Das große Interview

Wie konnte es so weit kommen, Herr Doskozil?

Politik
03.10.2021 06:00

In Graz triumphieren die Kommunisten, in Oberösterreich feiert sich die ÖVP. Wo bleibt die Sozialdemokratie? Im Interview mit Conny Bischofberger analysiert Landeshauptmann Hans Peter Doskozil den Zustand seiner Partei und zieht die Lehren aus dem vergangenen Wahlsonntag - für das Burgenland und die Bundes-SPÖ.

Er ist kaum wiederzuerkennen. 15 Kilo hat Hans Peter Doskozil (51) abgenommen, sein Gedeck am Mittagstisch im Seerestaurant „Katamaran“ in Rust lässt er gleich wieder entfernen. „Ich trinke nur Wasser.“ Später bestellt er doch noch einen Verlängerten schwarz. Beim Interview lässt er seinen Blick immer wieder über das Wasser schweifen. „Das hier ist für mich einer der schönsten Plätze am See“, erklärt er. Aus der Ferne ist das Klacken der Segelboote im Hafen zu hören. Seine Stimme ist leise, aber fest. „Ist ja wie beim Sommergespräch“, lacht er, als ihn eine Biene umschwirrt, und verscheucht sie mit ruhiger Hand.

„Krone“: Sie sehen so entspannt und glücklich aus, hat es einen speziellen Grund?
Hans Peter Doskozil: Alles läuft gut im Moment. Wir haben eine Impfquote von über 80 Prozent, können die Corona-Maßnahmen im Burgenland bald einstellen. Das Wetter ist traumhaft und ich fühle mich viel agiler und sportlicher als noch vor einem Jahr.

Wie haben Sie es geschafft, so schlank zu werden?
Eigentlich habe ich das meiner Lebensgefährtin zu verdanken. Sie hat alle möglichen Nahrungsmittelunverträglichkeiten und achtet deshalb sehr auf ihre Ernährung. Isst nur gluten- und laktosefrei. Ich hab‘ da mitgemacht und siehe da, 15 Kilo sind langsam weggeschmolzen. - Lacht.

Kommen wir zur Politik, da läuft es für die SPÖ im Moment nicht so gut … Was war für Sie die größte Überraschung des vergangenen Wahlsonntags?
Es war ja überall spannend, Deutschland, Oberösterreich. Aber vom Ergebnis in Graz war ich doch am meisten überrascht.

Wie konnte es so weit kommen, dass dort die KPÖ zur Partei der kleinen Leute geworden ist? Das war früher einmal die SPÖ.
Mir wurde ja in der Partei oft gesagt: Mit diesem oder jenem Thema können wir nichts gewinnen, das besetzt schon Sebastian Kurz. Aber Politik muss für alle Menschen da sein, auch wenn sie nicht von allen Menschen gewählt wird. Das ist meine Theorie, und auch mein persönlicher Zugang zu Politik. Graz hat gezeigt, dass die SPÖ in der Sozialpolitik nicht mehr der Schmied ist, sondern nur noch der Schmiedl. Dass die KPÖ dort glaubwürdigere Politik macht, weil sie sich um die Anliegen der Menschen wirklich kümmert. Man muss die Probleme eben anpacken und nicht nur immer plakativ in den Raum stellen und dann passiert nichts mehr. Damit verliert man in der Politik Glaubwürdigkeit und am Ende des Tages auch Wahlen.

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Als Spitzenpolitiker kann man sich aus der Gesellschaft nicht ein genehmes Segment herausgreifen. Politik muss für alle da sein.

Hans Peter Doskozil

War der Pseudojubel in Oberösterreich gerechtfertigt? Dort hat es für die SPÖ gerade noch zu einem kleinen Plus gereicht.
Doskozil schüttelt den Kopf.
- Etwas über 18 Prozent einzufahren in einem Industrieland, in dem die SPÖ einmal ganz vorne war, kann sicher nicht der Anspruch der Sozialdemokratie sein.

Welche Lehren muss die SPÖ jetzt ziehen?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Das Thema Wohnen ist ja ein klassisches sozialpolitisches Thema. Und eng verbunden mit der Entwicklung der steigenden Energiepreise. Da reicht es eben nicht zu sagen, Wohnen muss billiger werden, wir kürzen jetzt die Mehrwertsteuer. Dieses Gießkannenprinzip macht Wohnen noch nicht billiger. Viele haben diese Kürzung nämlich überhaupt nicht notwendig. Und jene, die Heizkostenzuschuss beziehen, weil sie sich das Wohnen nicht mehr leisten können, profitieren davon wenig bis nichts. Da muss ein Ausgleichsfonds her, wir werden das im Burgenland so machen.

