Das große Interview

Shirin Ebadi: Verdient Trump Friedensnobelpreis?

Persönlich
28.06.2025 18:00

Das Regime im Iran wird fallen, sagt die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi im Interview mit Conny Bischofberger, aber nicht, während Bomben fallen. In ihrem Londoner Exil spricht sie über Khomeini und Trump, Friedensverhandlungen in Wien und einen lebenslangen Kampf.

Ein persönliches Interview, schreibt mir Mona von der Shirin Ebadi Foundation mit Sitz im US-Bundesstaat Michigan, sei aufgrund des großen internationalen Interesses leider nicht möglich. Auch Sicherheitsgründe spielen mit: die Menschenrechtsaktivistin bekommt auch, nachdem sie ins Exil gegangen ist, bis heute Morddrohungen.

Wir „treffen“ uns also per Zoom am Bildschirm. Als Erstes steigt Mina Faress ein, ihr Hintergrund zeigt Den Haag, Niederlande, wo sie als Farsi-Übersetzerin tätig ist. Dann erscheint schwarz auf weiß in Helvetica der Name Shirin Ebadi und es ertönt ihre Stimme, aber kein Bild. Mina fragt Frau Ebadi, ob sie die Kamera einschalten kann. „Gebt mir eine Minute“, meint sie. Dann kehrt sie in einem schwarz-roten Sakko zurück und winkt aus London. Warum sie Persisch spricht? „Weil es meine Muttersprache ist und weil mein Englisch nicht gut genug ist“, erklärt sie. „Außerdem ist es mir wichtig, dass die Menschen meine Worte im Kontext meiner Kultur hören und verstehen.“ Ebadi ist gläubige Muslima und fordert ein neues islamisches Recht, das mit Menschenrechten, demokratischen Grundsätzen und der Idee von Gleichheit und Freiheit vereinbar ist.

Ebadi war die erste Richterin des Iran und wurde von Khomeini des Amtes enthoben.
Ebadi war die erste Richterin des Iran und wurde von Khomeini des Amtes enthoben.(Bild: Imago Images/Juan Carlos Hidalgo)

„Krone“: Die USA haben am Mittwoch vor einer Woche Angriffe auf die Nuklearanlagen des Iran durchgeführt, was den iranisch-israelischen Konflikt eskalieren ließ. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie davon erfuhren?

Shirin Ebadi: Ich war nicht überrascht. Als ich das zum ersten Mal hörte, dachte ich mir: Das ist das Ergebnis von 46 Jahren Außenpolitik der Islamischen Republik Iran. Von Anfang an, seit der Gründung der Islamischen Republik im Iran – nach dem iranischen Kalender war das im Jahr 1357, nach dem gregorianischen Kalender entspricht es 1979 –, war ihr Ziel die Zerstörung Israels und die Vertreibung der Vereinigten Staaten aus der Region. Eine solche Außenpolitik kann zu keinem anderen Ergebnis führen als das, was wir jetzt sehen.

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Als ich vom Angriff der USA auf den Iran hörte, dachte ich mir: Das ist das Ergebnis von 46 Jahren Außenpolitik der Islamischen Republik Iran.

Die Nobelpreisträgerin war nicht überrascht

Die Einmischung der USA hat zumindest zu einem Waffenstillstand geführt. War es also Ihrer Meinung nach das Richtige?
Ja, es war das Richtige. Denn die Folge eines Krieges ist immer nichts anderes als die Tötung von Zivilisten, sowohl im Iran als auch in Israel.

Wie wird sich das auf die innen- und außenpolitische Stellung des iranischen Regimes auswirken?
Es zeigt die Schwäche des iranischen Regimes. Denn wie das Regime selbst zugeben musste, hatte die Gegenseite die Drohnenteile in den Iran gebracht, sie dort zusammengebaut, und so wurden am ersten Tag des Krieges alle Drohnen vom Iran aus gestartet. Das zeigt nicht nur die Schwäche des Regimes, es ist auch eine schwere Demütigung.

Verdient Präsident Trump den Friedensnobelpreis, wie diese Woche diskutiert wurde?
Shirin Ebadi schließt kurz die Augen. Sie überlegt einen Moment. – Ich bin kein Mitglied der Nobelkomitees, die über diese Preise abstimmen. Aber wenn ich es wäre, würde ich ihn nicht für einen Friedensnobelpreis nominieren. Sein bisheriger „Track record“, also seine Erfolgsbilanz, zeigt, dass er ihn nicht verdient.

Seit 2009 leben Sie im Exil im Vereinigten Königreich. Haben Sie noch Familienmitglieder im Iran?
Meine Töchter sind nicht im Iran, aber all meine Freunde und Verwandten sind dort.

Wir haben mehrere Personen kontaktiert, die im Iran leben. Alle hatten Angst, über ihre Situation zu sprechen. Wie viel Zustimmung hat das Regime noch in der Bevölkerung?
Die Menschen stehen längst nicht mehr hinter diesem Regime. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung wollen, dass dieses Regime verschwindet.

