Gegen den Generaldirektor der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), Winfried Pinggera, werden aktuell heftige Vorwürfe laut. Bei einem Gesprächstermin in Bezug auf ME/CFS-Patientinnen und Patienten und deren Ärzte soll Pinggera von „Trittbrettfahrern“ und „Scharlatanen“ gesprochen haben, zeigte sich der Gründer der We&Me-Stiftung, Gerhard Ströck aufgebracht. Pinggera ließ die Behauptungen zurückweisen – es habe sich um „konstruktive Gespräche“ gehandelt. Scharfe Kritik kam von den Grünen.
Bereits vor knapp zwei Wochen hatte Ströck im Rahmen eines Interviews für krone.tv die kolportierten Aussagen Pinggeras thematisiert (Video siehe unten). Auf Nachfrage unterstrich er nun das Geschehen. Der Unternehmer ist Vater von zwei seit den 2010er-Jahren an ME/CFS erkrankten erwachsenen Söhnen, einer von ihnen ist schwerst betroffen. 2020 wurde von der Familie Ströck die We&Me-Stiftung zur Erforschung von ME/CFS gegründet. Neben Fundraising für Forschungszwecke hat die Stiftung auch das Ziel, zur Aufklärung und Anerkennung der viele Jahrzehnte vernachlässigten Multisystemerkrankung beizutragen, die infolge der Corona-Pandemie immer mehr Menschen betrifft und auch eine der schwersten Folgen von Long bzw. Post Covid ist.
Eindruck, dass für die PVA die Krankheit nicht existiere
Die behaupteten Aussagen Pinggeras über „Trittbrettfahrer“ und „Scharlatane“ sollen laut Ströck bereits im August 2024 gefallen sein – und zwar bei einem Termin mit dem PVA-Chef, bei dem es um die Situation der ME/CFS-Betroffenen und die Probleme bei der Begutachtung durch die PVA gehen sollte. Neben ihm selbst und Pinggera waren noch weitere Personen bei der Unterredung dabei, so Ströck. Er habe die dort gefallenen Aussagen dann auch bei einer von der We&Me-Stiftung abgehaltenen „Stakeholder“-Konferenz mit zahlreichen Beteiligten unterschiedlicher Institutionen am 19. November des Vorjahres zum Thema gemacht. Bereits damals habe er sich ernüchtert über das Gespräch gezeigt, bei dem der Eindruck übrigblieb, dass für die PVA die Krankheit „nicht existiere“.
Seitens der PVA hieß es dazu auf Anfrage, Generaldirektor Pinggera weise „die Behauptungen von Herrn Ströck zurück“. „Die letzte Begegnung liegt mehr als ein Jahr zurück“, so die schriftliche Auskunft aus der PVA-Pressestelle. Und weiter: „Im damaligen konstruktiven Gespräch ging es darum, bei Begutachtungen jene Personen, die dringend Hilfe und soziale Absicherung brauchen, von denen zu unterscheiden, deren Genesungsphase noch andauert, aber eine vollständige Gesundung zu erwarten ist.“
Missstände bei Gewährung sozialrechtlicher Ansprüche
Die PVA steht wegen ihres Umgangs mit ME/CFS- und Long- bzw. Post-Covid-Betroffenen seit längerem in der Kritik von Patientenvertretern und auch Experten. Denn Betroffene sind nicht nur mit mangelnder Gesundheitsversorgung konfrontiert, sondern haben im Falle der Erwerbsunfähigkeit auch mit sozialer Absicherung zu kämpfen: Anträge auf Berufsunfähigkeits- bzw. Invaliditätspension (bzw. auf das temporäre Rehageld) sowie auf Pflegegeld werden seitens der PVA nur selten gewährt.
Diese Probleme untermauerte im Mai auch eine gemeinsame Recherche von APA, ORF und der Rechercheplattform Dossier: In den damals dem Recherchekollektiv zugespielten und ausgewerteten Fällen wurden 79 Prozent der Anträge abgelehnt (oder bereits gewährte Leistungen entzogen). Im überwiegenden Maße sahen die von der PVA beauftragten Gutachter bzw. Gutachterinnen trotz von den Betroffenen teils drastisch beschriebener Einschränkungen Arbeitsfähigkeit.
Die Diagnosen ME/CFS oder Post Covid wurden bei mehr als der Hälfte der Gutachten komplett negiert und bei rund 40 Prozent in eine psychische oder psychosomatische Diagnose abgeändert. Bei einem guten Teil wurde den Antragsstellern „Aggravation“ (Übertreibung) der Symptome, „Verdeutlichung“ oder gar Simulation attestiert.
