Jugendbanden in Wien sind für Integrationsexpertin Emina Saric alarmierende Zeichen für Ressentiments in den Milieus, aus denen sie kommen. Bandenkriege und steigende Jugendkriminalität vergleicht sie mit den ersten Symptomen einer gesellschaftlichen Krankheit.
Sie würden darauf hinweisen, was bei der Integration der vorherigen Generation nicht beachtet wurde, sagte sie der APA. Das von der Regierung angekündigte Integrationspaket hielt Saric für dringend notwendig.
„Ehre“, Gewalt, Pararellelrealitäten
Seit Monaten sorgen Jugendbanden mit mutmaßlichen sexuellen Übergriffen und Gewalt für Schlagzeilen. Laut Medienberichten handelt es sich bei den Verdächtigen um junge Männer, viele von ihnen haben Flucht- oder Migrationshintergrund. „Wir müssen uns diesen Parallelrealitäten widmen, damit die Gesellschaft nicht gespalten wird“, sagte Saric, die zum Thema geschlechterbezogene Gewalt, insbesondere im Kontext der „Ehre“, unter anderem im Verein für Männer- und Geschlechterthemen in Graz arbeitet. Der Migrationshintergrund allein sei keine Ursache dafür, dass Jugendliche mehrfach straffällig werden, vielmehr habe es mit dem sozialen Status – oder einer Statusfrustration – zu tun, sagten Fachleute. Wenn junge Menschen Gewalttaten begehen oder sexuelle Grenzen überschreiten, kommen sie den Experten zufolge oft aus zerrütteten Familien und haben zahlreiche negative Erfahrungen gemacht.
Rebellion gegen die Mehrheit
Werden junge Menschen, die in zweiter Generation hier leben, kriminell, könne das laut Saric neben sozialen und familiären Hintergründen oder Gruppenzwang auch ein Ausdruck einer Rebellion sein. In der Pubertät rebellieren – das ist normal, sogar notwendig zur Identitätsbildung, erklärte die Expertin. Doch normalerweise richtet sich die Rebellion gegen die eigenen Eltern. Bei den Jugendbanden ist das aber anders – sie lehnen sich gegen die gesellschaftlichen Strukturen auf. „Weil sich viele zum Teil nicht trauen, gegen die Väter zu rebellieren.“ Sie fühlen sich nicht als Teil der Mehrheitsgesellschaft und zeigen so auch „ihre Verachtung der Gesamtgesellschaft gegenüber“. Zwei oder drei Bandenkriege reichen schon aus, um ein kleines Land wie Österreich zu erschüttern. Und manche Menschen bekommen Angst – laut Saric ist auch das ein Ziel der Jugendlichen.
Jugendliche zwischen Realitäten
In vielen Communitys würde Ehre eine große Rolle spielen. Die Jugendlichen, so beschrieb es Saric, befinden sich im Spannungsfeld unterschiedlicher Realitäten. Da ist einerseits die österreichische Mehrheitsgesellschaft, in der die Burschen vielleicht nicht alles bekommen haben, was sie brauchen. Und dann gibt es Communitys, also Gemeinschaften, in die sie sich zurückziehen, häufig mit traditionellen, patriarchalen Strukturen und Geschlechterrollen: Mädchen bekommen Vorschriften, wie sie sich zu verhalten oder zu kleiden haben, und auch Burschen müssen vorgeschriebene Rollen, Saric nannte sie „ehrhaft“, erfüllen.
„Patriarchale Gesellschaften setzen eine gewisse Machtausübung voraus und diese Machtausübung ist von Männern dominiert“, erklärte sie. Männer nehmen in diesen patriarchalen Communitys – die es überall, auch in Europa, gibt – eine zentrale Position ein. Wenn Männer flüchten müssen, sie am Ankunftsort vielleicht Sozialhilfe beziehen und die Rolle des Ernährers oder Beschützers ihrer Meinung nach nicht mehr erfüllen, nehmen sie das als Verlust von Männlichkeit – und damit auch von Status – wahr. „Deswegen ziehen sich viele Männer in die Communitys zurück, denn dort schaffen sie diese Realität.“
Symptome einer Krankheit
Die Gewaltausbrüche der Jugendbanden und Bandenkriege in Wien verglich Emina Saric mit den „ersten Anzeichen einer gesellschaftlichen Pathologie“. „All das, was sich die erste Generation vielleicht gar nicht getraut hat auszusprechen – aus Überlebensangst oder aus anderen Gründen, das kommt in der zweiten Generation zur Sprache.“ Deswegen sei es wichtig, sich anzuschauen, „was wir in der Schule und der Ausbildung verpasst, nicht gesehen oder nicht beachtet haben im Prozess der Integration“.
Doch wie kann Integration gelingen? Hier müsse man verschiedene Zielgruppen unterscheiden, betonte Saric. Minderjährige Flüchtlinge, die ohne Familie kommen, seien eine davon. Ein Ausgangspunkt für erfolgreiche Integration könne sein, dass sie in Österreich in stabile Familienverhältnisse kommen, in denen sie das Gefühl haben, geschätzt zu werden. Die Gesellschaft habe ihnen gegenüber eine Verantwortung und könne sie nicht einfach allein lassen. Denn mit möglicherweise traumatisierender Fluchterfahrung und Sozialisierungsbrüchen, aber ohne Wissen über die Werte hier, würden sie sich nicht nach unseren Erwartungen verhalten. Wie das konkret aussehen könnte: psychosoziale Begleitung, Paten und Patinnen oder Integrationslotsen, schlug die Expertin vor.
„Fünf nach Zwölf“, um Integrationsangebote zu schaffen
Das Thema steht auch auf dem Plan der Bundesregierung. Am Mittwoch hatte sie erste Details zum geplanten Pflicht-Integrationsprogramm vorgestellt. Es soll unter anderem Verschärfungen bei Deutschkursen und Grundregelkurse enthalten. Für Saric, Mitglied des unabhängigen Expertenrates für Integration der Regierung, ist das angekündigte Paket dringend notwendig. „Es ist wirklich Fünf nach Zwölf, diese Angebote in Österreich zu schaffen.“ Jemanden aufgrund von Religion auszuschließen, ist menschenrechtlich und auch moralisch nicht in Ordnung, sagte sie. „Aber wir können unsere Regeln erarbeiten, an die man sich halten muss und die für alle gelten.“
Menschen, die nach Österreich kommen, können diese Regeln in Frage stellen. „Aber sie nach ihren eigenen Maßstäben zu schneidern, das finde ich anmaßend“, betonte Saric. Die Integrationsmaßnahmen brauche es, damit in Österreich Menschen aus unterschiedlichen kulturellen Milieus und unterschiedlichen Religionen ohne große Schwierigkeiten zusammenleben können.
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