Live in Graz

Swans: Der Schwanengesang der Noise-Rock-Poeten

Musik
29.10.2025 06:00

Schwere Klänge ohne offensichtlich auszumachende Zugangspforten, die sich zähflüssig wie Lava in die Gehörgänge graben und dort explodieren – so könnte man den Großteil des Klangkosmos der Swans seit ihrer Gründung 1982 bezeichnen – auch wenn sie ganz anders können. Heute Abend (29. Oktober) kommen sie ein vorerst letztes Mal live nach Österreich (List-Halle, Graz). Die Gitarristen Kristof Hahn und Norman Westberg geben der „Krone“ Einblicke in das ganz besondere Wesen der Band.

kmm

Das bewusste Unwohlsein kann eine nicht zu unterschätzende Kraft im Hörvergnügen sein. Im täglichen Kampf gegen KI-generierte Retortenmusik, aufgezwungene Spotify-Playlists und langweilige Schema-F-Produktionen ohne Hirn, Herz und Seele wirkt die akustische Bedrohlichkeit noch intensiver und bleibt umso länger in den tieferen Magenregionen hängen. Seit mehr als 40 Jahren verfolgt der Amerikaner Michael Gira mit seinem Lebensprojekt Swans eine Radikalität, die ihresgleichen sucht. Mit den 80er-Jahre-Alben „Filth“ (1983), „Cop“ (1984) und „Greed“ (1986) bereitete er experimentellem Noise Rock mit schrägen Ausbrüchen einen Boden, auf dem sich fortan Hundertschaften von ähnlich Gearteten ausprobieren sollten. Mit dem Joy-Division-Cover „Love Will Tear Us Apart“ und dem zugänglichen Major-Label-Album „The Burning World“ (1989) schnupperte der Sound-Despot kommerzielle Klänge. Bis zur ersten großen Auflösung 1997 sollte es dann auch noch religiös, folkloristisch und psychedelisch werden.

Alleinherrschaft mit Mitstreitern
Für knapp eineinhalb Jahrzehnte konzentriert Gira sich auf seine Zweitband Angels Of Light mit seiner damaligen Lebensgefährtin und Sängerin Jarboe. 2010 kam die überraschende Swans-Rückkehr mit dem beklemmenden Werk „My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky“ und den beiden Gitarristen Kristof Hahn und Norman Westberg. Beide haben gemein, dass sie eine On-/Off-Beziehung mit den Swans führen, neben dem Chef aber als wichtigste und längste Stützen gelten. „Swans ist Michael und Michael ist Swans. So kann man die Band eigentlich bezeichnen“, erzählt Hahn im „Krone“-Interview, „er komponiert die Songs, er trifft alle Entscheidungen und ist für alles verantwortlich“. So mancher der dutzenden Ex-Musiker würde Gira wahrscheinlich als empathielosen Irren bezeichnen, Hahn, der auch ein Teil der Angels Of Light war und eine Solokarriere förderte, ist ihm dankbar. „Auf der 2023er-Tour hätte ich gar nicht dabei sein sollen, er hat es mir aber ermöglicht, vor den Swans-Gigs mit der Lapsteel-Gitarre aufzutreten. Wirklich sehr nett.“

Ob sich beim mittlerweile 71-jährigen Frontmann Altersmilde eingeschlichen hat, lässt sich nur vermuten. Interviews gibt er selten bis gar nicht, seit geraumer Zeit lässt er lieber die Musik sprechen. Lautstärkenrekordanschläge sind Swans-Gigs auch anno 2025 noch, die viehisch-wildernde Vehemenz der frühen Jahre vermag die in Würde und Krach ergraute Band freilich nicht so einfach zu reproduzieren. Giras ritualistische Klänge sind breiter geworden. Ambient-Flächen und Drone-Ausritte haben ebenso Platz, wie eruptive Noise-Rock-Momente und psychedelisch-entschlackte Augenblicke des Durchatmens. Wer Swans schon einmal live gesehen hat, läuft Gefahr, in eine paralysierende Trance zu fallen, die sich auch in die Musiker zu schleichen scheint. Das im Frühling mit einer Spielzeit von knappen zwei Stunden erschienene Werk „The Birthing“ kreuzt in zwei Handvoll überlangen Tracks genau diese Grenzbereiche und die Swans juveniler wirken als sie eigentlich sind.

