Altes Handwerk

Die Letzten: Die redenden Tische aus dem Montafon

Vorarlberg
12.07.2021 17:55

In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert der Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. Jüngst hat er den Montafoner Kunsttischler Markus Juen besucht.

Ein junger, smarter Mann begrüßt mich, der genau so gut Banker oder Immobilienmakler sein könnte. Ich trete in eine aufgeräumte Werkstatt mit einem Maschinenpark aus alten und neuen Geräten. Eigentlich dachte ich, ein altes, misstrauisches „Männdle“ vorzufinden, das einsilbig ist und sich denkt: Schon wieder ein Schreiberling, der hier die Nase reinsteckt, von nichts eine Ahnung hat, wo man sich danach nur schwarz ärgern muss.

Der Kunsttischler Markus Juen in St. Gallenkirch entspricht diesem Klischee ganz und gar nicht. Eines spüre ich sofort an seinem ganzen Wesen: Hier ist jemand zu Gang, der Genauigkeit zum Prinzip erhoben hat. Der Vater von zwei Kindern ist der letzte überhaupt, der Montafoner Tische baut, wobei bauen ein unzureichender Begriff ist. Er denkt die Tische, entwirft sie, träumt mit ihnen, verwirft wieder, sägt, leimt und drechselt dann in hunderten von Stunden ein Kunstwerk, das nicht zu Unrecht weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden ist - der Montafoner Tisch.

Erlauchte Persönlichkeiten gingen in seinem Betrieb schon ein und aus. Die Fürstin von und zu Liechtenstein zum Beispiel, wichtige Leute aus der Wirtschaft. Die Tische der Juens (Großvater, Vater und Sohn) haben ihren Weg bis nach Kanada, Japan, Südamerika und Australien gefunden.

Eine Kunst, die lange Zeit vergessen war
Dabei war die Kunst der Fertigung eines Montafoner Tisches fast in Vergessenheit geraten. Markus’ Großvater war der erste, der in den 30er-Jahren wieder diese Tische herstellte. Zuerst für die eigene Gaststube, dann hauptberuflich. Er gab das Wissen an seinen Sohn Raimund weiter und Raimund wiederum an seinen Sohn Markus, der die Werkstatt 1999 übernommen hat. „Die Grundwerkzeuge haben sich bei diesem Handwerk nicht verändert“, sagt Markus. „Das ist das Schöne daran. Eine CNC-Maschine mit aufwändiger Steuertechnik nutzt mir da nichts. Ich säge noch jedes florale Muster mit der Laubsäge aus.“

Das Herz des Montafoner Tisches ist die Schieferplatte. „Die wurde ganz früher von den Bergleuten im Silbertal gebrochen.“ Sie hatte verschiedene Funktionen. Einerseits wurde darauf die noch heiße Riebel-Pfanne abgestellt, andererseits diente die Platte für Händel aller Art, wenn zum Beispiel eine Kuh oder ein Rind verkauft wurde. Dann schrieb man mit weißer Kreide auf den Tisch, rechnete und feilschte, bis es endlich zum Handschlag kam. Es soll nicht selten vorgekommen sein, dass das Zahlenwerk mit dem Ärmel schneller vom Tisch gewischt war, als der Käufer denken konnte. Ganz beliebt war und ist die Schieferplatte bis heute zum Anschreiben beim Jassen.

Der Zauber, der von so einem Montafoner Tisch ausgeht, ist natürlich die Einlegearbeit, eine Steigerung der Intarsienkunst, die ja nur Furniere benutzt, während hier sogenannte Schwarten verwendet werden. „Mir haben schon viele Menschen bestätigt, dass der Wein an so einem Tisch einfach besser schmeckt“, sagt Markus stolz. Das hängt vielleicht auch mit der immensen Arbeit, Zeit und Genauigkeit zusammen, die man diesen Stücken selbst als Laie ansieht. Die Betrachtung eines solchen Tisches beruhigt. Die mäandrierenden Bänder und ornamentalen Verästelungen haben etwas Meditatives.

Markus Juen arbeitet ausschließlich mit lange abgelagerten, heimischen Laubhölzern. Nuss-, Ahorn-, Birn- und Kirschbaum, Mooreiche, Esche und Ulme. „Die Grundplatte bestand früher aus stockrotem Fichtenholz mit rotbräunlichen Einschüssen. Ein Holz, das kurz vor dem Verfaulen, also quasi tot war. Heute verwenden wir als Trägermaterial eine verleimte Holzplatte.“

„Ich verwende nur tradierte Juen-Muster“
Ein Montafoner Tisch entsteht von innen nach außen. Die Einlegebordüren umwandern die quadratische oder oktogonale Schieferplatte mit einer atemberaubenden Präzision. Spitze trifft weniger als einen Millimeter genau auf Spitze. Jedes Band hat seinen eigenen Namen: doppeltes Gerstenkorn, gewundenes Band, Kettenband, kleine und große Würfel, usw. „Das ist auch die Handschrift des Tischlers. Daran wurde und wird bis heute erkannt, aus welchem Haus das gute Stück stammt. Ich verwende nur tradierte Juen-Muster.“

Markus führt mich an eine andere Werkbank, wo er zu Demonstrationszwecken mit der Laubsäge eine Blüten-und Rankenform aussägt. Mit verblüffender Meisterschaft ist er in der Lage, händisch die Säge so zu führen, dass der Schnittwinkel stets eine circa 12 Grad Neigung einnimmt, ansonsten würde die Blüte nicht in ihre Konterform passen. Er fügt die beiden Elemente mit sachten Hammerschlägen ineinander.

„Halte es einmal gegen das Licht“, fordert er mich auf. Ich nehme das Muster in die Hand, halte es in die Abendsonne. Nicht ein Lichtschimmer bricht durch die Schnittkanten. Besessenheit und Präzision haben Markus Juen zu einem gesuchten und oft besuchten Meister des Montafoner Handwerks gemacht. Er habe viele Menschen in seinem Leben kennengelernt. Reiche und welche, die lange auf so einen Tisch sparen mussten. Eines sei immer gleich geblieben: die fast kindliche Freude über den fertigen Tisch. Und das gebe ihm sehr viel Kraft.

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