Nach zehn Jahren

Sozialdemokraten erobern dänische Regierungsmacht

Ausland
16.09.2011 11:37
Nach zehnjähriger Regierungszeit der liberal-konservativen Koalition von Premier Lars Lökke Rasmussen steht Dänemark ein Regierungswechsel bevor. Rasmussen räumte am späten Donnerstagabend seine Niederlage gegen das Mitte-Links-Bündnis der sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Helle Thorning-Schmidt (44) bei den Parlamentswahlen ein. Damit werden die Dänen erstmals von einer Frau, der ihre Gegner den Namen "Gucci-Helle" verpasst haben, regiert.

"Wir haben es geschafft, heute haben wir Geschichte geschrieben", rief Thorning-Schmidt gegen Mitternacht ihren jubelnden Anhängern zu (siehe Video in der Infobox). Nach Auszählung fast aller Stimmen erreichte ihre Koalition 89 der 179 Parlamentssitze, Rasmussens Koalition kam dagegen auf 86 Mandate. Die absolute Mehrheit von 90 Sitzen ist damit noch nicht erreicht. Beobachter gehen aber davon aus, dass die vier noch fehlenden Ergebnisse aus Grönland und von den Faröer-Inseln das Verhältnis nicht verändern werden.

Rasmussen reichte bei Königin Rücktritt ein
Rasmussen sagte vor Unterstützern, er habe Thorning-Schmidt am Abend bereits angerufen und ihr zum Wahlsieg gratuliert. Ihre Mitte-Links-Koalition habe nun die Möglichkeit, eine neue Regierung zu bilden. "Heute Abend übergebe ich die Schlüssel zum Regierungssitz an Helle Thorning-Schmidt", sagte Rasmussen. "Liebe Helle, pass gut auf die Schlüssel auf, weil sie nur geliehen sind", fügte er hinzu. Am späten Freitagvormittag reichte Rasmussen dann bei Königin Margrethe II. seinen Rücktritt ein.

Rasmussen hatte das Königreich zehn Jahre lang mit Duldung der rechtspopulistischen Volkspartei von Pia Kjaersgaard regiert. Diese hatte im Gegenzug für ihre Unterstützung einige der schärfsten Einwanderungs- und Integrationsregeln in Europa durchgesetzt. Umfragen hatten bereits zuvor gezeigt, dass die Dänen unzufrieden waren mit dem Einfluss der Rechtspopulisten auf die Politik.

Erst im Juli wieder Zollkontrollen eingeführt
In den vergangenen zehn Jahren konnten die Rechtspopulisten als Mehrheitsbeschaffer für die Regierung Rasmussens weit über die Zahl ihrer Mandate hinaus Einfluss ausüben und so ihre restriktive Politik durchsetzen. Besonders umstritten sind die im Juli erneut aufgenommen Zollkontrollen an den Grenzen zu Deutschland und Schweden (siehe Infobox). Mit dem Einwanderungsthema konnte das Mitte-Rechts-Lager drei Wahlen in Folge gewinnen.

Der nunmehrige Wahlkampf konzentrierte sich vor allem auf Wirtschaftsthemen. Während sich Rasmussen dafür stark machte, die Staatsausgaben zu verringern, um ein ausgeglichenes Budget zu erreichen, plädierten die Sozialdemokraten dafür, die Wirtschaft mit zusätzlichen Ausgaben von rund 18 Milliarden Kronen (etwa 2,4 Milliarden Euro) anzukurbeln. Finanziert werden sollen die Mehrausgaben durch eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde.

"Kickstart" für dänische Wirtschaft angekündigt
Thorning-Schmidt hat den Erfolg nicht zuletzt Zugewinnen bei ihren kleineren Partnern zu verdanken. Die Sozialdemokraten wurden nur zweitstärkste Kraft und erzielten mit 24,9 Prozent der Stimmen sogar 0,6 Prozentpunkte weniger als 2007 und damit ihr schlechtestes Ergebnis seit mehr als 100 Jahren. Thorning-Schmidt zeigte sich trotzdem selbstbewusst: "Wir haben es geschafft. Die Sozialdemokraten sind weiter eine große und tragende Kraft in Dänemark." Sie kündigte eine Politik der Mitte an, "bei der sich niemand ausgeschlossen fühlen muss". Nach dem Regierungswechsel werde es einen "Kickstart" für die dänische Wirtschaft mit umfassenden öffentlichen Investitionen geben.

Rasmussens rechtsliberale Partei konnte als stärkste Kraft noch leicht auf 26,7 Prozent (2007: 26,3 Prozent) zulegen. "Wir sind weiter Dänemarks größte Partei, und wir sind stolz darauf", sagte er. Die Konservativen jedoch, mit denen Rasmussen eine Minderheitsregierung gebildet hatte, stürzten in der Wählergunst von 10,4 auf 4,9 Prozent ab. Auch die rechtspopulistische Volkspartei verlor von 13,9 auf 12,3 Prozent.

Koalitionsverhandlungen mit mehreren Parteien
Wie Rasmussen will nun auch Thorning-Schmidt eine Minderheitsregierung bilden. Nun stehen Koalitionsverhandlungen mit den Volkssozialisten, die 9,2 Prozent der Stimmen erhielten, und den Sozialliberalen (9,5 Prozent) auf dem Programm. Die linke Einheitsliste, die mit jetzt 6,7 Prozent ihr Ergebnis von 2007 mehr als verdreifachen konnte, soll als Mehrheitsbeschafferin fungieren.

Thorning-Schmidt sagte, sie wolle sich die für die Regierungsbildung zur Verfügung stehende Zeit auch wirklich nehmen - eine Deadline für ein Ende der Verhandlungen gebe es nicht. Die 44-Jährige muss bei der Zusammenstellung ihres Kabinetts und bei der Erstellung des Regierungsprogramms auf unterschiedlichste Interessen und politische Forderungen ihrer programmierten Partner Rücksicht nehmen.

Langer und harter Weg nach oben für "Gucci-Helle"
Thorning-Schmidt hatte den früheren Ministerpräsidenten Poul Nyrup Rasmussen (1993 - 2001) vor sechseinhalb Jahren an der sozialdemokratischen Parteispitze abgelöst. Sie verlor ihre erste Wahl als Spitzenkandidatin 2007 gegen den damaligen rechtsliberalen Regierungschef und jetzigen NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.

In der Partei, die ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung hat, fiel es der eleganten, hochgewachsenen Politikerin zunächst nicht leicht. Von ihren Gegnern "Gucci-Helle" genannt, hing der Politikwissenschaftlerin das Image an, abgehoben und volksfern zu sein. Verheiratet ist Thorning-Schmidt mit Stephen Kinnock, dem Sohn des einstigen Vorsitzenden der britischen Labour-Partei Neil Kinnock. Das Paar hat zwei Töchter.

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