Ist die sozialdemokratische Idee der Genossenschaftswohnungen überholt?
Sie ist in ihrer derzeitigen Ausprägung sogar falsch. In diesem Modell zahlen Familien mitunter ihr ganzes Leben lang Miete, ohne dass ihnen die Wohnung je gehört. Dabei hat sie mit ihren Zahlungen die Wohnung zweimal gekauft. Dafür ändern wir im Burgenland demnächst die Förderrichtlinien. Mit jeder ersten Mietzahlung wird die Familie anteilig Eigentümer werden. Aber nicht zum Verkehrswert, der in 15, 20 Jahren ja immens steigt, sondern zu den Errichtungs- und Finanzierungspreisen. Wir wollen auch eine Kostengrenze bei den Grundstücken einführen, das liegt momentan beim Verfassungsgerichtshof.

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Es reicht nicht zu sagen: Wohnen muss billiger werden, wir kürzen die Mehrwertsteuer. Jene, die Heizkostenzuschuss beziehen, profitieren davon nicht.

Doskozil über die Sozialreformen im Burgenland

Sollte das bundesweit übernommen werden?
Wir treten da in Vorlage, und natürlich ist das ein Ziel, dass das auch bundesweit gerechter geregelt wird.

Muss die SPÖ vielleicht ein bisschen kommunistischer werden?
Es geht um eine grundsätzliche Frage, nämlich die Rolle des Staates. Ich spreche hier nicht von Enteignung wie die KPÖ, aber die SPÖ muss sich schon überlegen, wo eine Verstaatlichung sinnvoll wäre. Wenn ein Pflegeheim, das von öffentlichen Geldern lebt, seine Immobilie verkaufen kann und den Anlegern sechs Prozent vom Fonds auszahlen kann, dann ist das fatal. Dann gehört uns das Heim nicht mehr und trotzdem zahlen wir öffentliche Gelder an Private aus. Das gehört verhindert. Wenn mir jemand vorwirft, dass das kommunistische Ansichten sind, dann bin ich gern kommunistisch.

Ist der Kommunismus für Sie also kein Schreckgespenst?
Das kann man nicht pauschalieren. Wenn ich ein Kommunist bin, weil ich sage, dass sich um das Thema Pflege ausschließlich der Staat kümmern soll, dann nein. Wenn man sich anschaut, was unter kommunistischen Regimen passiert ist, dann natürlich schon.

Der Chefredakteur von „Heute“, Christian Nusser, schrieb, dass die Sozialdemokratie nur noch mit der eigenen Neigungsgruppe kommuniziere. Stimmen Sie ihm zu?
Das ist die Gefahr vor allem der neuen Medien. Den Parteikassier, der früher von Tür zu Tür ging und sich die Sorgen der Menschen angehört hat, den gibt es praktisch nicht mehr. Durch die sozialen Medien hat sich die Politik, und so auch die SPÖ, immer mehr von den Menschen entfernt. Deshalb mache ich nach wie vor meine Sprechstunden, tingle durchs Land, von einem Bezirk zu nächsten. Da muss man sich dann auch die Probleme der Menschen anhören und wirklich etwas für sie tun.

Sind Sie vielleicht die Elke Kahr des Burgenlandes?
Wie man sieht, nein! - Lacht. - Elke Kahr wird ihre Rolle als Bürgermeisterin übrigens auch ändern müssen. Sie kann dann nicht mehr nur für bedürftige Menschen da sein, sondern muss sich auch mit Unternehmern auseinandersetzen. Als Spitzenpolitiker kann man sich aus der Gesellschaft nicht ein genehmes Segment herausgreifen.

Wie oft haben Sie Kontakt mit Menschen?
Mehrmals täglich, das beginnt beim Einkaufen und endet an der Tankstelle. Über mir ist kein Glassturz, da können sich die Leute ganz normal Termine ausmachen. Und natürlich wollen nicht alle nur Selfies, sondern sie sind auch manchmal unfreundlich, weil sie Sorgen und Probleme haben.

Wie nahe ist die SPÖ den Menschen?
Die Antwort leitet sich aus dem Wahlergebnis in Graz ab. Natürlich fehlt uns eine gewisse Nähe. Auf der anderen Seite muss die Partei aber auch gewisse Schranken überwinden.