Wie geht es den Iranerinnen und Iranern?
Wie bereits erwähnt, hat dieser Krieg diese Regime öffentlich gedemütigt. Das Problem ist jedoch, dass sich die Rache gegen das Volk richtet. Es sind die Menschen, die für das Geschehene bezahlen werden. In diesen 12 Tagen wurden mehr als 1.000 Menschen unter dem Vorwurf der Kollaboration mit Israel verhaftet und inhaftiert. Und mindestens drei Menschen wurden ohne die Chance auf einen fairen Prozess hingerichtet, weil sie angeblich mit Israel unter einer Decke steckten. Ohne dass es dafür den geringsten Beweis gab. Das Regime im Iran ist durch den jüngsten Krieg noch repressiver geworden als zuvor. Die Menschenrechtsverletzungen schreiten immer stärker voran, die Zensur tobt und deshalb wird sich die Zivilgesellschaft wieder erheben. Das Regime wird fallen. Aber nicht jetzt, wenn Bomben fallen. Denn wer würde sich gleichzeitig der Unterdrückung des Regimes und den Bomben entgegenstellen?

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In einer Diktatur ist die ganze Bevölkerung unfrei, aber am allermeisten leiden unter der Islamischen Republik die Frauen.

Shirin Ebadi setzt sich für ein neues islamisches Recht ein

Apropos Bomben. Wozu braucht der Iran eigentlich Atombomben?
Um seine schiitische Ideologie zu verbreiten und zu propagieren, brauchen die Mullahs Werkzeuge, die sie als Waffen einsetzen können. Ihre Illusion ist die Zerstörung Israels und die Vertreibung der Vereinigten Staaten aus der Region.

Was wird passieren, wenn Chamenei stirbt? Er ist nicht mehr der Jüngste.
Es wird keinen Unterschied machen, denn es ist die politische Struktur des Iran, die falsch ist. Solange dieses Regime an der Macht bleibt, wird seine Außenpolitik dieselbe sein. Und deshalb wollen die Menschen, dass es stattdessen eine säkulare, demokratische Führung geben wird. Eine Regierung ohne Ideologie.

2004 war die Friedensnobelpreisträgerin das erste Mal in Österreich (hier beim damaligen ...
2004 war die Friedensnobelpreisträgerin das erste Mal in Österreich (hier beim damaligen „Krone“-Interview in Dürnstein).(Bild: Tomschi Peter)

Und wer kann das bewirken?
Das iranische Volk durch seinen kollektiven Aufstand. Allen voran die Frauen. Sie waren seit 1979 immer an vorderster Front bei allen Aufständen. Auch wenn die ganze Bevölkerung in einer Diktatur unfrei ist, leiden unter der Islamischen Republik die Frauen am allermeisten. Frauen dürfen sich nicht scheiden lassen, Iranerinnen dürfen ohne Erlaubnis eines Mannes nicht reisen, studieren, ein Konto eröffnen oder erben. Und das sind nur ein paar Beispiele.

Frau Ebadi, als nach der Islamischen Revolution 1979 statt der erhofften Demokratie die Mullahs an die Macht kamen, waren Sie 32. Wie war das möglich?
Es wurde uns immer wieder gesagt, dass nach der Revolution Freiheit und Unabhängigkeit die Grundrechte im Iran sein werden. Auch ich bin damals auf die Straße gegangen und habe die Absetzung des Schahs gefordert. Es war ein Fehler, Ayatollah Khomeini zu vertrauen. Er war nur ein rückwärtsgewandter Greis.

Sie waren damals, als erste Frau in dieser Position, Richterin. Was passierte, als Khomeini an die Macht kam?
Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, alle Richterinnen ihres Amtes zu entheben und sie zu Sekretärinnen zu degradieren. So auch mich. Unter dem Vorwand der Religion wurden insbesondere die Rechte der Frauen stark beschnitten. Aber die Iranerinnen sind sehr stark, sehr emanzipiert. Sie haben sich immer gegen dieses Regime gestellt, das nichts anderes im Sinn hat, als Frauen zu bekämpfen. Alle Gesetze, die die Mullahs erlassen haben, waren gegen Frauen gerichtet, um ihre Position zu untergraben und zu schwächen.

Sie sind im Kampf für Menschenrechte auch erhebliche persönliche Risiken eingegangen. Wie sind Sie in all den Jahrzehnten so widerstandsfähig geblieben?
Wenn jemand an das Ziel glaubt, für das er oder sie kämpfen, dann ist man auch bereit, alle Risiken und Härten auf sich zu nehmen. Immer im Wissen, dass ich bei weitem nicht die einzige Menschenrechtsanwältin war, die ins Gefängnis geworfen wurde. Es war und ist das Schicksal aller, die sich im Iran für Menschenrechte einsetzen.

