„Krone“-Interview

Combat Beach: Den inneren Schweinehund freilassen

Wien ist leiwand
30.01.2022 09:00

Was machen, wenn man erkennt, dass man im Bandsegment mit seinen Gedanken und Prioritäten nicht mehr durchdringt? Am besten eine Solokarriere einschlagen. Der niederösterreichische Pop-Punk- und Hardcore-Bassist Moritz Irion erschuf sich mit Combat Beach eine Plattform, auf der er seinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Das Debütalbum „Nowhere Feels Like Home“ vereint Pop, Punk und Singer/Songwriter-Kunst und wartet mit zahlreichen popkulturellen Referenzen auf. Im Gespräch lässt uns der 23-Jährige tiefer in seine Gedankenwelt eindringen.

In Zeiten der Isolation und simplen Aufnahmemöglichkeiten konnte sich der Bedroom-Pop von einem Nischendasein zum Mainstreamerfolg hocharbeiten. Billie Eilish und Co. zeigen seit Jahren eindrucksvoll, dass die höher/schneller/weiter-Mentalität längst überholt ist und auch in der Musik eine Art von gesunder Work-Life-Balance eingezogen ist. Ja, mit Herzblut und Leidenschaft ans Werk gehen, aber nein, keine Abkehr der Authentizität ob der Karriere willen. Der 23-jährige Moritz Irion fand sein musikalisches Heil früh in der DIY-Schule. Sombrero Devils, The Backbooth, Some Days You Lose oder - als einzige noch immer aktuelle - Better Run hießen die Bands, in denen er schon früh Bass spielte und die sich meist auf Pop-Punk manifestierten, der rund ums Millennium eine ganze Generation an Hörern prägte. „Ich habe sechs Jahre lang nichts anderes gehört“, lacht er im „Krone“-Gespräch, „keinen Metal, keinen Indie, nichts. Nur Pop-Punk. Die zweite Welle mit Paramore, The Story So Far oder All Time Low hat mich so richtig gepackt.“ Und daheim wurde an Songs geschraubt.

Gut-Böse-Dynamik
Irion verfolgt früh eine klare Linie und wird straight edge. Kein Alkohol, keine Drogen, keine häufig wechselnden Geschlechtspartner. Ein Movement der Hardcore-Punk-Szene der frühen 80er-Jahre, die völlig gegen das Weltbild in seiner niederösterreichischen Heimat Katzelsdorf geht, wo der gepflegte Rausch dieselbe Wichtigkeit wie das tägliche Zähneputzen hat. Irion stemmt sich gegen die ländlichen Traditionen und bricht auch mal mit Bands, wenn nicht alle Beteiligten politisch an einem Strang ziehen. „Mit den Bands war es am Land schwierig. Da sind alle sofort aufs Saufen aus und die Musik rückt in den Hintergrund.“ 2019 erwächst in ihm endgültig der Gedanke, dass man sich alleine doch besser artikulieren kann. Das Soloprojekt Combat Beach nimmt Formen an und spiegelt schon im Bandnamen die Vielseitigkeit des Interpreten wider. „Es geht um die Gut-Böse-Dynamik. Der schönste Urlaub ist für mich in der Sonne am Strand - also Beach. Andererseits muss ich immer gegen den inneren Schweinehund ankämpfen - also Combat.“

Bei Combat Beach und dem Debütalbum „Nowhere Feels Like Home“ sieht man Popkultur-Referenzen so klar und deutlich wie nur selten woanders. Das beginnt bei Songtitel wie „Star Wars Episode VI“ oder „Charles Bukowski On The Slide Guitar“, geht weiter über das collagenhafte Albumcover, das die verschiedenen Lebensstationen des Musikers bildlich widerspiegelt und endet im zuvor erwähnten Bandnamen. „Er sollte ein buntes Bild malen, wenn man ihn ausspricht. Das gefällt mir auch bei anderen Bands. Außerdem schauen zwei Wörter sehr gut auf Merchandise-Artikeln aus.“ Der junge Enthusiast denkt auch wirtschaftlich, ganz sicher kein Karrierenachteil. Musikalisch inspirieren ihn Against Me!-Frontfrau Laura Jane Grace und die Folk-Punk-Band Johnny Hobo And The Freight Trains. Künstler, die authentisch sind, ehrliche Geschichten erzählen und gleichermaßen im Band- wie auch Solokontext funktionieren.