Welche?
Beim Mindestlohn zum Beispiel. Da können die großen Gewerkschaftsvertreter noch so oft betonen, dass Kollektivvertragsverhandlungen in ihre Kompetenz fallen. Gut, sage ich, okay. Aber der Betroffene hat trotzdem nichts davon.

In drei Bundesländern ist die SPÖ noch Nummer eins. Hängt ihr Erfolg an Ihnen, Michael Ludwig und Peter Kaiser?
Politik hängt immer an Persönlichkeiten und deren Gespür für das Richtige. Der Erfolg ist immer ein Zusammenspiel vieler Faktoren. Was die Politiker in ihren Tintenburgen beschließen und die Funktionäre abnicken, muss letztlich aber bei den Menschen ankommen, sonst verlierst du die Wahlen.

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Was Politiker in ihren Tintenburgen beschließen und Funktionäre abnicken, muss letztlich bei den Menschen ankommen, sonst verliert man Wahlen.

Doskozil zu seiner Auffassung von Politik

In Deutschland hat es Olaf Scholz geschafft, Erster zu werden. Wäre so was auch in Österreich möglich?
Jeder ist so stark, wie ihn der andere werden lässt. Die Deutschlandwahl ist ein Paradebeispiel dafür, wie man - nämlich die Union - eine Wahl versemmeln kann. Trotzdem glaube ich persönlich, dass Laschet noch Kanzler werden kann, weil die Grünen eher Richtung Union nachgeben als die FDP Richtung SPD. In Österreich haben wir ganz andere Vorzeichen.

Also ist die Antwort Nein? Oder sagen Sie nichts Schlechtes mehr über die Parteivorsitzende?
Ich sehe das mit einer gewissen Distanz, auch mit einer gewissen Lockerheit. Ich habe mir einiges anhören müssen, deshalb werde ich mich jetzt auf meinen Weg im Burgenland konzentrieren. Wir werden mit einer vernünftigen Sozialpolitik beweisen, dass wir es besser machen.

Pamela Rendi-Wagner hat Sie indirekt mit Bundeskanzler Sebastian Kurz verglichen. Gegen Sie beide ermittelt die Staatsanwaltschaft. Wenn es zu einer Anklage käme, sagte die SPÖ-Chefin, müssten sie beide zurücktreten. Sind Sie ihr deswegen noch böse?
Befindlichkeiten habe ich längst über Bord geworfen. Ich habe immer gesagt, dass ein Politiker, der den Anspruch auf Glaubwürdigkeit erhebt, es sich gar nicht leisten kann, bei einer Anklage im Amt zu bleiben. Das gilt für uns beide, auch wenn andere Sachverhalte dahinterstehen. Wenn Kurz, wie er mir persönlich gesagt hat, nicht zurücktreten will, weil er sich wörtlich „nicht von einer Person seine politische Karriere zerstören lässt“, dann ist das bedenklich.

Rechnen Sie bei ihm mit einer Anklage?
Schwierig zu sagen. Man weiß ja nicht, ob schon der gesamte Sachverhalt auf dem Tisch liegt.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Bundeskanzler?
Es ist ein ewiges Auf und Ab. Wir haben uns unlängst wieder getroffen und werden uns demnächst im Burgenland treffen, momentan geht es ein bisschen bergauf. Bei gravierenden politischen Unterschieden natürlich.

Hinter den Kulissen hat er Sie immer wieder als möglichen Koalitionspartner im Fall von Türkis-Rot genannt.
Wenn er der Sozialdemokratie ausrichtet, wer sein Wunsch-Koalitionspartner wäre, ist anzunehmen, dass er diese Koalition eher verhindern als anstreben will. Ich kann mir im Burgenland auch nicht wünschen, wer mein Gegenüber bei den anderen Parteien sein soll.

Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann einmal die SPÖ zu übernehmen?
Ich bin für fünf Jahre gewählt und werde dieses Amt auch fünf Jahre ausüben, das habe ich immer gesagt.

Und danach?
Politik ist schnelllebig. Ich traue mich nicht zu sagen, was in sechs, sieben, acht Jahren ist.

