Der Historiker Dr. Johannes Preiser-Kapeller erforscht das Wechselspiel zwischen Klimaveränderungen, Epidemien und der Reaktion menschlicher Gemeinschaften. Ein brandaktuelles Thema also.
Krone: Wenn man einen Blick auf die Geschichte der Menschheit wirft, dann scheinen Pandemien oft als Begleiterscheinungen klimatischer Veränderungen aufzutreten. Stimmt das?
Dr. Johannes Preiser-Kapeller: Das trifft auf zwei Ebenen zu. Zum einen wird durch klimatische Veränderungen oftmals die Ökologie von Krankheitserregern verändert. So etwa bei der Pest: Nagetiere profitierten im 14. Jahrhundert von den feuchteren klimatischen Bedingungen in Zentralasien und vermehrten sich daher stark. Damit stieg gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, dass der Pesterreger auf Haustiere überspringt und in weiterer Folge dann auf den Menschen. Zum anderen führten Witterungsextreme oft zu Missernten. Die daraus resultierende Unterernährung schwächte die Widerstandskraft der danach von einer Seuche betroffenen Bevölkerung. Sogesehen ist ein Zusammenhang zwischen klimatischen Schwankungen und dem Ausbruch von Pandemien durchaus gegeben.
Krone: In Bezug auf den Klimawandel könnte es also auch Parallelen zur derzeitigen Corona-Pandemie geben?
Dr. Preiser-Kapeller: Das ist möglich. Was jedoch auch eine Rolle spielt, ist, dass der Mensch schon seit dem Altertum immer wieder in neue, zuvor unberührte Naturräume vordringt. Dabei stößt er auf Krankheitserreger, die zuvor nur unter Wildtierpopulationen verbreitet waren, sich dann aber an Haustiere und Menschen anpassen. Das passiert aktuell gerade in den Regenwaldgebieten, lässt sich aber auch schon weit früher beobachten. So zum Beispiel im 13. Jahrhundert als in Folge der mongolischen Expansion mehrere Bevölkerungsgruppen in die Steppe vorstießen und auf Nagetierpopulationen trafen, die den Pesterreger in sich trugen.
Krone: Pandemien sind also auch eng mit der Mobilität des Menschen verknüpft?
Dr. Preiser-Kapeller: Ja, das ist eine unbeabsichtigte Folge der Globalisierung. Als es noch keine Flugzeuge oder Autos gab, waren die Handelszentren über den Seeweg oder per Karawanen miteinander verknüpft. Auch auf diese Weise wurden ungewollt Krankheitserreger weitergetragen. So hat sich auch die Pest im 14. Jahrhundert verbreitet.
Meinungen und Kritik verbreiten sich über soziale Medien viel schneller als früher
Dr. Johannes Preiser-Kapeller
Krone: Welche Vorkehrungen trafen die Menschen in der Vergangenheit, um Seuchen einzudämmen?
Dr. Preiser-Kapeller: Vor dem Zeitalter der Mikrobiologie waren Krankheitserreger für den Menschen quasi nicht fassbar. Der Ursprung einer Seuche lag daher im Dunkeln, dennoch gab es schon relativ früh Ideen in Sachen Ansteckung. Es gibt Keilschrifttexte aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus aus Mesopotamien, in welchen verordnet wird, dass bestimmte Personen, die krankhafte Veränderungen auf der Haut zeigen, nicht mehr den königlichen Palast betreten dürfen. Im Alten Testament heißt es im Buch Levitikus, dass Personen, die bestimmte Hautveränderungen zeigen, aus der Gemeinschaft entfernt, also isoliert, werden müssen.
Krone: Hat das funktioniert?
Dr. Preiser-Kapeller: Zum Teil. Zu Spannungen kam es immer dann, wenn größere Bevölkerungsgruppen versuchten, sich der Gefahr zu entziehen. Wenn etwa die Bewohner ganzer Dörfer oder Städte die Flucht vor der Seuche ergriffen. Das wurde vonseiten der Obrigkeit natürlich zu verhindern versucht, weil das zum einen für Unruhe im Land sorgte und zum anderen die Gefahr mit sich brachte, dass die Krankheit noch weiter verbreitet wird.
Krone: Staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie werden heute teilweise stark hinterfragt oder treffen mitunter auf Widerstand. War dies früher auch der Fall?
Dr. Preiser-Kapeller: Der große Unterschied ist, dass die Öffentlichkeit heutzutage stark vernetzt ist - Meinungen und Kritik verbreiten sich über soziale Medien viel schneller als früher. Aber es wurde mitunter auch vor Zeiten des Internets Kritik an Beschlüssen der jeweiligen Regierung geübt. Das ist zum Beispiel im 16. Jahrhundert in Wien und Tirol beim Erlass der ersten Pestverordnungen, den Vorläufern der heutigen Epidemiegesetze, geschehen. Obwohl man bereits damals um die Gefährlichkeit der Krankheit wusste - unbehandelt führt die Pest bei zwei Drittel der Erkrankten zum Tod - , wurde die Notwendigkeit der Verordnungen zunächst angezweifelt. Maßnahmen wie etwa die Schließung von Gasthäusern, Schulen oder Kirchen stießen auf Widerstand und wurden teilweise auch bewusst unterlaufen.