Ende eines Kapitels
Das Album benennt im Titel die Geburt, meint aber metaphorisch das Ende. Wie so oft häutet sich der Klangkauz Gira und ruft mit dem Werk und der gerade laufenden Tour ein weiteres Ende aus. Swans auf Tour und in der Besetzung soll es bald nicht mehr geben, im Pensionsalter sei ihm eine Rückbesinnung auf ruhige Studiotage aber auch vergönnt. Der Rest vom Band-Schützenfest ist entweder durch Swans oder auch abseits davon standfest genug im Business verankert und muss vor drohender Arbeitslosigkeit nicht in Schock erstarren. Dieses diktatorische Gehabe war schon immer so und macht sicher auch den Erfolg der Band aus. „Michael hat eine Vision, wohin er möchte und spielt die Songideen erst einmal auf seiner Akustikgitarre ein“, so Hahn, „das kann man sich anhand der dichten Soundwände gar nicht vorstellen.“ Gira schafft es aber als respektierter und gleichermaßen gefürchteter Dompteur, die auch nicht kleinen Egos seiner kundigen Mitstreiter stets im Zaum zu halten.

„Vor ein paar Jahren war Paul Wallfisch (er buchte das Musikprogramm in der Ära von Kay Voges am Wiener Volkstheater – Anm. d. Red.) Keyboarder bei den Swans. Er dachte anfangs noch – naiv und unschuldig – daran, ein paar Ideen und Songstrukturen einzubringen. Nettes Vorhaben, er hat aber sehr schnell entdeckt, wie bei uns der Hase läuft und dass er damit gar nicht erst anzukommen brauchte.“ Auch in der Live-Situation geht es bei den Swans um das Monotone, Repetitive. „Paul spielte ein paar Noten und musste sich fünf Minuten lang wiederholen – das war aber erst der Anfang. Viele unserer Tracks gehen weit über die 20-Minuten-Marke hinaus und brauchen diese ständige Form der Wiederholung.“ Über all die Jahrzehnte gab es unzählige verschiedene Line-Ups. Dass Swans trotzdem immer kongruent einer nachvollziehbaren Richtung zuzuordnen waren, lag jedenfalls nicht daran, dass Gira sich Zeit und Muße nahm, um Ideen seiner Angestellten zu sichten.

Freiheiten mit Einschränkungen
„Der Kern der Band besteht aus Spannungen“, erklärt Westberg, einer der ältesten Weggefährten in Giras musikalischem Leben, „Michael will Erwachsene in seiner Band haben. Sie sollen sich ihren Platz erkämpfen und dann ihren Mann stehen und immer das Beste leisten. Die Interaktion der Band beschränkt sich auf die Touren und die Aufnahmesessions. Ansonsten sehen wir uns eigentlich nie, weil wir überall verstreut leben. Michael gibt allen alle Freiheiten, solo oder in anderen Projekten zu tun, was man will. Wenn er aber mit Swans losziehen will, steht alles andere zurück – das ist Teil der Vereinbarung, die man mit ihm als Musiker trifft.“ Mit seinem kompositorischen Genius färbt der Boss offenbar auch auf die Belegschaft ab. „Ohne Michael hätte ich so viel Musik und viele meiner Stärken nie erkannt“, so Westberg, „es macht großen Spaß, ein Teil dieser Band und ihrer Philosophie zu sein, auch wenn es nicht immer einfach ist.“

Westberg arbeitete zwischenzeitlich als Übersetzer für Bücher. Das führte etwa dazu, dass er vor gut zehn Jahren mitten aus einer Swans-Tour ausstieg, um die Biografie von Russell Brand zu beenden. „Michael verstand das und sagte sofort zu. Wie viele Chefs auf der Welt gibt es, die das so gut auffassen? Das ist die andere Seite an ihm, die kaum wer kennt.“ Dass es mit den Swans, so wie sie aktuell formiert sind, nach dieser Tour wieder vorbei sein wird, ist den Mitstreitern aufgrund der jüngeren Band-Vergangenheit wohl schon länger gegenwärtig. Bei den Swans geht die Musik aber über die dahinter handelnden Personen hinaus. „Schwere Drone-Musik ist heute viel akzeptierter als früher, vor allem in New York“, analysiert der Berliner Hahn, „wenn du Geld verdienen willst, ist ein Leben in einer Band wie dieser definitiv der falsche Weg, aber es gibt ein großes Publikum für diese Art von Musik.“ Bleibt zu hoffen, dass sich dieses auch beim österreichischen Schwanengesang der Swans einfindet.

Swans live in Graz
Gira und Co. spielen heute Abend (29. Oktober) in der Grazer Helmut-List-Halle ihr Monumentalwerk „Birthing“ und Songs aus älteren Dekaden und haben dabei Jessica Moss Vorprogramm. Es wird noch Karten unter www.oeticket.com und an der Abendkassa geben.

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