Kulturhauptstadt Görz

„Haben teils dunkle und traumatische Geschichte“

Kärnten
15.05.2025 20:00

Was Görz und Klagenfurt noch immer verbindet, wie kompliziert die Organisation eines kulturellen Jahresprogrammes in zwei Ländern abläuft und wo der schönste Platz in der Kulturhauptstadt ist, verrät Samo Turel, Bürgermeister von Nova Gorica.

„Krone“: Was ist Ihr liebster Platz in Nova Gorica?
Neben meinem Haus ist es eigentlich der neue Vorplatz des Bahnhofes, der Europa-Platz. Da ist ein neues Viertel entstanden, in dem ich jeden Tag gern spazieren gehe, mich dort mit den Leuten unterhalte und ihre Eindrücke sammle. Die Landesgrenze führt mitten über den Platz und mit diesem neuen Bereich geben wir beiden Städten, beiden Ländern ein neues, grenzüberschreitendes Viertel, das der Kultur gewidmet ist, hier finden auch mehrere Programmpunkte von GO2025 statt. Wenn man dort über den Platz spaziert, hat man das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein.

Was macht Gorizia in Italien und Nova Gorica in Slowenien so besonders?
Wenn das Wetter passt, kannst du hier in der Früh Skifahren und am Nachmittag im Mittelmeer baden. Wo geht das denn sonst? Wir sind genau im Mittelpunkt zweier Länder, zweier Sprachen, zweier Kulturen. Eine Stunde nach Venedig, eine Stunde nach Ljubljana, zwei Stunden nach Klagenfurt. Wir haben eine teils dunkle und traumatische Geschichte hinter uns, aber wir haben auch ein gemeinsames Ziel: Wir wollen in diesem Jahr zeigen, wer wir sind und was wir können!

Wie wollen Sie sicherstellen, dass nach diesem Jahr nicht alles vorbei ist und die Stadt in Vergessenheit gerät?
Es ist kein Geheimnis, dass es unser Ziel ist, dass Nova Gorica langfristig von diesem Projekt profitieren soll. Wir wollen als Kulturhauptstadt, auch nachdem das Jahr vorüber ist, Teil des Vermächtnisses bleiben. Dafür stehen auch die verbindenden Projekte, die wir geplant haben. Sowohl die Einwohner als auch die Besucher sollen sich als Teil der Kulturhauptstadt fühlen und aktiv am Programm teilhaben. Und diese Idee geht auf, das hat sich schon bei der Eröffnung im Februar gezeigt: In meinen wildesten Träumen hätte ich mir so eine Teilnahme nicht vorstellen können! Es waren 50.000 Menschen bei der Eröffnung. In der durchaus turbulenten Geschichte von Gorizia und Nova Gorica gab es politisch und ideologisch einige Uneinigkeiten, aber die Menschen haben gezeigt, was sie sich wünschen: Dass wir weiterleben als ein gemeinsames Volk. Zum ersten Mal überhaupt liegt eine Kulturhauptstadt in zwei Ländern. Wir leben unser Motto „Go borderless“!

Klagenfurt verbindet eine Städtepartnerschaft mit Nova Gorica und Gorizia.
Klagenfurt verbindet eine Städtepartnerschaft mit Nova Gorica und Gorizia.(Bild: Evelyn Hronek)
GO!2025-Direktorin Mija Lorbek und Bürgermeister Samo Turel mit „Krone“-Chefin vom Dienst Clara Milena Steiner und „Kärntner Krone“-Chefredakteur Hannes Mößlacher (v.l.n.r.)
GO!2025-Direktorin Mija Lorbek und Bürgermeister Samo Turel mit „Krone“-Chefin vom Dienst Clara Milena Steiner und „Kärntner Krone“-Chefredakteur Hannes Mößlacher (v.l.n.r.)(Bild: Evelyn Hronek)
Am Bahnhofsvorplatz – genau zwischen Nova Gorica und Gorizia – erinnert eine Plakette an die Grenze zwischen Italien und Jugoslawien.
Am Bahnhofsvorplatz – genau zwischen Nova Gorica und Gorizia – erinnert eine Plakette an die Grenze zwischen Italien und Jugoslawien.(Bild: Evelyn Hronek)
Das Rathaus von Nova Gorica
Das Rathaus von Nova Gorica(Bild: Evelyn Hronek)
Die Stadt ist nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden – nicht alles wurde erbaut, wie geplant.
Die Stadt ist nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden – nicht alles wurde erbaut, wie geplant.(Bild: Evelyn Hronek)
Turel im Gespräch mit der „Krone“
Turel im Gespräch mit der „Krone“(Bild: Evelyn Hronek)

