„Krone“-Analyse

Druck wurde doch zu hoch: Kurz mal weg

Politik
10.10.2021 09:00

Nun also doch: Am Samstagabend trat Sebastian Kurz als Bundeskanzler zurück. Der bisherige Außenminister Alexander Schallenberg übernimmt, die Koalition bleibt bestehen. Die „Krone“ rekapituliert den Abend, an dem alles plötzlich ganz schnell ging.

Das zweite Mal innerhalb zweier Tage gab Sebastian Kurz um 19.30 Uhr eine spontan anberaumte Pressekonferenz. Während am Freitag viele mit einem Rücktritt gerechnet hatten und dann erstaunt waren, dass Kurz eigentlich nur Bekanntes sagte und einmal mehr betonte, dass die Vorwürfe ungerechtfertigt seien und er nicht gehen werde, kam es Samstag ganz anders.

Großer Druck aus den Ländern
Die Bundesländer hatten ordentlich Druck gemacht, Kurz entschied schließlich aber doch selbst. Er trat zur Seite, machte für den bisherigen Außenminister Alexander Schallenberg (52) im Kanzleramt Platz. Kurz verschwindet aber nicht völlig von der politischen Bühne, er will sich nur befristet von der Spitze zurückziehen.

Kurz wird Klubobmann, und er bleibt auch ÖVP-Parteichef - damit behält er weiterhin das Heft des Handelns in der Hand. Er wurde ja erst vor Kurzem mit beinahe 100-prozentiger Zustimmung beim türkisen Parteitag bestätigt. Kurz will so lange nicht in der ersten Reihe stehen, bis die Vorwürfe gegen ihn - diese seien falsch, das betonte Kurz nun einmal mehr - ausgeräumt seien. Dieses taktische Manöver erinnert an Russlands Präsident Wladimir Putin - dieser ließ vier Jahre lang Dmitri Medwedew den Vortritt, um dann wieder zu übernehmen.

Mit diesem Schritt sichert sich die ÖVP die Macht. Denn die Grünen haben unmissverständlich klargemacht, dass sie mit Kurz nicht weiter regieren wollen, aber eine andere Person an der Spitze der ÖVP akzeptieren würden. Vizekanzler Werner Kogler betonte noch am Abend, dass nun die Regierungsarbeit fortgesetzt werde. Die ÖVP sei dem Vorschlag der Grünen gefolgt, damit könne nun auch das Budget beschlossen werden, so Kogler. Sonntag wird er mit Schallenberg ein Vieraugengespräch führen.

Kurz betonte in seiner Rede (im Video oben in voller Länge), dass es nicht um ihn, sondern um das Land gehe. Und er zeigte sich auch von einer durchaus ungewohnten Seite: „Ich bin auch nur ein Mensch mit Emotionen und Fehlern“, so der ÖVP-Chef.

Kurz will Aufhebung der Immunität beantragen
Als Klubobmann wird Kurz auch weiterhin beim Ministerrat dabei sein, außerdem genießt er als Parlamentarier vorerst politische Immunität. Der Nationalrat kann diese allerdings aufheben. Aus dem ÖVP-Klub war zu hören, dass Kurz selbst die Aufhebung seiner Immunität beantragen werde. Damit könnten die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen ihn weitergehen.

Botschafter könnte neuer Minister werden
Wer Schallenberg als Außenminister nachfolgen soll, darüber wird noch spekuliert. Aus gut informierten Kreisen war am Abend zu hören, dass Nikolaus Marschik, Botschafter an der Ständigen Vertretung Österreichs in der EU, gute Karten haben soll. Marschik gilt als Vertrauter von Kurz und auch von Schallenberg.

Kommentar: Schreie waren bis Wien hörbar
Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen. Es wird einfach nur gearbeitet. Dieses Bild versuchte die Volkspartei in den vergangenen Tagen zu vermitteln - alles ganz normal, kein Grund zur Aufregung. Dazu haben die Türkisen Geschlossenheits- und Unterstützungserklärungen der ÖVP-Landeshauptleute sowie ihrer Regierungsmitglieder vorgelegt. War also alles paletti in der türkisen Welt? Mitnichten. Und schon gar nicht im schwarzen Universum, denn dort sind die ÖVP-Länderchefs nach wie vor beheimatet. In den Bundesländern rumorte es gewaltig, die Telefone liefen heiß, die Partei-Granden versuchten sich abzustimmen und eine Lösung, bei der die ÖVP nicht das Kanzleramt verliert, zu finden.

In einem Bundesland, gar nicht weit von Wien entfernt, soll der Unmut ganz besonders groß gewesen sein. „Vor Ärger wird laut geschrien“, so war zu vernehmen. Das könnte durchaus auch mit dem „Ton der Respektlosigkeit“ in den bekannt gewordenen Chats, wie es Bundespräsident Alexander Van der Bellen genannt hat, zu tun haben. Denn dort sollen Thomas Schmid und Co. nicht nur über Ex-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, sondern auch über andere sogenannte Parteifreunde und -freundinnen hergezogen sein.

Samstagnachmittag hieß es noch, man habe ja bis Dienstag Zeit, noch sei keine allzu große Eile geboten. Doch dann ging es schneller als erwartet. Die Landesfürsten und die Fürstin haben sich zusammengeschlossen und Sebastian Kurz erklärt, ihn nicht mehr zu unterstützen. Um der ÖVP die Macht zu erhalten. Eine federführende Rolle dürfte dabei Niederösterreich gespielt haben. Von dort soll auch der Vorschlag, den bisherigen Außenminister Alexander Schallenberg zum Kanzler zu machen, gekommen sein.

Gut möglich, dass auch eine aktuelle Umfrage in Wien für die „Krone“ zur Entscheidung, Sebastian Kurz abzuziehen, beigetragen hat. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die Türkisen in der Bundeshauptstadt sind innerhalb eines Jahres von 20 auf 13 Prozent abgestürzt. Die Tendenz ist weiter massiv fallend, so Meinungsforscher Christoph Haselmayer.

Lange gab Sebastian Kurz in der Partei den Ton an, er war quasi die Partei. Das Schreiben, in dem die ÖVP-Regierungsmitglieder erklärten, sie bleiben nur mit Kurz im Amt, und das nun hinfällig ist, haben einige nicht ganz freiwillig unterzeichnet. Das Papier wurde im Kanzleramt verfasst und den Ministern und Ministerinnen zur Unterschrift vorgelegt. Widerstand zwecklos. So wie schon bei diversen, eher merkwürdigen, Auftritten mancher Regierungsmitglieder in den vergangenen Wochen und Monaten. Das lief so: Das Kanzleramt setzte ein Statement auf - manchmal zur Verteidigung, manchmal zum Angriff, manchmal zur Ablenkung -, drückte das Papier dem oder der Auserwählten in die Hand und schickte diesen oder diese los auf die Medienbühne.

Grünen-Chef Werner Kogler ist für seine verschwurbelten Sätze bekannt. In den vergangenen Tagen hat er gezeigt, dass er auch anders kann. So klar, verständlich und prägnant formulierend hat man ihn lange nicht gehört. Ein Insider der Öko-Partei erklärt das so: Der Kampf gegen Korruption gehöre zur DNA der Grünen, da sei kein Verhandlungsspielraum, da könne die Partei nicht einmal ein halbes Auge zudrücken. Damit und nicht mit dem „Haltungsturnen“ in der Asylfrage gewinne man Wahlen, so der Stratege.

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