Der Marschflugkörper „Flamingo“ ist eine neue Langstreckenwaffe mit enormer Reichweite und Schlagkraft aus ukrainischer Produktion. Kiew setzt in sie die Hoffnung, eine Kriegswende herbeizuführen. Jetzt erfolgte der erste Einsatz. Fazit: Die „Flamingos“ müssen ihr Visier offenbar noch genauer einstellen.
Der Angriff erfolgte am Morgen des 30. August: Drei Marschflugkörper schlugen auf dem Gelände eines Stützpunkts des russischen Geheimdienstes FSB auf der Krim ein. Zunächst wurden laut dem ukrainischen Fachblog „Militarnyi“ Neptun-Lenkflugkörper dafür verantwortlich gemacht, bis sich herausstellte, dass es der erste dokumentierte „Flamingo“-Einsatz war.
Attacke gegen FSB-Außenposten
Ukrainische Streitkräfte feuerten drei Marschflugkörper auf das Ziel in Armyansk im nördlichen Teil der Krim ab, knapp hundert Kilometer südöstlich von Cherson. Ein Video, das in sozialen Medien kursiert, zeigt den Start bei Sonnenaufgang an der ukrainischen Küste (siehe Telegram-Posting unten). Militärexperten konnten dabei anhand des S-förmigen Startmusters, der Verwendung eines großen Feststoffboosters sowie des obenliegenden Triebwerks zweifelsfrei die „Flamingos“ erkennen.
Zwei der drei abgefeuerten Marschflugkörper trafen. Einer schlug in den Hauptgebäudekomplex des FSB-Außenpostens ein und verursachte erheblichen Schaden. Der zweite Einschlag erfolgte rund 200 Meter westlich am Ufer der Halbinsel. Das geht aus Satellitenaufnahmen hervor, die der Flugkörper-Experte Fabian Hoffmann analysierte.
Einschlag zeigt enorme Sprengkraft
Nach russischen Angaben wurden bei dem Angriff sechs Luftkissenboote beschädigt und ein Soldat getötet. Für Fabian Hoffmann, ein Raketen-Experte, klingt das plausibel. „Der Gefechtskopf scheint im Wasser detoniert zu sein, wodurch das Ufer aufgerissen und die Umgebung verbrannt wurde“, schreibt er im Online-Portal „hartpunkt.de“. Angesichts der erheblichen Explosionswirkung eines Sprengkopfs von 1150 kg sei es nicht auszuschließen, dass Boote, die beim Angriff 80 bis 100 Meter entfernt waren, Schäden erlitten. Verdeutlicht wird die Sprengkraft der „Flamingos“ durch die Krater von 13 bis 15 Metern Durchmesser, die die Detonationen hinterließen.
Satellitenaufnahmen zeigen die Einschläge (siehe Tweet unten):
Der dritte Marschflugkörper erreichte sein Ziel nicht. Er wurde entweder von den Russen abgefangen, per GPS vom Kurs abgebracht, oder es gab einen systeminternen Fehler.
Die Lages des Angriffsziels deutet für Hoffmann darauf hin, dass die ukrainischen Streitkräfte den Flugkörper einem Praxistest unterziehen wollten, um zu sehen, wie sie für den Einsatz taugen. Weil die „Flamingos“ nicht tief in russisch kontrolliertes Gebiet eindringen mussten, konnte man leichter beobachten, welchen Effekt sie erzielen.
Zielgenauigkeit lässt zu wünschen übrig
Zwar sind die beabsichtigten Zielpunkte unbekannt und es war nur ein Einsatz, dennoch lässt sich feststellen: Bei der Zielgenauigkeit der „Flamingos“ ist noch Luft nach oben. Die Herstellerfirma Fire Point gibt für den „Flamingo“ einen Streukreisradius (Circular Error Probable, CEP) von 14 Metern an. Bei 100 Starts schlagen demnach statistisch gesehen 50 Flugkörper innerhalb von 14 Metern um das Ziel ein, 43 innerhalb von 28 Metern und sieben außerhalb davon ein.
Sofern das getroffene FSB-Gebäude das Ziel war, erfüllte der „Flamingo“ die Herstellerangaben. „Falls jedoch das Zentrum des Komplexes anvisiert war, deutet die Abweichung auf geringere Präzision hin. Beim zweiten Einschlag verfehlte der Flugkörper das Ziel vermutlich deutlich und blieb unter den Erwartungen“, schreibt Fabian Hoffmann. Eine solche Abweichung sei statistisch aber nicht ausgeschlossen.
Ernsthafte Gefahr für kritische Infrastruktur
Der Experte vermutet, dass die ukrainischen Streitkräfte beim ersten Einsatz auf ein besseres Ergebnis gehofft haben. Sollte es der Ukraine aber gelingen, eine verlässliche Zielgenauigkeit zu erreichen und die „Flamingos“ in größerer Stückzahl zu produzieren, könne sie Russlands kritische Infrastruktur, insbesondere Raffinerien ernsthaft gefährden.
Nach Herstellerangaben haben die Marschflugkörper eine Reichweite von 3000 Kilometern und könnten somit locker Moskau erreichen und auch bis nach Sibirien vordringen. Schwere Schläge gegen die russische Kriegswirtschaft sollen eine Wende herbeiführen. Was Russland wirklich überzeugen könnte, ernsthaft zu verhandeln, seien neben Sanktionen auch die Langstreckenfähigkeiten der Ukraine, betonte zuletzt auch Selenskyj.
Teure Waffe mit Potenzial
Stand August wird in der Ukraine ein „Flamingo“ pro Tag produziert. Bis Ende 2025 soll die Produktion auf knapp sieben pro Tag, etwa 2500 im Jahr hochgeschraubt werden. Helfen soll dabei eine Kooperation mit Dänemark: Die dänische Firma FPRT, Tochtergesellschaft von Fire Point, soll ab Dezember den festen Treibstoff für die „Flamingos“ herstellen, berichtet „The Defense Post“. Knackpunkt bei den Lenkwaffen sind auch die hohen Herstellungskosten. Ein Marschflugkörper kostet etwas weniger als eine Million Euro. Zukünftige Angriffe sind also äußerst kostspielig. Daher muss jeder Schuss sitzen.
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