„Krone“-Interview

Fiio: Ein Plädoyer für das Analoge am Menschsein

Wien
23.10.2023 09:00

Eine Bestandsaufnahme zwischen künstlicher Intelligenz und Menschlichkeit liefert der junge Wahl-Wiener Fiio auf seinem Album „Wir werden nur was wir schon sind“ ab. In 15 eklektischen Songs zwischen Pop, Rock und Indie-Klängen sucht er Fluchtmöglichkeiten aus dem harschen Alltag und plädiert für Zusammenhalt. Im „Krone“-Talk gibt uns der 27-Jährige nähere Einblicke in seine Gedankenwelt.

In Philipp Tinglers diagnostischer Gesellschaftskomödie „Rate, wer zum Essen bleibt“ versucht eine Frau beim wichtigsten Abendessen ihres Lebens ihre Karriere zu retten, doch natürlich läuft am Ende nichts so, wie es geplant war. Im kultigen Roman kommt auch die Zeile „Wer werden nur was wir schon sind“ vor, die der junge Künstler Fiio nun als Titel für sein Debütalbum verwendet hat. „Primär war es einfach ein schöner Albumtitel“, erzählt er im „Krone“-Interview, „er ist recht nihilistisch gehalten und so habe ich mich selbst beim Entstehungsprozess des Albums gefühlt.“ Doch natürlich kann man Parallelen zwischen Fiktion und Realität ziehen. Auf der Welt ist schließlich auch nicht viel in Ordnung und sie bröckelt an allen Ecken und Enden auseinander. Absolut nichts geht nach Plan und wir wissen nicht, wohin die Reise geht. So wird man am Album mit einer KI-Stimme eingeleitet und am Ende von einer menschlichen wieder herausgeholt.

Es menschelt an allen Ecken und Enden
„Ich wollte damit aufzeigen, dass Gefühle die Achillesferse des Mensch-/Maschinenkonflikts sind. Das ChatGPT-Thema ging natürlich auch an mir nicht spurlos vorüber und zwischendurch frage ich mich, ob ich irgendwann keine Berufung mehr haben werde. Am Album selbst geht es viel um das Menschsein. Was wir waren, wer wir sind, wer wir werden wollen oder wer wir vielleicht nicht mehr sein sollen.“ Themenkomplexe wie wirtschaftliche Unsicherheiten, die Klimakrise oder die zunehmende Technologisierung des Alltags belasten, dementsprechend sieht Fiio Musik als perfekte Eskapismus-Möglichkeit. „Sie ist ein schöner Ort, an dem wir uns darauf zurückbesinnen können, dass wir die schönsten Erfahrungen immer als Menschen miteinander teilen.“ Der 27-Jährige sieht sich zwar nicht als analogen Typen, legt aber viel Wert darauf, sich nicht mit Haut und Haaren in die Welt des Virtuellen zu stürzen.

Songtitel wie „Ich riech gern an Büchern“ sind ein gutes Beispiel dafür. „Ich liebe den Geruch von Büchern, das fühlt sich sehr heimelig an. Ich lese gern und viel. Nicht nur Literatur, sondern auch Comics und Mangas. Sie bieten Welten an, in denen man sich hineinfallen lassen kann und in denen man den notwendigen Abstand zur Realität kriegt.“ Die Schattenseiten des Digitalen sind bei Fiio ebenso ein Thema wie Zwischenmenschlichkeit, Beziehungen und Gemeinschaft. All das verpackt der Badener in eine eklektische Soundwelt, die irgendwo zwischen Punkrock, The 1975, Indie-Rock, Pop und Alternative mäandert. Die E-Gitarre steht bewusst im Vordergrund, ohne gängige Trends auszusparen. „Ich habe früher noch CDs gekauft, aber die Menschen heute wachsen ganz anders auf. Mit Playlists auf Streamingportalen, also stellten wir uns in erster Linie die große Frage, wie ein Album anno 2023 überhaupt aussehen soll.“

Die Breite stärker komprimieren
Schnell kamen Fiio und sein Team auf die Conclusio, dass man nicht nur dem breiten Geschmack der Hörer, sondern auch seinem eigenen dienlich sein sollte. „Wir haben dann alles sehr frei laufen lassen und dabei viel gelernt, im Positiven wie im Negativen. Fehlt es dem Album jetzt an Kohärenz? Thematisch wahrscheinlich nicht, musikalisch vielleicht ein bisschen. Für die Zukunft möchte ich die Breite an Musikstilen jedenfalls etwas kompakter zusammenfassen.“ Eine Albumproduktion ist für Fiio in erster Linie ein egoistischer Prozess. Gedanken an die Hörer dürfe man sich nicht machen, das verwässere nur den Zugang. „Wir werden nur was wir schon sind“ ist eine Momentaufnahme der letzten beiden Jahre, in denen es „privat viele Höhen und Tiefen gab und ich einen wahnsinnig intensiven Prozess mit mir selbst führte. Daher ist dieses Werk auch so eine Achterbahnfahrt geworden.“

Zwei Jahre sind eine lange Reise, dementsprechend ist Fiio selbst schon sehr weit von manchen seiner Songs entfernt. „Die Single ,IDGAF‘ habe ich ganz am Anfang geschrieben und sie kam erst unlängst offiziell heraus. Ich weiß heute gar nicht mehr, wie ich mich fühlte, als ich den Song damals schrieb. Von den 15 Songs am Album kenne ich manche besser und manche weniger gut. Das ist aber schön, denn irgendwie fühlt es sich so an, als würde ich dabei alte Freunde treffen.“ Die Musik gibt Fiio die Möglichkeit, sich in Rollen zu versetzen, die er im echten Leben nicht einnehmen kann. So entstehen aggressivere Tracks wie „Power To The People“ oder „Bitte lüg mich an“, die sehr unmissverständlich ausgefallen sind. „In der Musik kann ich ein bisschen mehr sein als in echt. Deshalb ist etwa der Protestsong musikhistorisch verankert. Konzerte sind abseits der Kirche eine der wenigen Dinge, wo Leute, die total unterschiedlich sind, kollektiv zusammenkommen.“

Wien entstauben
Wie schon etablierte Acts der Marke Wanda oder Bibiza deklariert sich auch Fiio sehr positiv zu seiner Wahlheimat Wien. „Die Stadt ist schon eine verstaubte Schneekugel, aber ich mag das. Ich finde es auch unfair, dass Wien popkulturell immer noch oft auf Falco beschränkt wird. Ich bin natürlich Riesenfan und er war großartig, aber wir haben eben auch Wanda, Bibiza, Eli Preiss und andere. Ich finde Wien wunderschön und fühle mich hier sehr wohl. Es ist nicht so, dass ich die Stadt repräsentieren möchte, wie es im Rap üblich ist, aber in den Songs soll mitschwingen, wo die Handlungen stattfinden. Wenn ich ein Buch lese, ist es mir auch wichtig, dass mir der Autor Ort und Zeit nennt, damit ich mir etwas dazu vorstellen kann.“ „Wir werden nur was wir schon sind“ ist jedenfalls ein Statement für ein neues, junges Selbstverständnis. Und eine rockige Anleitung für Gemeinschaft und Spaß am (analogen) Leben.

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