Verbesserungen bei den Gutachtern forderte bereits der ehemalige Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) ein. Auch die derzeitige Gesundheitsstaatssekretärin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) sagte Mitte August, man müsse das „ernst nehmen“ und „miteinander an Verbesserungen arbeiten“. Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) betonte ebenfalls im August, es gelte, „gemeinsam nach Lösungen zu suchen.“
Gesundheitsstaatsekretariat: ME/CFS ernst nehmen
Zu den nun kolportierten Aussagen hieß es aus dem Büro von Königsberger-Ludwig, man kommentiere diese nicht, da man bei besagtem Treffen nicht vor Ort gewesen sei. „Allerdings möchten wir darauf hinweisen, dass wir die Erkrankung ME/CFS sehr ernst nehmen“, hieß es aus dem Staatssekretariat. „Die Menschen dürfen sich nicht länger allein gelassen fühlen. Daher arbeiten wir an einem entsprechenden Aktionsplan.“
Konkret bedeute dies, „dass aktuell alle bestehenden Angebote erfasst werden, sodass bis Jahresende ein umfassendes Bild selbiger vorliegt“. Ziel sei eine zentrale Anlaufstelle, bei der Patienten und Patientinnen nicht nur eine Diagnose ermöglicht wird, „sondern wo auch aufgezeigt wird, wo es welche Unterstützung und Hilfe gibt. Verlässlich und niederschwellig.“
Grüne fordern „Klarstellung“ und Ende von „Schikanen und Misstrauen“
Aufgegriffen wurde das Thema auch von den Grünen, die auch parlamentarische Anfragen an Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) stellten. „Das eine sind die möglicherweise gemachten Äußerungen, die verständlicherweise irritieren und verletzen. Hier wäre das Mindeste eine Klarstellung – und falls diese Worte so gefallen sind auch eine Entschuldigung“, sagte der Grüne Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner in einem Statement.
„Das andere – und das wiegt schwer – sind die vielen Berichte über Schikanen, das Absprechen der Erkrankung, das ständige Misstrauen den Betroffenen gegenüber, die ständig erlebte Abwertung. Das muss sich endlich ändern, nicht schrittweise, sondern sofort.“ So könne man nicht weiter mit zum Teil Schwerkranken umgehen. „Und hier hat die PVA eine zentrale Rolle, eine Rolle die wir mit unseren beiden parlamentarischen Anfragen erneut kritisch hinterfragen wollen.“
Anfragen an Sozialministerium
In einer der an Sozialministerin Schumann gestellten Anfrage wollen die Grünen unter anderem wissen, ob der Ministerin die kolportierten Aussagen bekannt sind, ob diese von ihr geteilt werden und ob sie das Gespräch mit dem PVA-Generaldirektor suchen wird. „Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Recherche von ORF, Dossier und APA im Frühjahr würden die Aussagen des Pinggeras die Frage aufwerfen, ‘wie ernsthaft die PVA die Erkrankung ME/CFS nimmt und wie sich solche abwertenden Formulierungen auf die Praxis der Leistungsgewährung und Begutachtung auswirken‘“, heißt es in der Anfrage.
In einer weiteren Anfrage wird u.a. die Frage gestellt, wie hoch die Ausgaben für Gutachten und Gegengutachten in Verfahren zu Rehabilitationsgeld, Invaliditätspension oder Berufsunfähigkeit generell sind – und insbesondere zu ME/CFS Betroffenen.
PVA: Agieren entlang der gesetzlichen Vorgaben
Seitens der PVA hieß es, die Pensionsversicherung habe den gesetzlichen Auftrag, für jeden Antragsteller und jede Antragstellerin „ein objektives, auf Fakten basiertes Gutachten zu erstellen, das die wesentliche Entscheidungsgrundlage über die Gewährung bestimmter Leistungen darstellt“. Jede Person werde individuell begutachtet. „Die Kriterien für die Zuerkennung von Rehabilitationsgeld bzw. einer Berufsunfähigkeits- oder Invaliditätspension und Pflegegeld sind gesetzlich festgelegt.“ Alle Gutachterinnen und Gutachter würden gemäß dieser gesetzlichen Vorgaben handeln.
Rund 80.000 Betroffene
Mit der Corona-Pandemie sind post-akute Infektionssyndrome (PAIS) verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt - und damit auch ME/CFS. Die Zahl der Betroffenen stieg (und steigt) auch durch die Covid-19-Erkrankungen stark an. Laut Angaben der MedUni Wien dürften in Österreich aktuell zwischen 70.000 und 80.000 Personen von ME/CFS betroffen sein. Als Auslöser fungieren auch andere Virusinfektionen wie etwa Influenza oder Pfeiffersches Drüsenfieber. Auch Traumata oder bestimmte Medikamente bzw. Toxine gelten als mögliche Trigger.
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