Anwalt zur Neuregelung

Sterbehilfe: „Denn jetzt geht‘s um mein Überleben“

Österreich
23.10.2021 06:00

Nach einem Beschluss des Verfassungsgerichtshofs ist ab 2022 die Strafbarkeit der Beihilfe zum Selbstmord aufgehoben. Die gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe in Österreich rückt näher. Die Ministerien arbeiten nur noch an Details. Aus diesem Anlass sprach die „Krone“ mit dem renommierten Innsbrucker Rechtsanwalt Dr. Ivo Greiter, der in seinem neuen Buch„Recht auf Sterben - Recht auf Leben“ die provokante Frage „Wer entscheidet über meinen Tod?“ stellt.

„Krone“: Sie sagen, es ginge ums Überleben. Ist das nicht übertrieben? Weit mehr als die Hälfte der Österreicher befürwortet Sterbehilfe, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seinen Schmerzen selbst ein Ende zu machen.
Ivo Greiter: Das ist ja das große Missverständnis. Jeder kann durchsetzen, dass er nicht mehr weiterbehandelt werden soll. Wenn er das will, müssen sich die Ärzte an seine Wünsche halten. Und wenn er seinen Willen nicht mehr äußern kann und er eine Patientenverfügung hat, müssen sich die Ärzte ebenfalls daran halten.

Weshalb dann die Aufregung?
Weil die Möglichkeiten des Missbrauchs der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ungeheuer groß sind. Dem Verfassungsgerichtshof ist dies auch bewusst. Deshalb hat er in seiner Entscheidung festgehalten, dass der Gesetzgeber Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch vorzusehen hat.

Was sind solche Möglichkeiten für einen Missbrauch?
Sehen Sie sich an, wie teuer alte Menschen für die Allgemeinheit sind. Je älter der Mensch, desto geringer die „Rentabilität“ der Pflege. Rein wirtschaftlich betrachtet ist der Aufwand für die Pflege alter und kranker Menschen eine Investition ohne Rendite. Alte könnten ein schlechtes Gewissen bekommen, überhaupt noch zu leben. Und wenn Sie den Menschen als Maschine und Investition betrachten, dann landen Sie in der NS-Zeit. Seit 1945 ist es breiter Konsens, dass sich das nicht mehr wiederholen darf. Wenn man den Gedanken weiterspinnt, steht am Ende der Entwicklung die Fristenlösung für Alte ab einem gewissen Alter. Viele sehen in der jetzigen Entwicklung einen Schritt in die Richtung, dass ein anderer über mein Leben entscheidet. Sei es, weil der glaubt, besser zu wissen, dass ich sterben will, weil ich im Koma liege, oder weil er glaubt, mir ist mein Tod lieber als der von ihm gesehene Schmerz.

Gibt es dazu Beispiele aus anderen Ländern?
Ja. Die Niederlande waren Vorreiter bei der Sterbehilfe: Durch Gesetz wurde es dort ab 2002 möglich, Patienten nach Erfüllung bestimmter Sorgfaltskriterien durch einen Arzt töten zu lassen. Damit gab es erstmals ein Gesetz, das die Mithilfe am Selbstmord und die Tötung auf Verlangen straffrei stellte. Die Tötung wurde sozusagen normalisiert.

Gibt es andere Beispiele?
Ja. In Belgien gibt es aktive Sterbehilfe sogar für Kinder. Dies soll zulässig sein, sofern die Betroffenen „unheilbar krank“ sind, „unerträglich leiden“ und neben ihnen selbst auch die Eltern dies wünschen.

Was ist Ihr Vorschlag?
Unser Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgetragen, bis 31. Dezember 2021 ein Gesetz zu verabschieden, das den Missbrauch der Sterbehilfe ausschließt. Darin sollte geregelt werden: Wie ist der Nachweis der freien Entscheidung des Sterbewilligen zu erbringen; niemand darf Sterbehilfe leisten, der als Erbe infrage kommt; es muss der dauerhafte ernsthafte Wunsch des Sterbewilligen nachgewiesen werden; Sterbehilfe für Minderjährige ist ausgeschlossen; es braucht die vorherige Überprüfung und Dokumentierung der freien Entscheidung, der Richter muss sich auch selbst ein Bild vom Sterbewilligen machen.

Sie wollen also einen Richter einschalten?
Die Frage des Nachweises der freien Entscheidung des Sterbewilligen ist von grundlegender Bedeutung, und ich finde, dass die Überprüfung und Dokumentierung dieser Entscheidung durch einen unabhängigen Richter zu erfolgen hat.

Wo Sterbehilfe in der EU erlaubt ist

In Europa gehen die Meinungen zur Sterbehilfe weit auseinander. Auch die Regelungen sind unterschiedlich. Aktive Sterbehilfe, also die Tötung eines Menschen auf Verlangen, ist in den meisten EU-Staaten verboten. Ausnahmen bilden die Niederlande, Spanien, Luxemburg und Belgien: Hier sind Ärzte ausgenommen.

Beihilfe zum Suizid, etwa das Beschaffen von tödlichen Medikamenten, die der Patient dann selbst einnimmt, sind in einer Reihe von Ländern erlaubt oder werden zumindest geduldet. Darunter sind neben den eben erwähnten Ländern Deutschland, Estland, Schweden, die Schweiz und ab 1. Jänner 2022 auch Österreich.

Indirekte Sterbehilfe, beispielsweise das Verabreichen starker Schmerzmittel, die den Tod beschleunigen können, ist in vielen der übrigen EU-Staaten zulässig - etwa Großbritannien, Frankreich und Griechenland. Voraussetzung dafür ist aber oft eine Patientenverfügung. Das Gleiche gilt für passive Sterbehilfe, also den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen wie künstliche Ernährung. Diese ist nur in Polen ausdrücklich verboten - oder in einigen Ländern nicht geregelt, wie etwa in Kroatien.

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