Austropop-Krönung: Samstagabend spielten Seiler und Speer mit einem Haufen guter Freunde und kundiger Gäste vor rund 50.000 Fans im restlos ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion. Eine emotionale Achterbahnfahrt, die auch zeigte, wie breitenwirksam die heimische Musikszene geworden ist. Ein Tag der Superlative.
Schon zu Mittag herrschte Volksfeststimmung rund um den Wiener Prater. Unter dem Banner „A schware Partie“ spielen Seiler und Speer samt einer illustren Gäste- und Freundesliste das bislang größte Konzert eines österreichischen Acts in der Heimat – wenige Tage vor dem Event konnten die Veranstalter die „Ausverkauft“-Meldung durch den digitalen Äther schicken. Mehr als 50.000 Fans waren gekommen, um ihre „Hödn“ zu bejubeln.
Der freudige Anlass für das Event war das zehnjährige Jubiläum der Band und des Liedes „Ham kummst“, das, trotz ernsten Hintergrunds, vor allem zum allseits beliebten Bierzeltschlager wurde. Eine Dekade später sind Seiler und Speer die kommerziell erfolgreichste Band Österreichs und wissen um ihre Langlebigkeit. „Wenn man nach so vielen Jahren so viele Leute versammeln kann, dann haben die Leute sicher auch mal auf den Text gehört“, erzählt Christopher Seiler der „Krone“ im Interview vor dem Auftritt, „irgendwas müssen wir richtig gemacht haben, wenn uns so viele Freunde sehen wollen. Für uns ist das heute wie eine große Gästeliste.“
Eine späte Premiere
Eröffnet wird das „Mini-Festival“ bereits um 15.15 Uhr von Opus und den Schick Sisters. Nachdem sich Sänger Herwig Rüdisser vor einigen Jahren in die Pension verabschiedet hat, arbeiten die verbliebenen Opus-Musiker gerne mit dem steirischen Schwesterntrio zusammen. Für Mastermind und Songwriter Ewald Pfleger ist der Auftritt im Happel-Stadion ein ganz besonderer. „Wir haben mit Opus zwei- oder dreimal bei Fußballspielen einen Song gespielt, immer mit Vollplayback, aber das ist tatsächlich das erste Konzert, das ich hier jemals gegeben habe.“
Mit feinsinnigen und englischsprachigen Songs bringen Opus und die Schick Sisters eine etwas andere Note in die Veranstaltung, der Megahit „Live Is Life“, der international erfolgreichste Song der österreichischen Popgeschichte, begeistert auch mit Frauenstimmen. Dazwischen bleibt Zeit für Klavier- und Geigensoli. Für die Stars des Abends hat Pfleger nur lobende Worte. „Seiler und Speer wurden anfangs auch nicht vom Radio unterstützt, aber Gutes setzt sich bei den Leuten immer durch.“ Er selbst arbeitet aktuell an seinem dritten Soloalbum.
Nach einer kurzen Umbaupause betritt der kulturelle Tausendsassa Thomas Stipsits mit seiner Band die Bühne und zeigt, dass er auch abseits der Kabarettbühnen, Filmkameras und Bestsellerlisten eine gute Figur macht. Locker-flockig covert er sich durch die österreichische Musikhistorie und gibt Liedern des großen Georg Danzer oder dem STS-Hit „Fürstenfeld“ eine neue Färbung. Die Nervosität vor dem größten Konzert seiner Karriere bekämpfte er am Dartsbrett. „Ich spiele immer mit Bernhard Speer. Ich bin schon länger in einem Verein, aber er verbessert sich und wird immer gefährlicher.“
Der – genauso wie Wolfgang Ambros – bekennende Austria-Wien-Fan setzt bei seinem Auftritt nicht nur auf ein violettes Poloshirt, sondern auch auf Socken seines Lieblingsvereins. „Seiler und Speer haben den Austropop aus seinem Winterschlaf geholt“, so Stipsits zur „Krone“, „ich habe die Erfahrung selbst gemacht: Wenn man gemütlich am Lagerfeuer sitzt, singt man doch lieber ihre Songs nach als die von Lady Gaga.“
Leibhaftige Austropop-Geschichte
Mit Wolfgang Ambros folgt so etwas wie die Ursuppe des Austropop. Gemeinsam mit Marianne Mendt und Joesi Prokopetz hat er vor mehr als 50 Jahren das variabel auslegbare, heimatliche Subgenre erfunden und geprägt – ohne „Woiferl“ gäbe es gewiss keine Seiler und Speer. Dementsprechend passt es auch, dass Ambros-Sprössling Matthias seit jeher bei Seiler und Speer Schlagzeug spielt. „Stolz bin ich vor allem darauf, dass sie zu ihm gekommen sind, weil ihnen sein Spiel gefiel“, erzählt er im Gespräch.
Ganz in weiß gewandet liefert Ambros bei perfektem Sommerwetter ein Best-Of seiner großen Hits. „Du bist wia die Wintersun“, das an Reggae erinnernde „Hoit, do is a Spoit“, „Gezeichnet für’s Leben“, „Zwickt’s mi“ oder „Da Hofa“ begeistern. Ambros zischt derweil gemütlich ein Bier und führt seinen bekannt ruppigen Schmäh. Mit „Es lebe der Zentralfriedhof“ und „Schifoan“ endet der Gig fulminant. Eine Machtdemonstration eines gesundheitlich Angeschlagenen, dessen musikalische Leidenschaft alles übertrifft. Auf die Headliner freut er sich ebenfalls. „Ich kann mich stolz schätzen, dass es solche Jungs gibt, die mich – sozusagen – nachahmen.“ Amen.
