem potenziellen Hörer eine möglichst genaue Einordnung zu geben, versandet man schnell im Nebulösen. Doch was, wenn der Sound bewusst nebelig gehalten ist und sich neben einer gehörigen Portion US-Westküstenflair jeglichen Trends entzieht? Ja, dann kann man seine Musik wohl schmerzbefreit als „Dark Indie Folk Rock“ titulieren. Hinter dieser interessanten Herbstmelange steckt die Band The Ghost And The Machine, die in erster Linie das Brainchild des Steirers Andi Lechner ist. Vor etwas mehr als zehn Jahren hat er diese Spielwiese für sich erfunden, um jene Musik zu machen, die er in anderen Projekten vielleicht ansatzweise zu spielen pflegte, deren volle Entfaltung aber einer Emanzipation von allem bedurfte. Mit dem ambitionierten Konzept-Doppelalbum „Alice In Contraland“ erfreute er zuletzt 2021 – dazwischen hat er auch fleißig mit den körperlich und im Geiste befreunden Son Of The Velvet Rat musiziert, die den Geist des weitläufig-ruralen Amerika genauso in sich tragen wie Lechner selbst.
Offen zur Schau gestellte Ambivalenz
Sein neues Werk hört auf den lebensverneinenden Namen „Sorrows“, zitiert darauf gerne Tom Waits, Joy Division oder Chelsea Wolfe und überrascht aber immer wieder mit lichten und galoppierenden Momente, die so gar nicht nach Sorgen und Kummer klingen. Es ist diese offen zur Schau gestellte Ambivalenz, die das Wesen von The Ghost And The Machine ausmacht. So düster und zuweilen trist es Lechner in seinen Liedern gerne mag, so zugänglich und offen ist er im Gespräch. Melancholie hat viele Seiten. „Ernsthaft betreibe ich das Projekt seit etwa zehn Jahren“, erzählt er im gemütlichen „Krone“-Talk, „das erste Album haben wir in einer alten Munitionsfabrik in der DDR aufgenommen. Da haben sie uns Mikros und Equipment nachgeschmissen, die man heute teuer verkaufen könnte.“ The Ghost And The Machine lebt von einer analogen Zugangsweise. Lechner spielt alles selbst ein, verwendet Resonatorgitarren und alte Verstärker. Ein bisschen so, als möchte er sich so robust wie möglich gegen die Eile des Alltags stemmen.
„Musik als imperfekt zu betrachten, ist heute ein Statement. Es wird einem im Leben ständig vorgespielt, dass man perfekt sein soll, und alles wird zu Tode optimiert. Ich will jetzt nicht die große analoge Welt predigen, aber wenn man bei den Menschen was erreichen will, muss man gewisse Dinge vorleben. Es gibt in allen Bereichen so viel Überfluss und Hast, damit können Menschen gar nicht mehr umgehen. Selbst das Hochladen eines Videos auf YouTube ist schon mühsam geworden. Ich melde meine Zweifel an bei der Ansicht, dass es immer klug ist, auf das neueste technische Pferd zu setzen. Irgendwann kommt das menschliche Hirn nicht mehr mit und ich möchte Musik lieber wertschätzend kreieren und auch hören.“ Dass der sogenannte Vinylboom eine Chimäre ist und viele Dinge nicht so populär sind, wie sie nach außen hin dargestellt werden, ist ihm bewusst. „Der Großteil der Menschen konsumiert Musik nicht so, wie ich sie gerne konsumiert gesehen hätte. Dessen muss man sich bewusst sein, bei aller Liebe zum Veränderungswillen.“
Vom Fischverkäufer zum Melancholiker
