Weißrussland-Krise

„Putin will eine Art neue Sowjetunion aufbauen“

Ausland
14.06.2021 15:27

Die Beziehungen zwischen der Ukraine und Weißrussland waren traditionell gute. Seit den weißrussischen Präsidentschaftswahlen im Sommer 2020, die der größte Teil der internationalen Gemeinschaft nicht als demokratisch anerkennt, hat sich das schlagartig geändert. Jetzt muss die Ukraine mit einem Nachbarland zurechtkommen, dessen Machthaber sich immer stärker von Russland abhängig macht. Dazu hat krone.tv-Moderatorin Damita Pressl mit dem ukrainischen Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, gesprochen.

„Putin will eine Art neue Sowjetunion aufbauen. Kleiner, aber adaptiver und aggressiver“, vermutet Scherba im Hinblick auf die russische Unterstützung von Europas „letztem Diktator“, dem weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Die Beziehungen zwischen der Ukraine und dem weißrussischen Staat seien jedenfalls auf einem Tiefpunkt. Aber: „Wir fühlen uns dem weißrussischen Volk sehr nahe“, betont Scherba, „wir haben viel gemeinsam.“

Papierflieger als Symbol des Protestes, nachdem Weißrussland eine Passagiermaschine der Ryanair zur Landung zwang und den regimekritischen Blogger Roman Protassewitsch verhaftete (Bild: AP)
Papierflieger als Symbol des Protestes, nachdem Weißrussland eine Passagiermaschine der Ryanair zur Landung zwang und den regimekritischen Blogger Roman Protassewitsch verhaftete

Scherba teilt die Einschätzung vieler Beobachter, dass Weißrussland wohl kaum völlig in Eigenregie ein Passagierflugzeug zur Landung gezwungen hat: „Wir wissen, dass die Geheimdienste in Weißrussland und Russland sehr eng zusammenarbeiten. Ich frage mich, ob es Zufall ist, dass neben den beiden weißrussischen Staatsbürgern, die gekidnappt wurden, auch vier Staatsbürger der russischen Föderation nicht weiterfliegen durften.“

Charterflüge nach Salzburg zum Hundefriseur
Was also tun, wie sollen die Europäische Union und die Welt reagieren? Die Ukraine hat ihren Luftraum für Weißrussland gesperrt und Stromimporte gestoppt. Scherba: „Wenn man Dinge bewegen will, sind Sanktionen der einzige Weg. Und aus ukrainischer Erfahrung sind die persönlichen Sanktionen genauso wichtig wie die wirtschaftlichen. Für die Entscheidungsträger in undemokratischen Ländern ist die Möglichkeit sehr, sehr wichtig, ihre Geburtstage im Westen zu feiern und ihr Geld im Westen auszugeben.“

Man erzählt mir eine Geschichte über einen postsowjetischen, nicht-ukrainischen Beamten, der inmitten der Pandemie ein Charter-Flugzeug nach Salzburg geschickt hat, damit sein Hund dort frisiert wird. „Für diese Menschen ist es wichtig, dass sogar die Hunde in Salzburg frisiert werden. Da sind persönliche Sanktionen sehr wichtig. Man muss manchmal für die Sachen einstehen, an die man glaubt, und auch schmerzhafte Entscheidungen treffen. In der Ukraine ist das ein unglaublich großes Dilemma. Ein Großteil des ukrainischen Benzins beziehen wir aus Weißrussland. Wie machen wir weiter? Das ist unglaublich schwer.“

Österreich als Brückenbauer?
Was denkt der ukrainische Botschafter eigentlich, wenn der österreichische Bundeskanzler als einziger EU-Staatschef am Petersburger Wirtschaftsforum teilnimmt, oder wenn Österreich ankündigt, Sputnik V kaufen zu wollen? „Ich bin es gewohnt, dass Österreich sich als Brückenbauer sieht. Das Problem ist, man kann nur als Brücke agieren, wenn die beiden Seiten eine Brücke brauchen. Und ich fürchte, Russland ist zurzeit nicht in einem Gemütszustand, wo es eine Brücke sucht.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei einem Videocall im Rahmen des Internationalen Wirtschaftsforums Sankt Petersburg (Bild: BUNDESKANZLERAMT/ARNO MELICHAREK)
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei einem Videocall im Rahmen des Internationalen Wirtschaftsforums Sankt Petersburg

Die Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland, die seit 2014 in der weißrussischen Hauptstadt Minsk stattgefunden hatten, müssen jedenfalls verlegt werden. Im Gespräch ist Chisinau, die Hauptstadt der Republik Moldau - doch sicher ist nichts. Botschafter Scherbas Amtszeit in Wien neigt sich dem Ende zu, er kehrt nach Kiew ins Außenministerium zurück. Sein Buch „Ukraine versus darkness: Undiplomatic thoughts“ ist im April erschienen und gibt Einblicke in 26 Jahre diplomatische Erfahrung.

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