Einen kleinen Bruch im Programm liefert dann der nimmermüde Friesenjung Otto Waalkes. Der hat sich mit den beiden Hauptdarstellern des Abends vor einigen Jahren angefreundet und zeigt sich drei Tage vor seinem 77. Geburtstag in ungebrochener Topform. Flügerlkappe, Ottifanten-Gitarre und eine Wagenladung Witze inklusive. Ob der Otto-Schmäh über die letzten Jahre gut gealtert ist, muss jeder für sich entscheiden, in puncto Show macht ihm jedenfalls niemand etwas vor. „Hier ist es heute wirklich märchenhaft, behaltet euch davon noch ein bisschen was für die beiden letzten“, wirft er demütig und glücklich ins Publikum.
Nebenbei begrüßt er Zuschauer aus Gänsendorf, Horn, Ottakring oder Langenlois, covert den Shirin-David-Hit „Bauch, Beine, Po“ und verwurstet bekannte Songs von Blur, Sting, Billy Joel, AC/DC, Pink Floyd oder Queen in seine humorigen Lieder, die von alten deutschen Märchen, zehn kleinen Jägermeistern oder ehrlichen Dänen handeln. Nichts davon ist neu, aber alles mit großem Herz und viel Liebe dargeboten. Ein perfekter Anheizer für den Headliner des Abends.
Ausrufezeichen für die österreichische Musikszene
Trotz der vielen Erfolge und Livekonzerte über die letzten Jahre können Christopher Seiler und Bernhard Speer ihre Nervosität vor dem größten Auftritt ihres Lebens nicht ganz verbergen. „Wirklich realisieren werden wir das erst, wenn es vorbei ist“, zeigen sich die beiden im „Krone“-Talk vorab freudig, „dieser Tag ist nicht nur für uns großartig, sondern auch ein Ausrufezeichen für die österreichische Musikszene. Normalerweise füllt man ein Stadion nur, wenn man irgendwelche internationalen Superstars einfliegt.“
Trubel gab es aber auch für die beiden Niederösterreicher schon früh genug. Weil der Stau auf den Wiener Straßen unerbittlich war, wurde den Musikern eine Polizeieskorte zur Verfügung gestellt – quasi der Privatjet des kleinen Mannes. Den Druck vor dieser Show nahm sich Seiler zur Sicherheit bereits im Vorfeld. „Entweder gehen die Leute total zufrieden und glücklich heim, oder sie haben zumindest frei, weil dann halt Sonntag ist.“
Dass die Sorgen unbegründet sind, wird schon bei den ersten Takten des Openers „Herr Inspektor“ klar. Das Publikum, mittlerweile vom bisherigen Festivaltag gut angestachelt, zeigt sich textsicher und singfreudig und die massive Bühne wird durch die üppige Band, die Meli-Bar-Combo, gut gefüllt. Mit den musikalischen Ausnahmekönnern im Hintergrund können sich die zwei Frontmänner ganz auf sich und ihre Songs konzentrieren. Konfettiregen und Springschlangen gibt es noch bei Tageslicht, doch je eher die Nacht hereinbricht, umso mehr gehen die beiden an diesem Abend auf.
Eine Grundnervosität lässt sich an ihren Augen ablesen, macht die Show aber noch sympathischer. Das mit Ernst Molden gespielte „Die letzte Maut“, „Red mit an aundan“ oder das mit einer dritten Gitarre verstärkte Live-Debüt von „Wean“ drehen kräftig an der Energieschraube und die augenzwinkernde Alko-Hymne „Ob und zua“ wird mit einer ganzen Phalanx an Pyroeffekten verstärkt.
Die Ruhe vor und nach dem Sturm
Seine volle Magie entfacht der Abend aber in seinen ruhigen, balladesken Momenten, von derer es vor allem im Schlussdrittel viele gibt. Für einen Liederblock holt die Band ein von Christian Kolonovits dirigiertes Orchester auf die Bühne und setzt auf Pathos mit Herz. Die relativ aktuelle Single „Hödn“ widmet das Duo den verstorbenen Fans Sandra und der kleinen Miriam, die sie im Zuge des Vereins „Rollende Engel“ kennengelernt haben. Die erbarmungslose Ungerechtigkeit des Daseins treibt beiden die Tränen in die Augen – ein ungeplanter, emotionaler und echter Moment, der sich auch noch bei „Ala bin“ weiterzieht.
Alleine ist an diesem sommerlichen Konzertabend niemand. Das berührende Georg Danzer-Cover von „Ruaf mi ned an“ fügt sich dazu perfekt ein. Zu Beginn des Zugabenteils folgt dann endlich „Ham kummst“ – der Song, der zu all dem führte, was hier und heute passiert. Blödelbarde Otto Waalkes hat den Text der beiden eingedeutscht und trägt ihn gemeinsam mit Seiler und Speer vor – die notwendige Auflockerung nach einem intensiven Songblock. Mit einem schwungvollen „Soits lebn“ kommt die Show nach mehr als zwei Stunden zu ihrem Ende und Anwesende wissen schnell – hier wurde ein großes Stück österreichische Musikgeschichte geschrieben.
Und nach dem Konzert? Speer feiert eine Poolparty mit seinen Kindern, Seiler möchte gerne laufen gehen. „Den wilden Lifestyle haben wir schon hinter uns.“ Soits lebn!
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