„Sorrows“ kann man in seiner entschlackten, beruhigten Art durchaus als ein Statement sehen. Im schwelgerischen „Ghost Romance“ hört man Duettgesang mit der fantastischen The Zew, die Lechner für das Ausborgen eines Verstärkers ihre Stimme lieh. Traurigkeit und Hoffnung tanzen in schwelgerischer Dualität miteinander übers Klangparkett und Country-Einsprengsel durchbrechen sanfte Momente mit dem Gefühl von geografischer Weite und Unbegrenztheit. So unbegrenzt wie Lechners Leben verlief. Nach seinem Musikstudium in Wien arbeitete er als Fischverkäufer auf einem Wiener Markt und las in den ruhigen Momenten Dostojewski. Ein angrenzender Buchhändler wurde auf ihn aufmerksam und verschaffte ihm einen Job in seinem Laden. Sukzessive verknüpfte sich die Liebe zur Philosophie und Belletristik mit jener der Musik. So ist auch der Bandname von Schriftsteller Arthur Koestler entlehnt und sind die Texte zumeist doppelbödig und vielseitig. „Meine Mutter hört sich immer meine Alben und fragt mich jedes Mal, ob mit mir alles okay ist“, fügt Lechner schmunzelnd an, „Kunst hat für mich einen reinigenden Charakter.“
Von der digitalen Gegenwart kann sich der Südoststeirer nicht befreien, anstatt sich aber mit schnelllebigen Social-Media-Portalen zu quälen, schwebt ihm vielmehr eine interaktive Homepage vor, wo Musiker und Fan möglichst gleichgestellt sind und der Servicecharakter über die schnelle Info hinausgeht. „Das ist natürlich eine ziemlich romantische Sichtweise, aber wir Künstlerinnen und Künstler haben den Auftrag, nicht alle Trends und Mechanismen bedingungslos mitzumachen. Jede Art des Blicks in die Zukunft ist Kaffeesudleserei, aber ich habe das Gefühl, dass der direkte Kontakt vom Künstler zum Fan, die Niederschwelligkeit, an Bedeutung gewinnen wird.“ Sich vom System der Musikindustrie zu lösen, mag unmöglich wirken, es wäre aber schon wichtig, dem so gut wie möglich entgegenzustrampeln. „Gewisse Synergien lassen sich nicht aufhalten, aber ich will als Musiker nicht an einen gewissen Lifestyle appellieren. Ich halte das für problematisch und stelle lieber die Kunst an sich ins Zentrum des Geschehens.“
Pfirsichspritzer neben Kühen
Vor seiner Wiener Wahlheimat lebte Lechner in der 1000-Seelen-Gemeine Burgau in der Steiermark. „Dort gibt es wirklich mehr Kühle als Menschen“, lacht er, „zur nächstgelegenen Schule ist der Schulbus 45 Minuten lang gefahren. Dort zu leben, war eine pragmatische Nachkriegsentscheidung meiner Eltern.“ Die Erinnerungen an Kindheit und Jugend sind trotz allem schön. „Wir waren im Schlosscafé und haben dort Billard gespielt und Pfirsichspritzer getrunken - schon mit 13, weil der Besitzerin das völlig egal war. Ich war damals in meiner Skater-Phase und bin erst später zur Musik gekommen. Sie war in der Familie aber immer gegenwärtig. Meine Oma war die Burgauer Kirchenorganistin und hat ,Theatermusik‘ gemacht. Sie verstarb leider schon, als ich noch sehr jung war, aber hat uns viel Musikalität in der Familie mitgegeben. Dann kam die Gitarre und ich war hin und weg.“ Die Musik war für Lechner wortwörtlich das Sprungbrett ins Urbane.
Livekonzerte
Das neue Album „Sorrows“ stellen The Ghost And The Machine heute Abend (13. November) im Wiener Chelsea vor – es gibt noch Karten an der Abendkassa. Weiter geht es am 19. November im Grazer Café Wolf, am 22. November in der Kulturmu in Hollabrunn, am 20. Februar im Grazer Music House, am 6. März noch einmal im Grazer Café Wolf und am 10. April im Wiener Neustädter Zentralkino. Unter www.the-ghost-and-the-machine.com gibt es alle weiteren Infos und die Kartenkaufmöglichkeiten.
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