Ein Zusammenhang zwischen klimatischen Schwankungen und dem Ausbruch von Pandemien ist durchaus gegeben.
Dr. Johannes Preiser-Kapeller
Krone: Wie lässt sich ein solches Verhalten erklären?
Dr. Preiser-Kapeller: Als die Pestverordnungen das erste Mal auftauchten, war das etwas Neues. So etwas hatte es zuvor noch nicht gegeben. Der Staat mischte sich plötzlich in Dinge des täglichen Lebens ein. Das erregte Misstrauen.
Krone: Wie haben sich solche Krisenzeiten mental auf die Menschen ausgewirkt?
Dr. Preiser-Kapeller: Naturkatastrophen waren im Gegensatz zu Pandemien einfacher zu verstehen, weil die Zusammenhänge klarer sind. Krankheitserreger sind für das menschliche Auge unsichtbar, die Ursache für Pandemien war daher lange Zeit unbekannt. In solchen Fällen greift der Mensch gerne auf vorgefertigte Denkmuster zurück, um sich das Unerklärbare zu erklären. Pandemien werden dann als Strafe Gottes gesehen oder man sucht menschliche Missetäter.
Krone: Das heißt, es braucht Sündenböcke?
Dr. Preiser-Kapeller: Genau. Entweder wurden dafür die Randgruppen innerhalb der Landesgrenzen - dazu zählten religiöse und ethnische Minderheiten sowie moralisch vorverurteilte Gruppen wie Homosexuelle - ins Auge gefasst. Oder aber die Schuldigen wurden jenseits der Staatsgrenzen gesucht - der Feind aus dem Ausland, der die Krankheit sozusagen als Waffe benutzt. Mitunter wurde die Schuld auch bei der regierenden Elite gesucht, die der Bevölkerung angeblich Übles wolle oder Experimente im Geheimen durchführe. Oftmals kam es zu einer Vermischung der verschiedenen Spekulationen.
Krone: Heute lassen sich Krankheitserreger mit wissenschaftlichen Methoden nachweisen. Dennoch scheint sich die menschliche Psychologie den Fakten oft zu verweigern, man denke nur an die gängigen Verschwörungstheorien.
Dr. Preiser-Kapeller: Das war für mich als Historiker das Erschreckende - dass in einem Zeitalter, in dem es quasi möglich ist, ein Foto des Krankheitserregers zu erstellen, trotzdem wieder die alten Denkmuster bedient werden, um eine Erklärung für die Pandemie zu finden. Das scheint offenbar in der Psychologie des Menschen zu liegen. Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit hat jeder in seinem Alltag gespürt. Zudem wird eine Pandemie im Gegensatz etwa zu einer Wirtschaftskrise als sehr reale Bedrohung wahrgenommen. Dadurch vergrößert sich die Verunsicherung, wodurch wiederum die Schwelle niedriger wird, zu alternativen Erklärungsversuchen zu greifen. Verschwörungstheorien wie etwa jene, dass Eliten eine neue Weltordnung erstellen wollen, fußen zum Teil auf Jahrtausende alte Motive.
Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit hat jeder in seinem Alltag gespürt
Dr. Johannes Preiser-Kapeller
Krone: Das heißt, dass Krisen alte Vorurteile beleben?
Dr. Preiser-Kapeller: Krisen verschärfen Missstände, die bereits vorab bestanden haben. Eine Krise ist wie ein Vergrößerungsglas, unter dem die Bruchlinien in der Gesellschaft sichtbar werden.
Krone: Welche Lehre ließe sich in Bezug auf Pandemien und deren Einfluss auf die menschliche Gesellschaft aus der Geschichte ziehen?
Dr. Preiser-Kapeller: Es zeigt sich, dass die Lastenverteilung für die Vorbeugung oder Bewältigung einer derartigen Krise entscheidend ist. Solche Zeiten sind ein Härtetest für ein politisches System. Wenn ein Großteil der Bevölkerung den Eindruck hat, dass ein paar Wenige „es sich richten können“, während die Masse die Lasten in Form von höheren Abgaben und Mehrleistungen zu tragen hat, dann wird sich das auf die Bewältigung der Krise und den gesellschaftlichen Zusammenhang negativ auswirken. Ein aktuelles Beispiel sind die Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels. Bei diesen geht es ja auch um die Verteilung der Lasten, Stichwort ökosoziale Steuerreform. Aber wie sieht das konkret aus? Wer muss worauf verzichten? Wenn es sich künftig etwa nur mehr Reiche leisten können, in den Urlaub zu fliegen, dann wird die Akzeptanz gering sein.
Zur Person
Johannes Preiser-Kapeller ist Byzantinist, Globalhistoriker und Umwelthistoriker. Er leitet die Arbeitsgruppe „Byzanz im Kontext“ am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademien der Wissenschaften und unterrichtet an der Universität Wien. Darüber hinaus ist der Historiker Autor mehrerer Studien und Bücher, welche Klimaveränderungen und Pandemien im geschichtlichen Kontext beleuchten - darunter „Der lange Sommer und die kleine Eiszeit“ sowie „Die erste Ernte und der große Hunger“. Vor kurzem war Preiser-Kapeller im Rahmen des inatura Science Café in Bludenz zu Gast.
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