Filzmaier analysiert

ÖVP-Korruptionsvorwürfe: Untersuchen ja, aber wie?

Politik
27.02.2022 06:00

In Europa ist Krieg. Zugleich werden fast alle Coronaregeln abgeschafft. Da gehen andere Dinge in der Innenpolitik unter. Manchmal ist das einer Partei ja willkommen. Die ÖVP freut sich klarerweise nicht auf den „ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss“ im Parlament. Doch haben Demokratie und Kontrolle keine Kriegs- oder Pandemiepause. Das ist gut so. Ist auch alles bestens, wie der Ausschuss abläuft?

1. Die direkt oder indirekt Beteiligten - Politiker, Medien und wir Bürger als Publikum - sollten an Untersuchungsausschüsse sehr sachlich und möglichst emotionslos herangehen. Die Chancen dafür stehen schlecht. Es geht um die Bundeskanzlerzeit von Sebastian Kurz zwischen - mit Unterbrechungen - Dezember 2017 und Oktober 2021 sowie Kurz’sche Vorbereitungshandlungen. Bereits der Titel einer „Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen ÖVP-Regierungsmitglieder“ wird von der Kanzlerpartei voller Empörung und von der Opposition genussvoll kommentiert.

2. In Untersuchungsausschüssen geht es immer um das Regierungshandeln und politische Verhalten von Regierungsmitgliedern. Selbstverständlich soll dabei das allfällige Fehlverhalten von Kanzlern, Vizekanzlern, Ministern oder deren Mitarbeitern überprüft werden. In diesem Fall eben von Kurz & Co. sowie seitens der ÖVP, die prompt möchte, dass alle anderen (Ex-)Regierungsparteien genauso zum Thema werden.

3. Der Nationalrat kann - so Artikel 53 unserer Verfassung - Untersuchungsausschüsse einsetzen. Seit 1945 gab es 27 solche Ausschüsse. Doch erst 2014 wurde deren Einberufung ein Minderheitenrecht. Wer - nur weil ihm das Agieren der Opposition missfällt - daran wieder rütteln will, hat die Sache nicht verstanden. Es ist absurd, wenn es einer Stimmenmehrheit durch Regierungsparteien bedarf, ob man sich selber untersuchen will.

4. Zudem könnte in der Folge die Regierung auch die Vorladung jeder Auskunftsperson verhindern, die womöglich etwas Unangenehmes zu sagen hätte. Deren Vorladung bedürfte ja genauso einer Mehrheit. Es kontrollieren aber in Demokratien nun einmal Oppositionsparteien die Regierung, und nicht umgekehrt.

5. Das bedeutet nicht, dass man das Agieren der Opposition in so einem Ausschuss immer gut finden muss. Oft schüren Oppositionspolitiker eine Erwartungshaltung, die mit der rechtlichen Bedeutung von Untersuchungsausschüssen wenig zu tun hat. Häufig ist von rauchender Pistole oder gar Bombe die Rede, die gefunden werden soll. Ausschusssitzungen sind aber weder Kriminalfilm noch Spaghettiwestern.

6. Diesmal sprach Kai Jan Krainer (SPÖ) von „Korruptionssumpf“. Der Ausschuss ist aber kein Gerichts- oder gar Strafprozess. Es gibt keine Zeugen oder Angeklagte, sondern eben Auskunftspersonen. Am Ende wird ein Bericht verfasst und kein Urteil gesprochen. Die allfällige Strafbarkeit haben einzig und allein Richter zu beurteilen.

7. Das gute Recht der Bevölkerung ist allerdings Transparenz, wie eine Regierung bei Postenbesetzungen und Auftragsvergaben mit unserem Steuergeld vorgeht. Sollten innerhalb von gerade noch erlaubten Grauzonen des Rechts parteipolitische Motive im Mittelpunkt gestanden sein, so wollen wir das wissen. Das bei der Volkspartei rauszukriegen, dafür ist der aktuelle Untersuchungsausschuss da.

8. Um politisches Herumreden zu verhindern, stehen alle Auskunftspersonen unter Wahrheitspflicht. Mit anderen Worten: Vor Gericht darf ein Angeklagter lügen, im Untersuchungsausschuss darf das niemand. Weshalb Antworten verweigert werden dürfen, wenn es Zusammenhänge mit strafrechtlichen Ermittlungen gibt. Das ist unangenehm. Trotzdem ist es eine Verzögerungs- und Verschleierungstaktik, deshalb Gerichtsverfahren abwarten zu wollen. Mit allen Berufungsinstanzen dürfte das Parlament dann erst in Jahrzehnten etwas untersuchen. Am Sankt Nimmerleinstag.

9. Ernstzunehmender ist das Problem mit den Erinnerungslücken. Manche Politiker flüchten sich im Ausschuss in solche, um nicht peinliche Wahrheiten aussagen zu müssen. Doch kann es ja wirklich passieren, dass eine Auskunft erteilende Personen in ihrer Erinnerung sich nur zu 90 Prozent sicher ist. Da riskiert niemand eine Strafe wegen Falschaussage, und wir hören unzählige Male den Stehsatz „Das ist mir nicht erinnerlich!“.

10. Noch mehr zu befürchten ist, dass die Opposition dem Ausschussvorsitzenden Wolfgang Sobotka (ÖVP) eine parteiliche Leitung und dieser mit seiner türkis-schwarzen Partei den Roten, Blauen, Grünen und Rosagefärbte unpassende, unverschämte und unmögliche Fragestellungen vorwirft. Hier würde es eine Lösung geben: Ändert die Regeln und übertragt alle Sitzungen im Fernsehen und Internet!

Bei Live-Fernsehübertragungen kann jeder von uns allen Abgeordneten sämtlicher Parteifarben bei ihrem Auftreten und sprachlichen Stil zuschauen. Ohne mir bloß nachher von Parteipolitiker A anhören zu müssen, dass Parteipolitiker B so gemein sei. Wir Bürger sind fähig, uns dazu eine eigene Meinung zu bilden.

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