„Krone“-Kolumne

Sexting: Der Quickie unter den Liebesbriefen

Kolumnen
22.03.2022 08:00

Soziologin und Sexualpädagogin Barbara Rothmüller über schriftliche Liebesbekundungen in Zeiten der Quarantäne.

Anna, eine 37-jährige Interviewte mit wechselnden Sex-Partnern, hat die Sehnsucht nach Verbindung und Zärtlichkeit bei Männern in der Hochzeit der Pandemie intensiv erlebt. Sie liebt digitales Dating: „Ich verabrede mich zum Beispiel abends mit Männern, wir schreiben uns ein paar Liebesworte, schreiben uns eine SMS, wie wir uns aneinander kuscheln, und dann legen beide das Handy weg und gehen schlafen. Manchmal mache ich Selbstbefriedigung während mir die Männer zuhören und schreiben, dass sie mich in den Arm nehmen.“

Eines schönen Tages, Anna war gerade in Quarantäne, stellte die Post ihr ein Päckchen zu. „Ich habe von einem Verehrer Hasenohren, einen Hasenschwanz und ein Glöckchen für den Hals bekommen, zusammen mit einem sehr romantischen, handgeschriebenen Brief“, erzählt sie grinsend. Anna bedankte sich, indem sie Videos für ihren Verehrer aufnahm. Mit Ohren, Schwanz und Glöckchen. Das klingt nicht nach den zart gehauchten, romantischen Liebesbekundungen früherer Zeiten. Aber: Digitale Sexnachrichten sind eine Weiterentwicklung des klassischen Liebesbriefes. Und Sexting mit und ohne Nacktbildern ist in Zeiten der Quarantäne sehr verbreitet.

Schriftliche Liebesbekundungen sind schon seit der Antike dokumentiert. Leidenschaftliches Begehren bringt die Verliebten dazu, sich intensiv nach einer Vereinigung mit der geliebten Person zu sehnen. Daher wurden Liebesbriefe häufig in der Kennenlernphase verfasst und versendet, wenn das Paar für eine Zeit getrennt war. In einem Berliner Museum für Post und Telekommunikation gibt es einen Liebesbrief, der rund um das Jahr 1850 geschrieben wurde und dem getrocknete Veilchenblüten beigelegt wurden. Wie diese zarte Geste der Verehrung angekommen ist, wissen wir nicht. Romantische Objekte der einen oder anderen Art finden sich aber auch in Zeiten der Quarantäne der Post beigelegt.

Für die Einen sind Sexnachrichten hauptsächlich peinlich. Und ich möchte hinzufügen: manchmal zurecht. Wie soll ich sagen? Nicht jeder ist gleichermaßen sprachlich begabt. Freunde kleiner Worte verschicken romantische Memes, Nacktbilder, oder gleich nur sexualisierte Emojis. Melanzani und Marille sind schon seit einigen Jahren sozusagen der Quickie unter den Liebesbriefen geworden. Anderen gelten Liebesbriefe als das schönste Vorspiel einer intimen Beziehung. Seit ihrer Privatisierung ist der Gang zur Post zwar ein weiter geworden. Aber man könnte sich schon mal wieder auf den Weg machen, um einen geschriebenen Brief aufzugeben. Einige Singles unter den aktuell 450.000 Menschen in Quarantäne würden sich wahrscheinlich freuen. Vielleicht mit romantischer Beilage?

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