„Go borderless“ klingt inspirierend – bis es um die Organisation eines so großen Projektes geht. Wie schwierig war die Vorbereitung und Umsetzung in zwei verschiedenen Ländern?
Wir haben viel von dem mitgenommen, was bisherige Kulturhauptstädte gelernt haben. Sie alle laden wir von 26. bis 29. September auch nach Gorizia und Nova Gorica ein. Die Organisation und Vorbereitung des Jahresprogramms waren extrem fordernd und sehr, sehr kompliziert – in zwei Ländern gelten zwei unterschiedliche Rechtssysteme, sind zwei unterschiedliche Förderstellen tätig, müssen unterschiedliche Fristen eingehalten werden, wollen unterschiedliche Menschen mitreden. Uns auf der slowenischen Seite war die slowenische Volksgruppe in Italien eine große Hilfe.

Auch in Kärnten gibt es eine slowenische Minderheit, allerdings wurde Zweisprachigkeit hier nicht immer als etwas Positives gesehen. Wie ist das in Görz?
Auch bei uns gibt es einen Unterschied in den Sprachen. Ich will nicht sagen, dass das ein Hindernis ist – dieses Wort verwende ich nicht -, aber es ist schon oft eine Herausforderung. Und wir versuchen, dieser Herausforderung auf verschiedene Weisen zu begegnen. Da fallen mir zum Beispiel alle Meldungen ein, die wir im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres oder auch im Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) veröffentlichen: Absolut alle sind nicht nur zweisprachig - also auf Slowenisch und Italienisch -, sondern dreisprachig – auch auf Englisch – verfasst. Das machen wir, weil wir grenzüberschreitend und grenzenlos sein wollen. Eine große Hilfe ist uns dabei die slowenische Volksgruppe auf der italienischen Seite der Grenze. Die Volksgruppe hat auch einige Volksschulen, in denen Slowenisch Unterrichtssprache ist – für diesen Unterricht werden immer mehr Kinder aus einsprachigen, also rein italienischsprachigen, Familien angemeldet. Offensichtlich ist der Wunsch, dass die Kinder unsere Sprache lernen, lebendig. Ein erster wichtiger Schritt ist das passive Verstehen – also ich spreche Slowenisch, Sie verstehen mich; Sie sprechen Deutsch, ich verstehe Sie. Das ist der erste Schritt, auch in einem, wie unserem, mehrsprachigen Gebiet. Am Ende des Tages treffen sich bei uns eine germanische, eine romanische und eine slawische Sprache, ebenso drei Kulturen. Das ist das, was unsere Region besonders macht. Diese Schwierigkeit, die das Zusammentreffen zweier Sprachen hervorbringt, soll uns aber kein Hindernis sein, sondern eine Gelegenheit und ein Ansporn.

In der Monarchie waren unsere Regionen, Kärnten und Görz, miteinander verbunden – was ist davon noch übrig? Wie kann man darauf aufbauen?
Man sieht die Monarchie eigentlich bei jedem Schritt durch Görz – uns verbinden leider, wenn sonst nichts, dann die Isonzo-Front, die Überbleibsel des Ersten Weltkrieges, diese Bitterkeit und die Gräber der gefallenen Soldaten aus den verschiedenen Nationen. Auch die Architektur verbindet uns – nicht in Nova Gorica, unsere Stadt wurde ja erst nach 1947, lange nach der Monarchie, erbaut. Aber das italienische Görz wurde nach österreichisch-ungarischen Architektur-Prinzipien errichtet - diese wurden von den Faschisten wahrgenommen und auch verändert! Damals wurde überlegt, wie Plätze, Treppen, Gebäude und nicht zuletzt auch Kirchen, die nach österreichischem Vorbild entstanden sind, italienisch bzw. italienischer gestaltet werden könnten. Heute verbindet uns natürlich auch der Tourismus, wir haben viele österreichische Gäste in Goriška brda, im Vipava-Tal, auch in Grado. Es gibt also einige Verbindungen, unter anderem – und nicht unwichtig – die 60-jährige Städtepartnerschaft zwischen Nova Gorica in Slowenien, Gorizia in Italien und Klagenfurt/Celovec in Österreich.