Also ist es vorstellbar?
Gewisse Schritte sind im Leben immer vorstellbar. Wenn man von Herzen Sozialdemokrat ist und irgendwann - da müssen dann aber viele Faktoren zusammenspielen - die Möglichkeit kommt und alles passt, dann würde jeder Sozialdemokrat sagen: „Ich will diese Partei auch an der Spitze führen.“ Das tragen wir alle vor uns her, das ist unser aller Ziel. Und es ist sicher auch eine der schönsten Aufgaben.

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Wenn die Möglichkeit kommt und alles passt, dann würde jeder Sozialdemokrat sagen: „Ich will diese Partei auch an der Spitze führen."

Doskozil über die Möglichkeit eines Wechsels an die SPÖ-Spitze

Haben Sie sich nicht selbst geschwächt, indem Sie sich aus dem SPÖ-Präsidium zurückgezogen haben?
Ich glaube nicht, dass ich mich dadurch geschwächt habe.

Aber wer mitreden, kritisieren und verändern will, der muss auch dabei sein.
Ich war ja etliche Male dabei und kenne nun die Entwicklungen und die Diskussionskultur in der Partei und daher verstehe ich jetzt auch den Begriff „Parteifreund“ ganz anders … Diskussionen kann ich auch im kleineren Rahmen führen. Die SPÖ Burgenland ist ja trotzdem vertreten, wenngleich auch mit anderen Personen.

Gibt es einen Dialog mit der Parteivorsitzenden?
Es gab einmal ein Treffen in Kärnten.

Von dem nicht einmal ein gemeinsames Foto existiert.
Politik besteht nicht aus schönen Fotos. Deshalb habe ich das klar abgelehnt. Ich bin allergisch auf solche Sachen. Man kommt irgendwohin und bevor man noch ein Wort miteinander gesprochen hat, wird einem schon der Pressetext vorgelegt und man will ein Foto machen. Wir haben dann einen Diskussionsprozess begonnen und ich bin neugierig, ob er fortgesetzt wird.

Herr Landeshauptmann, wie geht es Ihnen nach den Stimmbandoperationen gesundheitlich?
Wie gesagt, ich habe viel abgenommen und bin auch, was meine Stimme betrifft, sehr zufrieden. Sie wird nie mehr so klingen wie früher, das ist klar, aber ich lerne täglich aufs Neue, damit zu leben. Es gibt viele Menschen, die mit einer Beeinträchtigung leben müssen, ich bin da nicht der Einzige.

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Meine Stimme wird nie mehr so klingen wie früher, das ist klar. Ich bin aber nicht der Einzige, der mit einer Beeinträchtigung leben muss.

Hans Peter Doskozil über seine Stimmband-Operationen

Wird man mitunter mehr gehört, wenn die Stimme leiser ist?
Das glaube ich nicht. Ich glaube, man wird dann gehört, wenn man akzeptiert wird, weil man konsequent und glaubwürdig ist. Dann es ist es egal, ob die Stimme leiser oder lauter ist.

Darf ich Sie zum Schluss noch zwei private Dinge fragen?
Fragen dürfen Sie alles, ob ich antworte, werde ich dann sehen. - Lacht.

Sie haben Ihre Hochzeit mit Julia schon zweimal verschoben. Ist Ihre Freundin schon ungeduldig?
Wir mussten das Corona-bedingt verschieben, haben uns jetzt aber auf einen fixen Termin verständigt. Geheiratet wird im September 2022 auf dem Weingut Scheiblhofer.

Und wird es noch ein Dosko-Baby geben?
Ich habe zwei tolle Kinder, die mit beiden Beinen im Leben stehen, mit denen bin ich sehr glücklich. Meine Lebenspartnerin hat, so viel ich weiß, auch keinen Kinderwunsch. Daher wird es keinen Nachwuchs mehr geben. Stand heute. Denn einen kleinen Ausweg soll man sich immer offen lassen.

VOM POLIZISTEN ZUM LANDESCHEF

Geboren am 21. Juni 1970 in der Steiermark, aufgewachsen im Burgenland. Doskozil wird Polizist und studiert nebenbei Jus. Ab 2012 ist er Landespolizeidirektor des Burgenlandes, 2016 bis 2017 Verteidigungsminister, danach Landesrat, seit 2019 Landeshauptmann und SPÖ-Chef, nach der Wahl im Jänner 2020 regiert er im Burgenland mit absoluter Mehrheit. Insgesamt dreimal musste er sich einer Stimmbandoperation unterziehen. Der zweifache Vater ist mit der 13 Jahre jüngeren Julia Jurtschak verlobt, Hochzeit ist im September 2022.

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