Das große Interview

Wie läuft‘s im Paradies, Herr Landeshauptmann?

Politik
28.03.2021 06:00

Experiment Freiheit! Seit 13 Tagen hat Vorarlberg als Testregion Theater, Konzertsäle, Cafès und Restaurants trotz Corona wieder geöffnet. Landeshauptmann Markus Wallner (53) gibt Einblicke in das positive Anreizmodell, seine digitale Offensive und die alemannische Seele.

Blauer Himmel über dem Bodensee, frühlingshafte 16 Grad, gelöste Stimmung. „Das Land ist erwacht und blüht richtig auf“, sagt Landeshauptmann Markus Wallner und lässt sich die Sonne auf sein Gesicht scheinen. Wir sitzen im voll besetzten „Museumscafè“ am Bregenzer Kornmarktplatz. Die meisten Gäste zeigen dem Servicepersonal unaufgefordert ihre negativen Corona-Tests, ausgedruckt oder am Handy. Auch der Landeshauptmann. Vom Nebentisch winkt eine Familie, Wallner winkt zurück. „Hond ihrs fein?“, ruft er hinüber und nimmt einen Schluck aus der Kaffeetasse. Ein lange vermisstes Gefühl von Lebensfreude ist hier deutlich spürbar. Die Glocken der Seekapelle gehen fast unter in dem fröhlichen Gewusel.

„Krone“: Der Osten Österreichs macht über Ostern dicht, der Westen macht auf. Wie läuft’s im Paradies, Herr Landeshauptmann?
Markus Wallner: Paradiesisch erscheint es vielleicht im Vergleich zu Ostösterreich. Wir haben in Vorarlberg einfach eine andere Inzidenzlage, trotz zwei Cluster in einem Kindergarten und einer Schule nur knapp über 100. Das Paradies hätten wir dann erreicht, wenn die Pandemie überwunden ist. Insofern träumen wir weiter davon. Und halten uns dabei an die strengen Regeln.

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Im Dezember war Vorarlberg noch das Land mit der höchsten Inzidenz, die Lage auf den Intensivstationen war angespannt. Aber dann haben wir uns zurückgekämpft.

Markus Wallner

Was macht Vorarlberg anders bzw. besser?
Uns hilft sicher die geografische Lage, erstens hinter dem Arlberg und zweitens umgeben von zwei Nachbarländern. Sowohl Baden-Württemberg als auch die Schweiz haben im Vergleich geringere Inzidenzen und geringere Mutationsraten. Das kann sich aber schnell wieder ändern. Im Dezember war Vorarlberg noch das Land mit der höchsten Inzidenz, die Lage auf den Intensivstationen war angespannt. Aber dann haben wir uns zurückgekämpft.

Wie?
Wir haben das Contact Tracing stark professionalisiert. Wir sind auch das Bundesland mit der stärksten Digitalisierungsoffensive, betrieben von einem jungen Team der Landeswarnzentrale. Die sind alle unglaublich EDV-affin und kreativ und entwickeln permanent neue Lösungen. Wenn Sie bei uns beispielsweise einen Test machen, dann haben Sie das Ergebnis mittels QR-Code am Handy, noch bevor Sie zum Auto gekommen sind. Wir haben auch bei den Teststationen aufgerüstet, bis in kleine Gemeinden hinein . Im Moment kommen wir auf 145.000 Tests pro Woche. Denn nur mit negativem Test haben die Leute Zutritt zu Kulturveranstaltungen und in die Gastronomie.

Wie nervös macht Sie, dass die Zahlen derzeit trotzdem steigen?
Es beunruhigt schon. Aber wir sind noch immer deutlich entfernt vom österreichischen Schnitt. Beim Cluster im Leiblachtal haben wir innerhalb weniger Stunden reagiert. 10.000 Tests in zwei Tagen. Das war ein schneller, präziser Eingriff. Während anderswo immer viel diskutiert wird. Ich bin aber vorsichtig mit Zuschreibungen. Jeder bemüht sich extrem. Im Osten sind die Nachbarländer - Ungarn und Tschechien - ein Nachteil.

