Physiker kontert

Corona: Debatte um Labor-Theorie „völlig daneben“

Ausland
25.02.2021 19:55

Die Studie des Hamburger Physikers Roland Wiesendanger zum Ursprung des Coronavirus wird derzeit nicht nur in Fachkreisen heftig diskutiert. Innerhalb von nur einer Woche wurde die Publikation über 360.000 Mal aufgerufen. Damit hat Wiesendanger sein Ziel erreicht, eine neue „breit angelegte Diskussion“ über die Entstehung von SARS-CoV-2 zu entfachen. Gleichzeitig wurde aber auch rasch viel Kritik an der „unwissenschaftlichen Arbeitsweise“ des hochdekorierten Forschers laut. Im Gespräch mit krone.at verteidigt er seine Labor-These vehement, gibt aber auch zu, dass seine Studie eine „total unübliche Form in der Wissenschaft“ darstelle.

Laut Wiesendanger sprächen die Zahl und Qualität der von ihm gesammelten Indizien „für einen Laborunfall“. Nun schlägt ihm allerdings eine Welle der Empörung entgegen, die er laut eigener Aussage nur deshalb aushalte, weil ihn aus der ganzen Welt Nachrichten erreichen, die ihm „Dank, Mut und Respekt“ entgegenbringen. „Viele Menschen, darunter auch Ärzte oder Direktoren von Intensivstationen, haben gesagt, dass sie mir inhaltlich total zustimmen, das würden sie aber öffentlich nie so äußern.“

Fehlende Begutachtung, Mängel bei Belegen
Es gab jedoch vor allem zahlreiche öffentliche Stellungnahmen, die Wiesendangers Schlussfolgerung ausgesprochen kritisch gegenüberstehen. Wie zum Beispiel von der „Coronavirus Structural Task Force“ der Universität Hamburg, wo auch Wiesendanger forscht. Für sie ist das Hauptproblem, dass die Studie nicht begutachtet wurde sowie die „extrem schlechte Lesbarkeit“ und „Mängel bei den Belegen“.

„Von Qualität der Arbeit nicht überzeugt“
Auch die Innsbrucker Mikrobiologin Rossana Segreto sagte zu krone.at, dass sie Wiesendangers Studie zwar „mit großem Interesse“ gelesen habe, aber: „Ich bin von der Qualität seiner Arbeit leider nicht überzeugt.“ Segreto war unlängst medial in Erscheinung getreten, weil sie die Meinung geäußert hatte, dass die Laborunfall-Theorie zu schnell ausgeschlossen worden sei.

Keine neuen Ergebnisse gefunden
Wiesendanger habe es laut Segreto nicht geschafft, neue Ergebnisse aufzuzeigen. Eines seiner Hauptargumente ist beispielsweise allgemein bekannt, nämlich dass auch ein Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie noch kein Tier als Zwischenwirt identifiziert werden konnte. „Der Fakt, dass bisher noch kein Zwischenwirt gefunden wurde, heißt nicht, dass er nicht existiert“, so Segreto.

Ein Leck in einer der Forschungseinrichtungen in Wuhan oder sonst wo schließt sie jedoch nicht aus. In Wuhan gebe es allerdings gleich mehrere Labors, die an Coronaviren arbeiten würden, und nicht nur das „Wuhan Institute of Virology“.

Virus „versehentlich“ aus Labor entkommen?
Die Mikrobiologin verweist auf zahlreiche Wissenschaftler, die den Labor-Ursprung des Coronavirus zumindest nicht ausschließen, darunter etwa der Stanford-Mikrobiologe David A. Relman. Er hatte im November des Vorjahres die Meinung geäußert, dass möglicherweise die vollständige Gensequenz des SARS-CoV-2-Virus aus einer Fledermausprobe gewonnen und ein lebensfähiges Virus aus einem synthetischen Genom wiederbelebt worden sein könnte, um es zu untersuchen, bevor das Virus „versehentlich aus dem Labor entkam“.

„Gesunden Menschenverstand einschalten“
Laut Wiesendanger wurde in dem Labor in Wuhan jahrelang eine sogenannte Gain-of-Function-Forschung betrieben. Dabei werden Viren gentechnisch verändert, um ihre Funktion zu „verbessern“. „Man muss ja nur seinen gesunden Menschenverstand einschalten. Da bricht eine weltweite Pandemie in unmittelbarer Nachbarschaft von dort aus, wo über Jahre genau diese Gain-of-Function-Experimente mit genau dieser Zielsetzung durchgeführt worden sind“, so Wiesendanger. 

Möglichkeit muss zumindest untersucht werden
Auch für Segreto, die in Innsbruck am Institut für Mikrobiologie forscht, hat das Coronavirus zu viele Merkmale, die „nicht einfach als natürlich zu erklären sind und untersucht werden müssen“. Sie spricht sogar davon, dass viele Experten versuchen würden, Meinungen zu einem nicht-natürlichen Ursprung des Coronavirus zu zensieren. „Viele von ihnen ändern jetzt ihre Meinung und schließen ein Laborleck nicht mehr kategorisch aus.“ Diese Möglichkeit müsse laut Segreto zumindest untersucht werden dürfen, ohne gleich als Verschwörungstheorie abgetan zu werden.

„Coronavirus stammt aus Wildtieren“
Was allerdings klar gegen die Laborthese spricht, ist ein Statement von 27 weltweit angesehen Virologen aus dem Februar des Vorjahres. Veröffentlicht wurde es vom britischen Zoologen Peter Daszak und unter anderem vom weltweit renommierten Coronavirus-Experten Christian Drosten mit unterschrieben. Die Wissenschaftler kamen schon damals „überwiegend zu dem Schluss, dass dieses Coronavirus (SARS-CoV-2, Anm.) aus Wildtieren stammt“. „Verschwörungstheorien“ rund um das Virus würden nur „Angst, Gerüchte und Vorurteile“ erzeugen.

Virologie geht mehrheitlich von Zoonose aus
In der Virologie ist man mehrheitlich der Auffassung, dass eine vom Tier auf den Menschen übertragene Infektion des Erregers am wahrscheinlichsten ist, die sogenannte Zoonose. Wiesendanger ist zwar Physiker, verweist aber auf die Selbstkontrolle in der Wissenschaft: „Was sich da jetzt abspielt, finde ich vollkommen daneben. Man spricht von einer interdisziplinären Ausrichtung der Forschung, schafft es aber nicht, entsprechende Selbstkontrollmechanismen durchzusetzen.“

Rückendeckung bekam er zwischenzeitlich auch von seiner eigenen Hochschule. Man übe „keine Zensur zu Forschungsgegenständen und -ergebnissen“ der eigenen Wissenschaftler aus. Wiesendanger und seine Kollegen seien vielmehr zur Veröffentlichung ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse „verpflichtet“.

„Natürlich keine wissenschaftliche Fachpublikation“
Die Frage nach dem Ursprung des Coronavirus hat Roland Wiesendangers Studie übrigens gar nicht beantwortet, auch wenn sie weltweit noch so viel Aufmerksamkeit auf sich zog. „Ich habe letzten Endes etwas erzeugt, das natürlich keine wissenschaftliche Fachpublikation ist, das habe ich aber auch nie behauptet“, so der Hamburger Forscher. Er habe versucht, etwas zu machen, das alle lesen können, „egal ob Akademiker, Nicht-Akademiker, Ethiker oder egal welcher Fachrichtung“.

Damit hat Wiesendanger sich in erster Linie aber auch angreifbar gemacht: „Leider ist mein Hauptanliegen in den vergangenen Tagen vollkommen in den Hintergrund gerückt.“

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