Jubiläum in Mariazell

Wie ein Wallfahrt-Crasher zum frommen Pilger wurde

Burgenland
25.08.2023 11:00

Seit heute, 7 Uhr früh, pilgert Bernhard Karall aus dem burgenländischen St. Margarethen zur Kroaten-Wallfahrt nach Mariazell, die am kommenden Wochenende zum 100. Mal stattfindet. Ihn selbst zog es schon 88 Mal zu Fuß in die römisch-katholische Basilika - das erste Mal übernächtigt und betrunken.

Exakt 120 Kilometer sind es von St. Margarethen bis ins steirische Mariazell, den bedeutendsten Wallfahrtsort Österreichs. Am Wochenende feiern dort die burgenländischen Kroaten ihre 100. Wallfahrt mit der Übergabe der Wandermuttergottes. Dieses besondere Erlebnis will sich der pensionierte Techniker Bernhard Karall (63) keinesfalls entgehen lassen. Mindestens einmal pro Jahr bricht der gebürtige Klingenbacher zur Wallfahrtskirche auf - mal in der Gruppe, mal allein und sogar im Winter, wenn’s draußen schneit!

„Aktuell bin ich mit fünf Männern unterwegs. 32 Stunden lang, ohne zu schlafen. Morgen um 16 Uhr kommen wir an. Heuer machen wir den Nachtwalk bereits zum siebenten Mal“, sagt er stolz. Doch wer glaubt, dass Karall immer so christlich war, der irrt. Begonnen hat alles recht unkatholisch im Jahr 1997, als er 37 Jahre alt war und sich einen Jux machen wollte, um sich mit seiner Schwester zu messen.

Beten mit Promille im Blut
„Ich gehe halt auch mal mit. Kann ja nicht so schwer sein“, tönte er im Vorfeld. Kurz bevor die Pilgerschar um 5 Uhr früh aufbrach, erschien er tatsächlich: in Sandalen, kurzer Hose, Leinenhemd und Strohhut - und mit einer üblen Alkoholfahne! Denn zwei Stunden davor hatte er noch auf einem Weinfest einige Achterl gekippt. Was seine Großeltern, die seit jeher passionierte Mariazell-Wallfahrer waren, zu diesem Auftritt gesagt hätten, möchte sich Karall gar nicht vorstellen. Aber eines weiß er dafür noch ganz genau:

„Keiner dachte, dass ich durchhalte, als nach einer Stunde Fußmarsch der Himmel seine Schleusen öffnete und es drei Tage lang wie aus Schaffeln schüttete. Das war der Moment, als ich zu beten begann“, erinnert sich der ehemalige Ministrant und Klosterschüler, der in den 1980ern, als im Fernsehen die Romanverfilmung „Dornenvögel“ lief, das Franziskanerseminar in Maria Enzersdorf besuchte. Als er schließlich das erste Mal per pedes in Mariazell ankam, war er wieder nüchtern, aber auch völlig durchnässt und durchgefroren: „Nichtsdestotrotz staunte ich, wie weit mich mein Glaube getragen hatte.“

Mit sich im Reinen
Inzwischen ist Karall Wallfahrtsleiter und Pilgerführer und ermutigt auch andere, sich zum Gehen zu überwinden. Als die Wandermuttergottes von seiner Heimatgemeinde Klingenbach in Mariazell an eine andere Pfarre übergeben wurde, hat er sogar einen nächtlichen 24-Stunden-Staffellauf organisiert. Immerhin sei Pilgern ein Ganzkörpersport und gehe an die Substanz. Doch das meiste passiere im Kopf:

Zitat Icon

Der Spruch ‚Ohne Hirn ist leicht marschieren‘ ist gar nicht so verkehrt. Tatsächlich braucht man einen klaren Geist, um diese mentale und physische Herausforderung auf sich nehmen zu können.

Stammwallfahrer Bernhard Karall

Den dafür nötigen meditativen Zustand erreicht Karall durch tiefsinnige Gespräche mit seinen Weggefährten, aber auch durch bewussten Rückzug in die Stille und Kontemplation: „Ein Stück weit geht man gemeinsam, dann entfernt man sich wieder voneinander, weil die einen schneller und die anderen ein bisschen langsamer unterwegs sind. Ich genieße das Alleingehen sehr, weil ich da meinen Speicher leeren kann“, sagt er und deutet auf sein Haupt.

Spirituelle Erfahrung
Einsam fühlt er sich beim Alleinpilgern aber nie, denn auf der gesamten Strecke hat er Marienlieder im Ohr, die er schon als Kind aus dem Gottesdienst kannte: „Sie begleiten mich und tragen dazu bei, dass mir jeder Schritt leichter fällt. Irgendwann merke ich dann, dass meine Gedanken verstummen und alles still wird in mir. Dann unterhalte ich mich nur noch mit verstorbenen Freunden und vertraue meine Wünsche, Sorgen und Anliegen der Muttergottes an - oder bitte um Vergebung, wenn ich wieder mal Blödsinn gemacht habe“, sagt Karall.

Doch die ergreifendste Erfahrung sei stets das Ankommen, der Einzug in der Basilika: „Das geht so unter die Haut, dass ich schon mal binnen einer Woche zweimal nach Mariazell gewandert bin. So sehr treibt mich die Sehnsucht! Wenn dann noch das Abschlusslied ‚Rajska diva‘ (deutsch: Himmlische Königin) erklingt, habe ich immer Tränen in den Augen.“

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