Sind die Lockdowns richtig?
Sie schmerzen. Wenn man Geschäfte zusperrt, dann heißt das Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsrückschlag. Der Schaden ist enorm. Ich glaube, wir müssen diese Lockdowns mit allen Mitteln verhindern. Das versuchen wir in Vorarlberg.

Spüren Sie da von anderen Bundesländern Neid?
Ich denke, man gönnt uns die Sonderstellung, weil man einer Bevölkerung, die solche Zahlen hat, nicht dieselben Maßnahmen zumuten kann wie einer Bevölkerung mit den drei- und vierfachen Infektionszahlen. Das wäre nicht gerecht.

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Jeder Tag, an dem wir offenhalten können, an dem die Menschen arbeiten können, an dem Unternehmer ein Geschäft machen dürfen, ist ein Gewinn.

Markus Wallner

Kann das „Experiment Freiheit“ auch scheitern?
Was heißt „scheitern“? Jeder Tag, an dem wir offenhalten können, an dem die Menschen arbeiten können, an dem Unternehmer ein Geschäft machen dürfen, ist ein Gewinn. Und jeder Tag, an dem zugesperrt wird, ist ein Verlust. Selbst wenn wir in wenigen Wochen noch einmal zurückrudern müssten, war es trotzdem richtig. Davon bin ich überzeugt.

Ihr Weg wird in der Vorarlberger Bevölkerung wie ein Befreiungsschlag erlebt. Ticken die Alemannen anders, was Verbote und Strafen angeht?
Die Vorarlberger sind sehr eigenständige Menschen, manchmal auch eigensinnig und eigenbrötlerisch, sie lieben pragmatische Zugänge und reagieren allergisch auf zu viel Obrigkeit. Vor allem wenn sie aus Wien kommt. - Lacht. - Die Vorarlberger waren, wenn man in die Geschichte zurückblickt, auch nie besonders kaisertreu. Bei uns zählt Eigenverantwortung mehr als vielleicht im Rest von Österreich. Das hilft uns in der Krise. Keiner regt sich auf, dass er oder sie sich freitesten müssen. Man muss es den Leuten nur logisch erklären können.

Gibt es in Vorarlberg auch so große Vorbehalte gegen Astra Zeneca?
Ich glaube weniger. Das hängt damit zusammen, dass sich bei uns die Ärzteschaft ganz klar für diese Impfung ausgesprochen hat. Und auch die europäische Arzneimittelagentur hat klar entschieden. Ich halte es für heikel, wenn gewisse Ärztekreise extrem kritische Meinungen verbreiten. Die Leute wollen klare Informationen. Welche Risiken gibt es und überwiegt am Ende doch der Nutzen?

Würden Sie sich mit Astra Zeneca impfen lassen?
Sofort.

Wissen Sie, wann Sie drankommen?
Nein, ich bin zu jung. - Lacht. - Bei uns kommen die über 65-Jährigen im April dran, so alt bin ich noch nicht.

Gönnt der Bundeskanzler den Vorarlbergern eigentlich ihren Corona-Sonderstatus?
Er hat mich immer ermuntert, diesen Weg zu gehen, und mir den Rücken gestärkt. Er meinte: Triff du die richtigen regionalen Entscheidungen, ich werde hinter dir stehen!

Nehmen Sie auch Spannungen zwischen ihm und dem Gesundheitsminister wahr?
Ich würde mir manchmal ein besseres Maß an Koordination wünschen. Aber in einer Pandemie passieren jeden Tag neue Dinge, da bin ich eher nachsichtig.

Stimmt es, dass Sie in der Nacht, in der Rudi Anschober ins Spital gekommen ist, als Letzter mit ihm telefoniert haben?
Wir hatten jedenfalls relativ spät telefonischen Kontakt. Und nachdem der dann abgebrochen ist, habe ich den Vizekanzler gebeten, einzugreifen. Wir mussten ja zu einem Ergebnis kommen.

Machen Sie sich Sorgen um Rudi Anschober?
Aktuell Gesundheitsminister zu sein ist eine extrem belastende Funktion. Man sieht es den Gesundheitsministern auf der ganzen Welt an, dass es nicht einfach ist. Rudi Anschober muss extrem viel Druck und Stress aushalten, weil er in der vordersten Linie steht. Wenn man merkt, dass jemand damit kämpft, ist das keine einfache Situation.

