Olympia-Held hört auf

Shamil Borchashvili: Ein Abschied als Neubeginn

Oberösterreich
03.09.2025 10:10

Der 30-jährige Marchtrenker Shamil Borchashvili hat seine Judo-Karriere beendet, die ihn zu einer der Allzeit-Größen in diesem Sport avancieren hat lassen. Nach Beendigung seines Studiums will Shamil seine Werte und Erfahrungen an die Jugend weitergeben: „Ich habe eine krasse Reise hinter mir.“

Shamil Borchashvili, Olympia-, WM- und EM-Bronzemedaillengewinner, 5-facher Silbermedaillengewinner auf Grand-Slam-Ebene, erklärt seinen Rücktritt als Leistungssportler. Sein Bundesheer-Sportsoldatenvertrag lief mit Ende August aus. „Es fühlt sich absolut richtig an, so schwer mir diese Entscheidung auch gefallen ist. Der Judosport hat mich zwei Jahrzehnte geprägt, eine bessere Lebensschule könnte ich mir nicht vorstellen“, betont der 30-Jährige. Ab sofort will er seine Energie für Schul-Workshops mit Kindern und Jugendlichen bzw. für das Wirtschaftsingenieur-Studium in Hamburg verwenden. „Es wird Zeit, sich neuen Aufgaben zu widmen. Ich will zum einen meine Wirtschaftsausbildung voranzutreiben und zum anderen, Kinder motivieren, in meine Fußstapfen zu treten. Ich hatte eine ganze Reihe von Mentoren, jetzt will ich selbst eine Art Mentor für den Nachwuchs werden.“
„War immer zu 100 Prozent da“

Shamils Olympia-Medaille in Tokyo.
Shamils Olympia-Medaille in Tokyo.(Bild: Birbaumer Christof)

ÖJV-Präsident Martin Poiger weiß die Erfolge des Oberösterreichers einzuordnen. „Seit Lupo Paischer hatten wir keinen männlichen Judoka mehr von diesem Format. Shamil war am Tag X zu hundert Prozent da und hat im Regelfall auch seine Bestleistung abrufen können. Er hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einem absoluten Weltklasse-Mann etabliert, noch dazu in der wohl ausgeglichensten aller Gewichtsklassen.“

Vor exakt 20 Jahren kam Klein-Shamil, geboren in Tschetschenien, seit seinem neunten Lebensjahr mit den Eltern und Geschwistern auf der Flucht, nach Oberösterreich. „Meine Eltern wollten, dass meine Brüder Kimran, Wachid und ich einen Sport anfangen, um möglichst schnell die deutsche Sprache zu lernen und den Anschluss zu finden. Da wir alle ziemlich aufgeweckt waren, hat sich ein Kampfsport angeboten. Eine bessere Lebensschule als Judo hätten wir uns nicht vorstellen können. Beim LZ Multikraft Wels haben wir eine sportliche Heimat gefunden. Ohne den Verein, ohne Judo wäre ich heute nicht der Shamil Borchashvili, der ich jetzt bin – mit jeder Menge sportlicher Erfolge und einem Ingenieur-Titel im Gepäck.“
Liebste Nebensache der Welt

Shamil schließt ein Comeback nicht aus.
Shamil schließt ein Comeback nicht aus.(Bild: GEPA)

Judo war zunächst nur die liebste Nebensache der Welt. „Ehrlich gesagt habe ich ziemlich lange gebraucht, um zu kapieren, dass ich den Sport auch zu meinem Hauptberuf machen könnte. Der frühere ÖJV-Nachwuchstrainer Ernst Hofer war wahrscheinlich der Coach, der mich am nachhaltigsten beeinflusst hat. Schade, dass er meine letzten Erfolge, u.a. EM-Bronze in Zagreb, nicht mehr miterleben durfte. Er hat mich immer wieder angestachelt, mich im Judo weiterzuentwickeln bzw. die notwendigen Extra-Kilometer abzuspulen. Ich habe lange gebraucht, um selbst daran zu glauben, dass ich tatsächlich das Zeug zum Weltklasse-Sportler besitze. Ernst hat mir dieses Selbstvertrauen eingeimpft.“
Großes Privileg