Inwiefern bietet das Programm des Kulturhaupstadt-Jahres verbindende Punkte?
Mehrere internationale Projekte haben Bezug zu Klagenfurt, Kärnten und Österreich: Von 1. bis 10. Mai laden wir zur Wanderung mit Europa - eine zehntägige Veranstaltungsreihe, die Kultur, Sport und Unterhaltung verbindet. Dazu zählen etwa der Spaziergang der Freundschaft unter dem Motto „Zwei Städte, ein Herz“ und grenzüberschreitende Turniere in Basketball, Fußball und Breakdance. Die Ingeborg-Bachmann-Kuppel ist auch Teil davon und eines der absoluten Highlights dieses Jahres – sie verbindet uns eng mit Kärnten, sie war ein Geschenk der Kärntner Kulturstiftung. Im Rahmen der Wanderung mit Europa performten Schriftstellerin Maja Haderlap und Tänzerin Leonie Humitsch in und um die Kuppel. Im Herbst sind, wie gesagt, bisherige Kulturhauptstädte eingeladen, darunter natürlich auch das Salzkammergut. Außerdem ist ein Kulinarik-Fokus geplant – mit Gerichten aus ganz Europa.

Schriftstück mit Folgen
Was ist der Vertrag von Osimo?
  • Nach dem Zweiten Weltkrieg musste die Grenze zwischen Italien und dem damaligen Jugoslawien neu gezogen werden. Besonders umstritten waren die Region Istrien und die Stadt Triest, die früher zu Österreich-Ungarn gehört hatten und später zwischen Italien und Jugoslawien aufgeteilt wurden.
  • 1954 wurde mit dem Londoner Memorandum eine Übergangsregelung getroffen: Stadt Triest und Umgebung (Zone A) gingen provisorisch an Italien, das südliche Hinterland (Zone B) ging an Jugoslawien.
  • Aber: Ein offizieller, völkerrechtlicher Vertrag fehlte – genau das wurde mit dem Vertrag von Osimo am 10. November 1975 erreicht, er wurde in der Stadt Osimo (Italien) unterzeichnet.
  • Die beiden Länder vereinbarten enge wirtschaftliche Zusammenarbeit in den Grenzregionen, u.a. bei Energie und Handel, sowie Schutz und Erhaltung der Rechte der Minderheiten (Italiener in Jugoslawien bzw. Slowenien, Jugoslawen bzw. Slowenen in Italien).
  • Heute gilt der Vertrag von Osimo als völkerrechtlich verbindlich, es gibt keine aktuellen Grenzstreitigkeiten mehr, dennoch bleibt das Thema historisch und emotional sensibel.

Apropos Europa: Der Vertrag von Osimo regelte in den 1970er-Jahren, wie die Grenze zwischen Italien und dem damaligen Jugoslawien verläuft. Ist der Vertrag im heutigen Europa noch aktuell?
Grundsätzlich ist der Vertrag noch aktuell, ein gutes Beispiel ist die Region Goriška brda: Als die westlichste Gemeinde Sloweniens war sie lange Zeit vereinsamt und isoliert, weil man sie nur umständlich erreichen konnte – man musste fast durch das halbe Vipava-Tal und über die dortigen Hügel in die Region. Der Vertrag von Osimo hat uns die sogenannte Sabotinska cesta , dieStraße des Monte Sabotino, beschert. Sie verläuft teils in Slowenien, teils in Italien, und hat die Goriška brda unmittelbar mit der Umgebung verbunden. Damals, im Jahr 1975, wurde die gesamte Region nach einem schweren Erdbeben wieder aufgebaut und der Bau dieser Straße hatte enormen Einfluss auf die Entwicklung der Region. Vielleicht ist der Vertrag von Osimo heute weniger aktuell, weil wir in einem gemeinsamen Schengen-Raum sind - die Grenze ist in der Praxis, in unserem Alltag nicht mehr so radikal aufgestellt, eigentlich existiert sie praktisch nicht mehr. Der Vertrag von Osimo hat, als unterzeichnet wurde, einen massiven Entwicklungsschub für die gesamte Region gebracht. Verändern oder aktualisieren muss man den Vertrag heute nicht – er ist schlicht durch den EU-Beitritt und den Beitritt zum Schengen-Raum Sloweniens nicht mehr so aktuell.

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