Filzmaier analysiert

Keine populistischen Sprüche und Scheinlösungen!

Politik
28.11.2021 10:53

Selten bis nie waren sich Zeitungskommentatoren quer durch alle Blätter so einig: Die Bundesregierung hat in ihrer Coronapolitik schwere Fehler und Versäumnisse begangen. Wir alle zahlen dafür einen hohen Preis in Form von Toten und eines Lockdowns. Es gibt keinen sofortigen Ausweg. Daher sollten Politiker und Bevölkerung gemeinsam auf allzu populistische Sprüche als Scheinlösung verzichten.

1. Wir brauchen sofort eine andere Regierung!
Wer das ultimativ verlangt, scheitert an den fehlenden Möglichkeiten dafür. Verfassungsrechtlich kann eine Mehrheit der Nationalratsabgeordneten – sie sind ja unsere Volksvertreter – dem Bundeskanzler und allen Ministern das Misstrauen aussprechen. Der Bundespräsident müsste daraufhin die Regierung entlassen.

2. Am selben Tag eine neue Parteienregierung anzugeloben, das freilich würde für Alexander Van der Bellen bloß Sinn machen, wenn eine Abgeordnetenmehrheit hinter dieser steht. Wie soll das gehen? Weil die FPÖ tiefgreifende Maßnahmen gegen das Virus niemals mittragen würde, ist die Vorstellung absurd, dass sich jenseits der aktuellen Regierung irgendeine bunte Mehrheit auf eine Art Coronaregierung verständigt. Ein sofortiger Regierungswechsel ergibt demnach keine bessere Pandemiebekämpfung.

3. Der Bundespräsident soll eine Expertenregierung einsetzen! Das klappt nicht. Wenn die politischen Parteien dagegen sind, stellt das keine Lösung dar. Richtig ist, dass Alexander Van der Bellen gemäß Artikel 70 unserer Verfassung eine Regierung entlassen kann. Bei einem weiteren Versagen in der Pandemiebekämpfung hätte er ausreichend Gründe dafür. Nur was dann?

4. Ja, der Präsident kann danach Kanzler und Minister ernennen, die beispielsweise Krisenmanager und Ärzte sind. Für Coronamaßnahmen bräuchten diese freilich genauso eine Nationalratsmehrheit hinter sich. Werden die Experten von den Parteien nicht akzeptiert, erreichen sie gar nichts. Sie könnten zudem von den Parteimenschen im Nationalrat mittels Misstrauensvotums sofort wieder des Amtes enthoben werden.

5. Es muss sofort Neuwahlen geben! Der Wunsch danach ist seitens der Anhänger von Oppositionsparteien verständlich. Das Coronachaos hat ihnen dafür gute Argumente geliefert. Eine Neuwahlentscheidung erfordert allerdings – wie jedes Gesetz – eine Mehrheit im Nationalrat. Diese haben ÖVP und Grüne, welche nicht dafür sind. Warum sollten sie das auch sein? Also wird es keine baldigen Neuwahlen geben.

6. Zudem ist es aufgrund der gesetzlichen Fristen so, dass knapp drei Monate zwischen Neuwahlbeschluss und Neuwahltag liegen müssen. In der Praxis dauert das noch länger. Daher würde man frühestens vor Ostern wählen. Es ist zwar falsch zu sagen, dass man am Höhepunkt der Pandemie nicht wählen kann – eine plangemäße Nationalratswahl müssten wir sowieso zeitgleich hinkriegen –, doch kurzfristig helfen Neuwahlwünsche null weiter.

7. Wir sind das Volk! Solche Sager sind auf Coronademos beliebt, aber sowohl rechnerisch als auch inhaltlich grundfalsch. Als vergangenes Wochenende nach offiziellen Polizeiangaben bis zu 40.000 Menschen auf der Wiener Ringstraße gegen die Coronamaßnahmen protestierten, waren das weniger als ein Prozent aller Wahlberechtigten. Sie wollen jedoch andersdenkende und schweigende Mehrheiten durch einen diffusen Volksbegriff für sich vereinnahmen.

8. Zudem versucht man mit dem falschen Volksbegriff, verängstigte und verunsicherte Impfskeptiker mit radikalisierten Impfgegnern, Coronaleugnern oder gar Extremisten voller antidemokratischer Absichten in einen Topf zu werfen. Erstere unter den Demonstranten sind mit ihren Sorgen sehr ernst zu nehmen. Letztere wollen nur unser politisches System destabilisieren. Manchmal mit der unsinnigen Behauptung, wir würden in einer Diktatur leben. Weil es solche Demonstrationen geben darf sowie dabei jeder seine Meinung sagen darf, und das gut so ist, sind wir nachgewiesenermaßen eine Demokratie.

9. Die Ungeimpften sind die Bösen! Wenn Regierungspolitiker das sagen, machen sie es sich zu einfach und haben nichts dazugelernt. Ja, unter den Impfverweigerern gibt es Möchtegern-Radikalinskis, auch widerliche Gewaltaufrufe sind nachgewiesen. Doch wir brauchen unverändert viel sachliche Überzeugungsarbeit gegenüber Ungeimpften. Es ist nur eine kleine Minderheit von Ungeimpften, die dummdreist ausgerechnet vor Krankenhäusern mit übervollen Normal- und Intensivstationen protestieren.

10. Die Regierung darf daher keinesfalls durch das Schimpfen auf ungeimpfte Menschen vom Scheitern der eigenen Coronapolitik ablenken. Man muss vielmehr gegenüber noch ungeimpften Mitbürgern so argumentieren, dass sie sich jetzt bitte impfen lassen, ohne als an allem schuld und bisherige Trottel der Nation dazustehen. Sonst verweigert diese Gruppe sich nämlich weiterhin der Impfung. Leider Gottes.

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