Gerichtsurteil gefällt
Triage: Deutsche Politik muss Behinderte schützen
Behinderte Menschen müssen in der Pandemie besonders bei der sogenannten Triage geschützt werden. Der Gesetzgeber in Deutschland müsse deshalb unverzüglich Vorkehrungen treffen, um bei der Verteilung knapper Intensivbetten die Benachteiligung von Behinderten wirksam zu verhindern, erklärte das deutsche Verfassungsgericht. Die Karlsruher Richter gaben damit der Verfassungsbeschwerde mehrerer schwerbehinderter Menschen statt.
Die Regierung und das Parlament hatten bisher keine Vorkehrungen getroffen - damit sei das im Grundgesetz ausdrücklich festgelegte Diskriminierungsverbot von Behinderten verletzt worden, so die Argumentation. Gesundheitsminister Karl Lauterbach begrüßte die Entscheidung am Dienstag auf Twitter: „Menschen mit Behinderung bedürfen mehr als alle anderen des Schutzes durch den Staat. Erst Recht im Falle einer Triage.“ Mit wirksamen Schutzmaßnahmen und Impfungen wolle man jedoch verhindern, dass diese überhaupt notwendig wird.
Klägerin: „Wir sind alle erleichtert“
Klägerin Nancy Poser zeigte sich in Trier erfreut über das Urteil. „Wir sind alle erleichtert. Für mich als Juristin war es sehr wichtig gewesen zu wissen, dass man sich auf die Verfassung verlassen kann“, sagte die Richterin am Amtsgericht Trier am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Die 42-Jährige hatte mit acht weiteren Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen Verfassungsbeschwerde eingelegt.
„Auf dieses Urteil haben wir 40 Jahre lang gewartet“
Der Sozialverband VdK begrüßte die Entscheidung: „Es kann und darf nicht sein, dass Medizinerinnen und Mediziner in einer so wichtigen Frage alleingelassen werden, dafür braucht es eine gesetzliche Grundlage“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele. Die Stiftung Patientenschutz bezeichnete das Urteil als überfällig. „Auf dieses Urteil haben wir 40 Jahre lang gewartet“, sagte Vorstand Eugen Brysch der „Rheinischen Post“. Entscheidungen über Leben und Tod in Knappheitssituationen dürften nicht den Ärzten überlassen werden. Der Bundestag dürfe sich da „nicht weiter wegducken“.
Bei der Triage müssen Ärztinnen und Ärzte eine Entscheidung treffen, wer behandelt wird, wenn nicht genügend Behandlungskapazitäten für alle Patienten bereit stehen. Dafür haben die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und andere Fachgesellschaften eine Leitlinie entwickelt, wie solche Entscheidungen zu treffen sind. In den vergangenen Monaten hatten Mediziner wiederholt gewarnt, dass angesichts der hohen Auslastung der Intensivstationen in der Corona-Pandemie eine Triage drohe.
Nur Krankheit, nicht Überlebenschancen darf beurteilt werden
Der Erste Senat zitiert in seiner Entscheidung ärztliche Leitlinien, in der die Priorisierung geregelt ist. Danach ist allein die klinische Erfolgsaussicht einer Behandlung ausschlaggebend dafür, wer zuerst behandelt wird. Dieses Kriterium halten die Karlsruher Verfassungsrichter zwar für unbedenklich. Aber es sei nicht ausgeschlossen, dass die Empfehlungen in ihrer derzeitigen Fassung „zu einem Einfallstor für eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen werden können“. So müsse sichergestellt werden, dass nur die Erfolgsaussicht bei der Behandlung der Covid-Krankheit beurteilt werde, nicht die allgemeinen Überlebenschancen.
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