Auferstehung aus dem Nichts
Der Ausflug in die Manege ohne Netz und doppelten Boden kostete anfangs Überwindung. „In der Schule wurde mir immer gesagt, ich solle nicht singen und sowas setzt sich in einem fest. Aber der Punk-Spirit hat mich überzeugt. Ich habe jetzt bis auf das Schlagzeug alle Instrumente selbst eingespielt und mich auch ans Singen gewöhnt.“ Die Stimme ist nicht nur gelungen, sondern transportiert die mannigfaltigen Botschaften der Liebe bestmöglich. Obwohl noch jung an Jahren, blickt Irion in den zwölf Stücken aus allen Richtungen auf die wichtigste Sache der Welt. Für Romantik und Verklärung ist dezidiert Platz, denn wer Herz und Seele offen nach außen trägt, der muss sich nicht hinter Barrieren verstecken. „Das war alles nicht so durchdacht, hat sich dann aber automatisch ergeben. Ich war an einem Punkt angelangt, wo ich nichts hatte. Keine aktive Band, keine Ausbildung, keinen Job und keine Freundin. Ich zog dann aus meiner Wohnung im Alsergrund aus und wieder heim. Da ich mich an nichts anhalten konnte, musste ich etwas schaffen.“

Realität und Fiktion halten sich die Waage und die popreferenziellen Songtitel haben per se nur rudimentär mit den Inhalten zu tun. „Mike And Erin So Sexy 1991“ dreht sich nicht etwa um den NOFX-Chef, der in ebenjenem Jahr sein Fat-Wreck-Label gründete, sondern ist ein literarisch inspiriertes Zeitdokument einer Liebe zweier Menschen, die unterschiedliche Lebensstile praktizieren und trotzdem zusammenhalten. Irion macht sich Gedanken über die „Konsens-Band“ Green Day, huldigt Büchern von „Rolling Stone“-Autor Rob Sheffield und Joe Meno und bricht eine Lanze für Schauspielerin Kristen Stewart anno 2016, die in einem juvenilen Selbstverständnis referenziell an die Ex-Freundin andockt. Dass das Album mit „Alone Again“ endet, ist harter Tobak. „Du kannst nur jemanden lieben, wenn du dich in erster Linie selbst liebst. Meine Songs sind Momentaufnahmen und dieses Mal ging es um diese Themen. Das nächste Album wird ganz anders sein.“

Flucht in die Natur
An den nächsten Songs wird Irion wieder im Katzelsdorfer Zweifamilienhaus schrauben, das er sich mit seinen Großeltern teilt. Statt Hausmauern sieht er nun aus allen Fenstern Bäume und Wald, was auch der mentalen Gesundheit nach dem kurzen Lebenstief zuträglich war. Den Proberaum in Favoriten kann er sich praktischerweise mit dem Stiefvater teilen, der als Jazzdrummer bei Turnaround tätig ist und Irion nach seiner größten Pop-Punk-Phase mit „Revolver“ von den Beatles die Türen zu einem neuen, breiteren Musikverständnis öffnete. Abseits der Musik macht er eine Diplomausbildung zum Lebens- und Sozialberater und überlegt ein Lehramtsstudium. Im Februar ist Frühaufstehen angesagt, denn ab dann wird von 5 bis 9 Uhr morgens beim Regalschlichten Geld verdient. Das Musikerleben ist kein einfaches, aber definitiv ein lohnendes. Wie am Debütwerk von Combat Beach gut zu hören ist. Am 5. März sollte es einen Gig im Wiener Chelsea geben!

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