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Ich war bei weitem nicht die einzige Anwältin, die ins Gefängnis geworfen wurde. Es war und ist das Schicksal aller, die sich im Iran für Menschenrechte einsetzen.

Shirin Ebadi bekommt bis heute Morddrohungen

Sie erinnern sich wahrscheinlich nicht, aber wir haben vor 21 Jahren schon einmal ein Interview geführt. Es war in Ihrem Hotel in Dürnstein.
Oh, das ist aber lange her. Wir sind beide etwas älter geworden. – Lacht und betrachtet das Foto, das ich in die Kamera meines Computers halte.

Ich habe Sie damals gefragt, ob Sie einen hoffnungslosen Kampf führen. Ihre Antwort war: „Oh nein! Ich fühle mich wie jemand, der einen Marathon mit einer Fackel in der Hand beendet, einem Feuer des Friedens, das entzündet wurde. Mit diesem Feuer laufe ich an jedem vorbei, der mir im Weg steht. Ich weiß noch nicht, wann ich dieses Feuer weitergeben werde, und ich weiß auch nicht, an wen. Ich weiß nur, dass ich weiterlaufen muss.“
Ich freue mich sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass ich die Fackel nun an meine ehemalige Kollegin Narges Mohammadi weitergeben konnte. Sie war diejenige, die 2023 den nächsten Friedensnobelpreis als iranische Menschenrechtsaktivistin gewann.

Laufen Sie trotzdem noch immer?
Ja, denn Laufen ist die Pflicht eines jeden von uns.

Was glauben Sie, wird es jemals Frieden zwischen Israel und dem Iran geben?
Es muss Frieden zwischen den beiden Ländern geben, sonst werden wir einen weiteren Krieg in der Region erleben. Und deshalb sind diejenigen, die friedliebend sind und nach Frieden streben, mit dem Regime der Islamischen Republik nicht einverstanden. Weil dieses Regime eben keinen Frieden will.

Österreich hat eine große Tradition als Sitz internationaler Organisationen wie der UNO oder der IAEO. Könnte es ein Ort für Verhandlungen in diesem Krieg sein?
Die Verhandlungen können überall stattfinden. Es macht keinen Unterschied, ob es in Rom, in der Hauptstadt von Oman oder in Wien ist.

„Mutter Courage“ des Iran

Karriere:

Geboren am 21. Juni 1947 in Hamadan, Iran. Nach ihrer Schulzeit studiert sie Rechtswissenschaften an der Universität Teheran und wird nach Studienende die erste Frau, die das Amt der Richterin im Iran bekleidet. Mit der Islamischen Revolution 1979 wird Ebadi aus ihrem Amt enthoben. Sie arbeitet als Verteidigerin von Liberalen und Dissidenten, wird 2000 angeklagt und zu Haft sowie einer Bewährungsstrafe mit Berufsverbot verurteilt. 

Verfolgung:

Nach ihrer Degradierung verlässt die Richterin Shirin Ebadi das Teheraner Gericht und eröffnet ihre eigene Anwaltskanzlei. Sie schreibt Bücher, gründet einen Kinderschutzbund und das „Zentrum für Menschenrechte“.Als Rechtsanwältin vertritt sie die Angehörigen der Schriftsteller und Intellektuellen, die in den Jahren 1999 – 2000 ermordet wurden. Sie verteidigt auch zwei Frauenrechtlerinnen, die wegen ihrer Teilnahme an einer Berliner Konferenz zur iranischen Demokratiebewegung inhaftiert wurden. Das Regime antwortet mit Überwachung, Schikanen, Morddrohungen, drei Wochen Einzelhaft.

Nobelpreis:

2003 ist Shirin Ebadi die erste Iranerin und auch die erste muslimische Frau, die für ihre Menschenrechtsarbeit den Friedensnobelpreis erhält. Ein Jahr nach der Verleihung steht sie auf der Liste der hundert mächtigsten Frauen der Welt und später auch auf der Liste der hundert einflussreichsten Frauen aller Zeiten. Im September 2004 kommt Ebadi im Rahmen des „Waldzell Meetings“ im Stift Melk das erste Mal nach Österreich.

Exil:

Seit Ende 2009 lebt sie im Exil in Großbritannien. Ebadi ist verheiratet und hat zwei Töchter. 2016 erschien ihre Autobiografie „Bis wir frei sind. Mein Kampf für die Menschenrechte im Iran“ im Piper-Verlag-

Ich frage das, weil Österreich eine sehr klare Haltung zu Israel und der Ukraine hat.
Der Iran verhandelt nicht mit Österreich. Der Iran verhandelt mit den Vereinigten Staaten. Deshalb macht es keinen Unterschied, welche Position Österreich vertritt.

Letzte Frage: Wenn Sie an Ihr Land, an Ihre Kindheit im Iran denken, welches Bild taucht da auf?
Jetzt lacht Shirin Ebadi über das ganze Gesicht. – Ein freches Mädchen, das auf niemanden gehört hat.

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