Exakt 2.909 Tage, also 7 Jahre und 11 Monate, währte die internationale Leistungssport-Karriere von Shamil Borchashvili. „Ich bin Österreich unglaublich dankbar, dass ich als Sportsoldat die Möglichkeit hatte, mein Land zu vertreten. Ich habe das immer als großes Privileg empfunden.“ 

Erst im Alter von knapp 23 Jahren wagte sich der LZ-Multikraft-Wels-Athlet auf die internationale Bühne. Die Bilanz nach insgesamt 48 Turnier-Teilnahmen kann sich sehen lassen: insgesamt 21 Top-7-Ergebnisse, darunter 13 Podiumsplätze – allen voran Olympia-Bronze 2021 in Tokio, WM-Bronze 2022 in Taschkent und schließlich EM-Bronze im Vorjahr in Zagreb. Dazu kamen fünf Silbermedaillen auf Grand-Slam-Niveau, zwei Turniersiege – Glasgow 2018 und Linz 2023 – sowie eine Mixed-Team-Medaille bei den European Games 2019 in Minsk. Den Mannschafts-Staatsmeistertitel mit LZ Multikraft Wels im Jahre 2021 nicht zu vergessen.
Der Weg zum Ziel

„Ich würde mich als großer Analytiker bezeichnen, das war ganz sicher meine größte Stärke. Ich habe meine Gegner zusammen mit meinem Bruder Wachid bzw. meinen Coaches bis ins letzte Detail analysiert. Meine Kämpfe gingen im Normalfall meistens ins Golden-Score, weil ich kein großes Risiko eingehen wollte“, erzählt der Halb-Mittelgewichtler (-81 kg). „Speziell war auch, dass ich mich pro Jahr nur auf ein Großereignis -entweder Olympische Spiele, WM oder EM – konzentriert habe. Alle anderen Starts waren nur der Weg zum Ziel, das hat geholfen.“

Verletzungen kamen erst im letzten Viertel seiner Karriere: „2023 habe ich mir einen Mittelhandknochen gebrochen, im Vorjahr musste ich mich einer Ellbogen-OP unterziehen. Sonst blieb ich weitgehend unversehrt. Auch das hat dabei geholfen, dass ich innerhalb von acht Jahren so erfolgreich war.“

Der Gedanke, sich künftig einer wirtschaftlichen Laufbahn zu widmen und sein Hamburger Fernstudium abzuschließen, reifte letztes Jahr, „als klar war, dass Wachid zu den Olympischen Spielen nach Paris fahren wird. Da bin ich das erste Mal aus der Judo-Blase herausgekommen und habe es Schritt für Schritt mehr genossen.“

„Man muss nur daran glauben“

Natürlich wird man den 30-Jährigen auch in der Zukunft am Mattenrand sehen bzw. beim Judo-Training im Borchashvili Combat Center. „Ich bin Obmann des Vereins. Aber in erster Linie will ich mich darum kümmern, als Vortragender Kinder und Jugendliche zum Judo bzw. zum Sport im Allgemeinen zu bringen. Mit der Botschaft: Jeder, wirklich jeder, kann Großes erreichen – man muss nur daran glauben.“

Darüber hinaus arbeitet Shamil mit einem Kulturwissenschaftler daran, den sanften Judo-Erfolgsweg auch in die berufliche Arbeitswelt – für Führungskräfte – zu übertragen. Ein Vortragskonzept ist gerade in Arbeit. „In ein paar Jahren will ich ein erfolgreicher Unternehmer sein. Wie gesagt, eine bessere Lebensschule als Judo hätte ich mir nicht vorstellen können.“

Porträt von OÖ-Krone
OÖ-Krone
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