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Ich habe während der Quarantäne von zuhause aus gearbeitet und die Zeit im Wesentlichen im Keller verbracht, wo ich ein Büro eingerichtet und alle Videokonferenzen abgehalten habe.

Markus Wallner

Herr Landeshauptmann, Ihre Frau hatte auch eine Corona-Erkrankung. Wie haben Sie es geschafft, sich nicht anzustecken?
Das war herausfordernd. Wir hatten eine komplett getrennte Haushaltsführung, von der Küche bis zum Schlafzimmer. Ich habe während der Quarantäne von zuhause aus gearbeitet und die Zeit im Wesentlichen im Keller verbracht, wo ich ein Büro eingerichtet und alle Videokonferenzen abgehalten habe.

Oben Sakko, unten Jogginghose?
Nein, schon oben und unten ordentlich.

Letztes Jahr ist auch Ihr Vater gestorben. Was hat das in Ihrem Leben verändert?
Es klingt vielleicht seltsam, aber ich habe zu meinen Freunden gesagt: So, jetzt bin ich wirklich erwachsen. Er hat an Krebs gelitten. Leider hat er die Modellregion nicht mehr erlebt. Ich glaube, er wäre wirklich stolz gewesen.

Was hat er Ihnen mitgegeben?
Mein Vater war ein Mensch mit ganz starken Grundwerten. Die Bedeutung der Familie war ihm ganz wichtig. Wir Kinder waren immer viel wert. Das hat er uns eingepflanzt, wie auch die Liebe zur Natur. Durch ihn bin ich heute ein leidenschaftlicher Bergsteiger und Skitourengeher.

Was sind da die schönsten Momente?
Es beeindruckt mich immer wieder, dass man auf den Bergen dem Himmel näher ist und dass dieser Himmel dort oben tiefblau ist, viel blauer als unten.

Waren Sie mit Sebastian Kurz auch schon bergsteigen?
Nein, das haben wir noch ausständig. Es wird der höchste Berg Vorarlbergs sein müssen, der Piz Buin. Ich hoffe, er kommt rauf. -Lacht.- Aber er hat ja eine gute Kondition. Weil ich komm sicher rauf.

Wie werden Sie den Palmsonntag verbringen?
Da binden wir mit unserem jüngeren Sohn und den Schwiegereltern einen Palmbusch und gehen dann in Frastanz in die Messe.

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Ich bin tief christlich-sozial eingestellt und habe ein großes Gottvertrauen.

Markus Wallner

Woran glauben Sie?
Ich bin tief christlich-sozial eingestellt und habe ein großes Gottvertrauen. Das heißt nicht, dass alles schon irgendwie gehen wird. Sondern dass man handfeste Arbeit leisten, sich immer mit voller Kraft fürs Ganze einsetzen muss. Dann kann man letztlich auf etwas Höheres vertrauen.

Worauf vertrauen Sie in dieser Pandemie?
Auf unsere Bevölkerung, ich bin immer wieder stolz auf sie. Auf die Eigenverantwortung und den Fleiß und die Wirtschaftskraft unseres Landes. Dieses Virus, da bin ich mir ganz sicher, wird Vorarlberg nicht aus der Bahn werfen.

Zur Person: Bergsteiger und Tourengeher
Geboren am 20. Juli 1967 in Bludenz. Wallner studiert Politikwissenschaften und Geschichte in Innsbruck. Ab 1991 arbeitet er bei der Industriellenvereinigung in Wien und Vorarlberg sowie bei der EU-Kommission in Brüssel. Ab 1995 Pressereferent der ÖVP, Büroleiter des früheren Landeshauptmanns, Landesgeschäftsführer der ÖVP, Klubobmann und Landesstatthalter. Landeshauptmann seit Dezember 2011. Seit 1995 verheiratet mit Sonja (diplomierte Krankenschwester) drei Kinder (Sophia, Raphaela, Valentin). Wallner ist passionierter Bergsteiger und Skitourengeher.

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